Interventionismus bedeutet die Einmischung in die Angelegenheiten souveräner Staaten: Einmischung in die Wirtschaftspolitik, das Einsetzen von neuen Regierungen, Krieg und Besatzung. Für die deutsche Politik dient - wie auch für andere politisch und wirtschaftliich einflussreiche Staaten - die "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" wieder zu den offiziellen Rechtfertigungen von Kriegen. Für fast alle Kriege der letzten Jahre lässt sich nachweisen, dass der Zugang zu Erdöl, Erdgas und anderen Rohstoffen sowie den Transportwegen zu den wesentlichen Kriegsgründen zählte. Das Menschenrechtsargument wird als offizieller Rechtfertigungsgrund vorgeschoben.
Von der Öffentlichkeit bislang kaum beachtet, haben Politik und Wirtschaft ein besonderes Augenmerk auf die Rohstoffe in Afrika gelegt. Im November 2005 fand zum Beispiel auf Einladung des ehemaligen IWF-Chefs und derzeitigen deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler auf dem Petersberg bei Bonn eine Afrika-Konferenz statt. Im Interview mit dem Bonner Generalanzeiger (8.11.2005) verwies Köhler auf das schwarze Gold: "(...) seit die Lage im Nahen Osten kritischer geworden ist, importiert der Westen zunehmend mehr Öl aus Afrika."
Beispiel Sudan
In Sudan konkurriert Deutschland mit mehreren asiatischen Staaten und möglicherweise auch mit Frankreich und den USA um den Zugang zum Öl. Die Zentralregierung des Landes hat Verträge mit asiatischen Unternehmen geschlossen. Das Öl aus dem Südsudan fließt per Pipeline über die Hauptstadt Khartum zur Hafenstadt Port Sudan am Roten Meer. Von dort kann das Öl per Schiff nach Asien weiter transportiert werden. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass die Meerenge zwischen dem Roten Meer und dem Indischen Ozean seit 2002 unter anderem von der deutschen Marine und US-amerikanischen Soldaten im so genannten Antiterror-Einsatz kontrolliert wird (Einsatz am Horn von Afrika). Ob es bei dieser Überwachung des Seeweges tatsächlich um Terroristen geht? Hält man sich hier möglicherweise die Option offen, diesen Seeweg bei Bedarf für asiatische Öltanker mit militärischen Mitteln abzuriegeln?
Deutschland unterstützt in Sudan die Rebellen des Südens, die mit der Zentralregierung jahrelang einen Bürgerkrieg um die Einnahmen aus dem Ölgeschäft führten. Im Januar 2005 kam es - nicht zuletzt auch aufgrund intensiven Drucks seitens der deutschen Bundesregierung - zu einem "Friedensvertrag", der den Rebellen die Macht im Süden des Landes und einen Anspruch auf die Hälfte der Einnahmen aus dem Ölgeschäft überträgt. Außerdem darf sich der Süden laut Vertrag sechs Jahre später in einem Referendum von Sudan abspalten und einen eigenen Staat bilden! Nach einer Abspaltung des Südens bliebe der Nordsudan ohne Zugang zum Öl. Ob das tatsächlich eine auf Frieden angelegte Lösung ist, darf bezweifelt werden. Die Bundeswehr möchte gut sechs Jahre im Land bleiben, um die Umsetzung des Vertrages zu überwachen.Diese sechs Jahre bis zum geplanten Referendum für die offensichtlich beabsichtigte Teilung des Landes wollen deutsche Unternehmen nutzen, um für das Erdöl aus Südsudan einen anderen Transportweg zu errichten: Sie wollen eine neue Eisenbahnlinie von den Ölfeldern des Südsudan - unter Umgehung des Nordsudan - in das westlich orientierte Kenia bauen. Von der kenianischen Hafenstadt Mombasa soll das Öl dann per Schiff nach Deutschland und in andere westliche Staaten - statt nach Asien - transportiert werden. Soll die am Horn von Afrika seit Jahren stationierte deutsche Marine diesen Handelsweg in einigen Jahren schützen und ggf. in einem Seekrieg gegen konkurrierende asiatische Kriegsflotten verteidigen?
Beispiel Zentralafrika inkl. Kongo
Deutschland interessiert sich aber nicht nur für den Sudan, sondern für die gesamte Region "Zentralafrika". In seiner "Außenpolitischen Strategie zu Zentralafrika" verweist das Auswärtige Amt neben anderen knappen Rohstoffen auf die Ölvorkommen in Gabun, Kamerun, Republik Kongo, Äquatorialguinea, Tschad, sowie auf die Demokratische Republik Kongo (früher Zaire). In der Demokratischen Republik Kongo tobt laut Auswärtigem Amt ein "Krieg der Rohstoffe". Die Bundeswehr beteiligt sich dort am UN-Militäreinsatz MONUC. Es geht bei den Rohstoffkriegen keineswegs nur um Öl. In der Demokratischen Republik Kongo finden sich laut Auswärtigem Amt vor allem die folgenden Rohstoffe: Gold, Diamanten, Kupfer, Kobalt, Tantal ("Coltan"), Zink, Zinn, Kadmium, Germanium und Wolfram.Beispiel Georgien
In diesem Zusammenhang muss man sich nicht über Hinweise darauf wundern, dass der Westen die "Rosenrevolution" in Georgien unterstützt haben soll. Mit Unterstützung eines dem Westen zugeneigten Regimes in der georgischen Hauptstadt Tiflis lässt sich leichter Erdöl über die neue Tiflis-Ceyhan-Pipeline aus dem aserbaidschanischen Baku zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan transportieren. Es ist offenbar längst im Gespräch, auch NATO-Truppen zur Sicherung der Pipeline einzusetzen. Nicht umsonst konzentriert sich die deutsche Außenpolitik in Georgien auf den Bereich Energie: "Die bilaterale Zusammenarbeit konzentriert sich - auch vor dem Hintergrund der Kaukasus-Initiative - auf die Bereiche Energie (...)".Weiterhin: "Grundsätzlich liegen Georgiens Vorteile als Investitionsstandort in seiner geostrategischen Lage (...). Größtes aktuelles Investitionsprojekt sind die Öl- und Erdgas-Pipelines, die unter Umgehung der Territorien Russlands und Irans Rohstoffe aus dem Kaspischen Meer über Georgien in die Türkei und von dort weiter auf europäische Märkte befördern soll." Wer glaubt da noch, es sei bei der Revolution in Georgien um die Verbreitung der Demokratie gegangen? Vergleichbares lässt sich auch für die Revolution in der Ukraine aufzeigen.
Beispiel Zentralasien
Im Zuge des so genannten Anti-Terrorkrieges beteiligte sich die Bundeswehr auch an der Eroberung und Besatzung Afghanistans. Die deutsche Öffentlichkeit wurde auf die Bekämpfung des Taliban-Regimes eingeschworen, die die CIA Jahre zuvor finanziert und aufgebaut hatten, und zudem auf die Frauenpolitik. In den Monaten und den ersten beiden Jahren nach Kriegsbeginn gab es kaum einen Bericht, in dem nicht die "Befreiung der Frauen" in Afghanistan zum Thema hochstilisiert wurde. Jenseits dieser medial inszenierten Dramaturgie geht es in Afghanistan vermutlich um etwas ganz anderes.
Im Norden Afghanistans gibt es Erdgasvorkommen. Unter sowjetischer Besatzung wurde hier Mitte der 1970er Jahre Erdgas gefördert. Die Anlagen wurden durch Sabotageakte der Mudschaheddin zerstört. Zu den größeren Erdgasfeldern gehören Jorqaduq, Khowaja, Gogerdak und Yatimtaq. Sie liegen alle im Umkreis der Stadt Sheberghan in der nordafghanischen Provinz Jowzjan. Die Provinz Jowzjan zählt zu den von der Bundeswehr besetzten Gebieten. Doch die Bedeutung der Besetzung Afghanistans geht weit über Afghanistan hinaus. Wolfgang-Peter Zingel vom Südasien-Institut der Universität Heidelberg, Abteilung Wirtschafts- und Entwicklungspolitik, schreibt zur geostrategischen Bedeutung des Landes schlicht und ergreifend: "Nach wie vor dient die Einflussnahme des Auslands auf den Konflikt in Afghanistan wirtschaftlichen Interessen: (...) Heute geht es um den Zugang zu den Energievorkommen in Zentralasien; (...) Dazu wären stabile politische Verhältnisse zumindestens in diesem Teil des Landes erforderlich." Deutschland sorgt mit für die gewünschten stabilen politischen Verhältnisse in Afghanistan: zum Beispiel durch die "Führungsrolle beim Wiederaufbau der nationalen Polizei in Afghanistan" (Auswärtiges Amt).
Außerdem sorgt Deutschland für rechtliche Rahmenbedingungen, die unter anderem den Bau einer Pipeline ermöglichen können: "Auch wurde 2003 mit deutscher Unterstützung der Entwurf für ein neues Investitionsgesetz vorgelegt, das den Ansprüchen internationaler Investoren genügt", so das Auswärtige Amt. Zudem: "Die Bundesrepublik Deutschland hat im Dezember 2004 ein bilaterales Investitionsschutzabkommen mit Afghanistan paraphiert; die Zeichnung und Inkraftsetzung wird im ersten Halbjahr 2005 erfolgen."Von besonderem Interesse sind die gewaltigen Erdgasvorkommen im nördlich von Afghanistan gelegenen Turkmenistan. Dazu das Auswärtige Amt: "Turkmenistan ist ein potenziell reiches Land. Es verfügt über die viertgrößten Erdgasreserven der Welt." Auch Kasachstan ist wegen seiner Rohstoffe für die Industriestaaten von höchstem Interesse.Der Verlauf der Pipelines ist hart umkämpft. So wusste auch die einflussreiche Deutsche Bank 2002 bezogen auf die Ausbeutung der Erdölvorräte Kasachstans zu berichten, dass der Verlauf weiterer Pipelinerouten "aus geostrategischen Gründen politisch brisant" ist. Ein möglicher Routenverlauf gehe durch den Iran. Ob dies das neuerliche starke Interesse am Iran begründet? Die Deutsche Bank, eine der treibenden Kräfte in der deutschen Politik, macht sich vehement für eine "energiestrategisch motivierte Geopolitik" stark.
Das Argument Menschenrechte
Von der Vorbereitung des NATO-Krieges gegen Jugoslawien ist hinreichend bekannt, wie im Vorfeld des Krieges von offizieller Seite vermutlich massiv die Unwahrheit gesagt wurde. Die USA hatten vor einigen Jahren sogar offiziell angekündigt, sie würde im so genannten "Kampf gegen den Terror" der Öffentlichkeit künftig nicht immer die Wahrheit sagen.Auch Hilfsorganisationen werden in die Kriegsvorbereitungen mit einbezogen. Durch gezielte landesspezifische Mittelzuweisungen an Hilfsorganisationen lässt sich seitens des Staates sicherstellen, dass immer gerade dort Menschenrechtsverletzungen angeprangert werden, wo die Bundeswehr einmarschieren möchte!
Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern treten jeweils deutlich in den Hintergrund und kommen in der medialen Öffentlichkeit nicht vor. Die Öffentlichkeit gewinnt den sicheren Eindruck, als herrsche in dem permanent genannten Land und zwar nur dort akuter Handlungsbedarf und als könnte dies durch eine militärische Intervention schnell gelöst werden. Im Vorfeld des Bundeswehr-Einsatzes in Sudan wurde eine Menschenrechtskatastrophe in der sudanesischen Region Darfur hochstilisiert. Der Kölner Wissenschaftler und Sudan-Kenner Stefan Kröpelin vertritt die Auffassung, dass die Menschenrechtssituation in Sudan nicht besser und nicht schlimmer ist als in jedem anderen afrikanischen Land. Auch offizielle Stellen würden das unter der Hand bestätigen. Doch seit man am Erdöl interessiert sei, sei die humanitäre Katastrophe für den Westen plötzlich von Interesse. Journalisten wären an einem differenzierten Bild nicht interessiert.Der deutschen Öffentlichkeit würden Satellitenbilder mit angeblich niedergebrannten Dörfern vorgeführt. Stichprobenartige Überprüfungen hätten ergeben, dass nicht eine einzige Hütte niedergebrannt worden sei. Es hätte sich in den überprüften Fällen vielmehr um Keramik-Brennplätze gehandelt. Kröpelin hält die genannten Zahlen über Menschenrechtsverletzungen für völlig abwegig. Die Zahlen würden von den Flüchtlingslagern stammen. Doch viele Leute seien nur deswegen in den Flüchtlingslagern, weil es dort Dinge umsonst gebe. Auch Menschenrechts und Hilfsorganisationen hätten ein Interesse an übertrieben hohen Zahlen, weil das die Spendenbereitschaft in Deutschland erhöhe. Zudem sei die Region Darfur nur schwer zugänglich und Menschenrechtsorganisationen würden sich zum Beispiel auf Aussagen von Exilbischöfen berufen, nicht jedoch auf Quellen vor Ort. Einige Überfälle mit Todesfällen habe es in Darfur schon immer gegeben.Das Beispiel Sudan zeigt ebenso wie auch andere einschlägige Fälle, dass die deutsche Öffentlichkeit die Menschenrechtslage in anderen Ländern in keiner Weise beurteilen kann. Auch auf die Angaben vermeintlich "unabhängiger" Menschenrechts- und Hilfsorganisationen kann man sich nicht stützen. Eben so wenig sind in aller Regel die Abgeordneten des Deutschen Bundestages informiert.Das bedeutet, dass eine demokratische Kontrolle von Interventionen praktisch nicht möglich ist. Weder die Bevölkerung noch die Abgeordneten in den Parlamenten können ernsthaft überprüfen, ob ein Krieg tatsächlich wie oft behauptet zur Verhinderung von schweren Menschenrechtsverletzungen geführt wird oder mit dem Ziel, Zugang zu Märkten und Rohstoffen zu bekommen.
Kriege für Energie oder Menschenrechte?
Die Rechtfertigungen für die Interventionen können nicht überzeugen. Eine mögliche Rechtfertigung der neuen Rohstoffkriege mit dem Argument, Deutschland sei nun einmal abhängig vom Öl, scheitert daran, dass man vor dem Versiegen der Ölquellen ohnehin mit den erneuerbaren Energien auf eine andere Rohstoffbasis umsteigen muss.Doch auch die vielfach diskutierte Rechtfertigung von Interventionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen ist wenig realitätstauglich. Dafür sprechen eine Reihe von Gründen:
1) Den Führungseliten fehlt erfahrungsgemäß die Motivation zur Beseitigung von Menschenrechtsverletzungen, sie verfolgen eine egoistische Interessenpolitik.
2) Eine tatsächliche demokratische Kontrolle der Führungseliten im Vorfeld von Interventionen scheitert regelmäßig bereits daran, dass sich die Öffentlichkeit selbst unter Rückgriff auf vermeintlich unabhängige Menschenrechts- und Hilfsorganisationen kein realistisches Bild über die Menschenrechtslage und die sonstigen zu beachtenden Randbedingungen in einem fremden Land machen kann.
3) Zudem kann die Förderung von Militär und Rüstungsindustrie eine gefährliche Eigendynamik entfalten.
4) Schwerste Menschenrechtsverletzungen in starken Ländern wie den USA oder China können militärisch schlichtweg nicht bekämpft werden.
5) Hinzu kommt, dass die wesentlichen weltweit begangenen Menschenrechtsverletzungen wegen knapper finanzieller Mittel und aus organisatorischen Gründen überhaupt nicht militärisch bekämpft werden könnten.
6) Schließlich führen Kriege selbst zu schweren Menschenrechtsverletzungen.
7) Mit dem gleichen Mitteleinsatz, der für die Umrüstung der Bundeswehr und für Kriege verwendet wird, könnten mit friedlichen Mitteln effektiv sehr viel mehr und obendrein real existierende humanitäre Katastrophen verhindert werden.Wo bleibt das Selbstbestimmungsrecht der Völker?
Auch unterhalb der Schwelle des Militärischen sind Interventionen wie etwa die über IWF und Weltbank - aber auch unmittelbar - praktizierte Einmischung in die Wirtschaftspolitik anderer Länder höchst problematisch. Demokratie bedeutet Selbstbestimmung, Souveränität. Interventionen aber stellen eine Einmischung von außen und somit eine Beschränkung der Selbstbestimmung der Völker dar.
Es stellt sich die Frage, ob die Staaten tatsächlich mehr Einfluss nehmen dürfen als ihr eigenes Staats- und Wirtschaftsmodell anderen Völkern als Vorbild anzupreisen.Nicht zuletzt ist auch zu bedenken, dass in Deutschland hoch offiziell zentrale wirtschaftspolitische Probleme wie Arbeitslosigkeit, soziale Sicherung und die Staatsfinanzen als völlig ungelöst gelten. Wie aber kommt dieses Land - ebenso wie andere Mächte - vor dem Hintergrund der eigenen ungelösten wirtschaftspolitischen Probleme dann auf die Idee, der Welt mit IWF, Weltbank, Entwicklungshilfe, Kriegen und Besatzungen unser defizitäres Wirtschaftssystem als das allein Heilbringende aufzwingen zu wollen?
Von Henrik Paulitz
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