Gegen die Ohnmacht: Psychosoziale Arbeit zwischen Repression und Exil
Austausch mit kurdischen Expert*innen aus der Türkei
Freitag, 20. September 2024, 10.30–18.00 Uhr, Refugio Berlin, Lenaustraße 3-4, 12047 Berlin
Die Türkei liegt im weltweiten Vergleich auf Platz sechs der Länder mit den meisten Gefangenen - direkt hinter Russland. Besonders hiervon betroffen ist die demokratische Zivilgesellschaft. Auch Kinder, kranke und alte Menschen werden nicht von Haft verschont. Oft drohen lange Strafen, Isolationshaft und andere Formen der Folter, was für die Betroffenen schwere gesundheitliche Folgen haben kann.
Die Türkei ist – anders als der EU-Türkei-Deal suggeriert - nicht nur Transitzone und Zielort für Migrant*innen, sondern zwingt selbst viele Menschen in die Flucht. In Deutschland lag im vergangenen Jahr die Zahl von Schutzsuchenden aus der Türkei auf Platz zwei. Davon war der überwiegende Teil kurdisch. Ursächlich dafür sind nicht nur Wirtschaftskrise und Erdbebenfolgen, sondern auch politische Verfolgung und willkürliche Verhaftungen. Jedoch sind auch in Deutschland Kurd*innen nicht sicher. Im zweiten Halbjahr 2023 lag die Schutzquote bei nur sieben Prozent.
Autoritäre Tendenzen zeigen sich auch in der EU. Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) ist ein Beispiel. Mit dem Ziel der Abschottung begräbt die EU das Menschenrecht auf Asyl, höhlt rechtsstaatliche Grundsätze aus und verleiht autoritären Kräften und Positionen weiteren Aufwind. Der Bedeutungsverlust von Menschenrechten zeigt sich auch schon jetzt in Kürzungen im psychosozialen Bereich.
Auf dem Fachtag wollen wir uns über die Auswirkungen autoritärer Regierungsweisen auf die psychosoziale Arbeit austauschen und am Beispiel politischer Gefangener in der Türkei die Bedeutung von Repression und Exil für unsere Arbeit beleuchten. Dabei richten wir auch einen Blick auf den Zusammenhang mit der europäischen Außen- und Innenpolitik und wie sich diese auf die Arbeit von Gesundheitspersonal in der Türkei und Deutschland auswirken.
Wie gestaltet sich die Arbeit mit Patient*innen unter harschen Bedingungen wie Ressourcenmangel, Entrechtung und drohender Repression? Wie kann mit sekundären Traumata und dem Gefühl von Ohnmacht im Behandlungskontext umgegangen werden? Wie können wir unter diesen Umständen dennoch Heilungsprozesse fördern und den schrumpfenden demokratischen Räumen etwas entgegensetzen?
Seit 26 Jahren haben wir auf unseren Begegnungsreisen in den Südosten der Türkei die beeindruckende und richtungsweisende Arbeit unserer Partnerorganisationen kennen- und schätzen gelernt. Darunter waren die Rehabilitationszentren für Folteropfer der Türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV, welche führend bei der Ausarbeitung des UN-Istanbul-Protokolls zum Nachweis von Folterspuren beteiligt waren. Auch die Organisation CISST leistet wichtige gesellschaftliche Arbeit, um über die Situation und Diversität von Gefangenen in der Türkei aufzuklären.
Mit diesem Fachtag wollen wir zu einem interdisziplinären und internationalen Austausch unter Fachkräften auf Augenhöhe einladen und voneinander lernen. Dazu sind alle Interessierten herzlich eingeladen.
Infos auf einen Blick:
Datum: Freitag, 20. September 2024, 10:30-18 Uhr
Ort: Refugio Berlin, Lenaustraße 3-4, 12047 Berlin
Konferenzsprachen: Die Veranstaltung wird simultan auf Türkisch/Deutsch übersetzt.
Teilnahmegebühren: 30 Euro für Berufstätige einschließlich Verpflegung (außer Abendprogramm), für alle anderen Eintritt frei.
Fortbildungspunkte: Die Akkreditierung der Veranstaltung bei der Berliner Ärztekammer / Psychotherapeutenkammer wird beantragt.
Programm
10:00 Uhr Anmeldung
10:30 Uhr Eröffnung
Gisela Penteker, IPPNW
10:45 Uhr Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen in der Türkei
Jiyan Ay, Psychologin, Vereinigung der Zivilgesellschaft im Strafvollzug (Ceza Ïnfaz Sisteminde Sivil Toplum Dernegi, CISST)
11:30 Uhr
Professionelle Ansätze in der Arbeit mit Folterüberlebenden in der Türkei
Medizinische Versorgung von ehemaligen Gefangenen und Folterüberlebenden
Veysi Ülgen, Arzt, Türkische Menschenrechtsstiftung TIHV, Zweigstelle Diyarbakır
Rehabilitationsangebote nach Folter und Langzeithaft
Eray Erdem, Sozialarbeiter, Türkische Menschenrechtsstiftung TIHV, Zweigstelle Diyarbakır
12:40 Uhr Mittagspause
14:00 Uhr Von der Türkei in die EU – die Fortsetzung von Menschenrechtsverletzungen im Exil
Zana Aksu - Kriegsdienstverweigerer und Menschenrechtsaktivist
14:45 Uhr Kaffeepause
15:00 Uhr Parallele Workshops
- Workshop 1: Umgang mit Schwierigkeiten in der Arbeit mit Überlebenden von Folter und Langzeithaft
- Workshop 2: Sekundäre Traumata. Was auf individueller und institutioneller Ebene für Prävention und Umgang getan werden muss
- Workshop 3: Umgang mit Gefühlen von Ohnmacht in Beratung und Therapie im Kontext von Asylverfahren
16:30 Uhr Kaffeepause
17:00 Uhr Ressourcen für den Umgang mit Repression
Peter Steudtner – Menschenrechtsaktivist und freier Trainer
17:45 Uhr Zusammenfassung & Fazit
Ab 18:00 Uhr Ressourcen auftanken: Konzert, Halay, Snacks und Getränke
Ort
Tagungsgebühr
Berufstätige: 30 Euro
Studierende: kostenfrei
Wir bitten um Überweisung bis zum 8.9.2024.
Konto:
IPPNW e.V.
GLS Gemeinschaftsbank
IBAN: DE 23 4306 0967 1159 3251 01, BIC: GENODEM1GLS
Stichwort: Fachtag Türkei
Programmflyer
Veranstaltet von:
Gefördert durch:
Engagement Global
mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung