Das Standortauswahlgesetz für ein atomares Endlager

06.04.2017 Mit dem Standortauswahlgesetz hatte der Gesetzgeber 2013 die Grundlagen für ein „vergleichendes Verfahren für die Auswahl eines Endlagerstandorts für radioaktive Abfälle“ gelegt. Auf Grundlage der Empfehlungen der „Endlager-Kommission“ wurde das Gesetz im März 2017 modifiziert und konkretisiert. Das gesellschaftspolitische Großprojekt, das komplexeste Infrastrukturprojekt Deutschlands, ist auf Jahrzehnte angelegt und gilt als Testfall für die Demokratie. Sollte es scheitern, müsste der hoch radioaktive Atommüll auf Dauer in Zwischenlagern verbleiben, die faktisch zu Langzeitlagern würden. Es geht um eine große Herausforderung für die Gesellschaft und auch darum, Verantwortung für künftige Generationen zu übernehmen.

 

 

Weitreichende Versprechen

Die Standortsuche für ein „Endlager“ soll sich an hehren Prinzipien orientieren. Das Verfahren soll auf faire, transparente und wissenschaftsbasierte Weise durchgeführt werden:

  • Fair: Das Standortauswahlverfahren startet offiziell von einer "weißen Landkarte", d. h. alle Bundesländer werden einbezogen und alle international verfolgten Endlagerkonzepte in Tonstein, Steinsalz und Kristallingestein werden auf ihre Eignung geprüft.

  • Transparent: Die Öffentlichkeit soll frühzeitig im Verfahren beteiligt werden: durch umfangreiche Informationen, durch überregionale Beteiligungsformate und durch Regionalkonferenzen, die in den betroffenen Gebieten eingerichtet werden. Ein „Nationales Begleitgremium“ hat die Aufgabe, das Auswahlverfahren und insbesondere die Beteiligungsprozesse zu begleiten.

  • Wissenschaftsbasiert: Für die Bewertung der Standorte sollen die geowissenschaftlichen Anforderungen und Kriterien im Vordergrund stehen, die die Endlagerkommission erarbeitet hat. „Die Sicherheit des Endlagers hat bei der Standortauswahl oberste Priorität“, heißt es. Reicht dies nicht zur Festlegung der Standorte, können zusätzliche raumplanerische Kriterien berücksichtigt werden.


Die Schritte des Standortauswahlverfahrens

In drei Phasen sollen die „Suchräume“ für einen „Endlagerstandort“ zunehmend eingeengt werden. Die entsprechenden Vorschläge der Bundes-Gesellschaft für Endlagerung (BGE) werden am Ende jeder Phase vom Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) geprüft. Auf dieser Basis unterrichtet das Bundesumweltministerium den Bundestag und den Bundesrat über die jeweils vorgeschlagenen weiteren Schritte. Die jeweiligen Phasen enden mit einem Bundesgesetz.

Praktisch bedeutet das, dass Wissenschaftler zunächst nach Gebieten suchen, die geologisch für den Bau eines unterirdischen Atommülllagers in Frage kommen. Aus diesen Gegenden sollen Standortregionen in die engere Wahl kommen. Sie werden zunächst oberirdisch auf ihre Tauglichkeit getestet. Erst danach soll sich entscheiden, an welchen Orten gegraben wird, um unter Tage die Tauglichkeit zu testen. Der Standort mit der „bestmöglichen Sicherheit“ soll dann zum Endlager werden. Das so genannte Endlagerbergwerk soll in einer Tiefe von 500 bis 1.000 Metern errichtet werden.

 

Phase 1: Ermittlung der Standortregionen für die übertägige Erkundung

Die BGE sammelt vorhandene geowissenschaftlichen Daten der Länder, bereitet diese auf und wendet die beschlossenen geowissenschaftlichen Kriterien und Anforderungen an. Als Ergebnis veröffentlicht sie ihren Vorschlag für Teilgebiete, den die vom BfE einzuberufende „Fachkonferenz Teilgebiete“ aus Bürgerinnen und Bürgern und Gemeindevertretern aus diesen Gebieten sowie aus Experten erörtert.

Die BGE führt repräsentative vorläufige Sicherheitsuntersuchungen für die Teilgebiete durch und entwickelt die Erkundungsprogramme für die übertägige Erkundung.

Sobald die Standortregionen durch die BGE vorgeschlagen werden, richtet das BfE für das weitere Verfahren je eine "Regionalkonferenz" ein, über die die Öffentlichkeit in der jeweils betroffenen Region zum Vorschlag Stellung nehmen und eine Nachprüfung fordern kann.

Im vom BfE zusätzlich einzurichtenden "Rat der Regionen" kommen Vertreter der Regionalkonferenzen mit Vertretern der Zwischenlagergemeinden zusammen und begleiten das Verfahren aus überregionaler Sicht.


Phase 2: Ermittlung der Standorte für die untertägige Erkundung

In Phase 2 erkundet die BGE die Standortregionen zunächst übertägig, führt weiterentwickelte vorläufige Sicherheitsuntersuchungen sowie sozioökonomische Potenzialanalysen durch.

Die BGE wendet zur Ermittlung der Standorte für die untertägige Erkundung erneut die gesetzlich festgelegten Kriterien und Anforderungen an und erarbeitet Erkundungsprogramme und Prüfkriterien für die untertägige Erkundung. 


Phase 3: Einengung und Festlegung des Standortes für die Endlagerung

In Phase 3 folgt schließlich untertägige Erkundung der Standorte. Die BGE wendet die für diese Erkundung festgelegten Prüfkriterien an, und führt umfassende vorläufige Sicherheitsuntersuchungen durch.

Die BGE wendet zur Ermittlung der Standorte erneut die gesetzlich festgelegten Kriterien und Anforderungen an und erstellt auf Grundlage einer vergleichenden Bewertung einen Standortvorschlag für das Endlager einschließlich eines zugrunde liegenden Standortvergleichs von mindestens zwei Standorten. Auch dieses Ergebnis wird vom BfE geprüft.


Kriterien zur Standortauswahl

Dreh- und Angelpunkt bei der Standortsuche sind die „Kriterien und Anforderungen für die Standortauswahl“, die nun in Kapitel 3 des Gesetzes festgeschrieben wurden.

Unter den „Ausschlusskriterien“ wurden seismisch und vulkanisch aktive Gebiete festgeschrieben. Auch kommen Gebiete nicht in Betracht, deren Gesteinsschichten durch bergbauliche Tätigkeiten oder geothermische Projekte durchlöchert wurden. Auch führen „junge Grundwässer“ zum Ausschluss von Gebieten.

Daneben wurden „Mindestanforderungen“ und „geowissenschaftliche Abwägungskriterien“ festgelegt. Hier geht es beispielsweise um die Schutzfunktion des Deckgebirges.

Hinzu kommen planungswissenschaftliche Abwägungskriterien wie etwa der Abstand zu Wohngebieten. Dabei wurde festgeschrieben, dass die geologischen Kriterien im Interesse der Langzeitsicherheit Vorrang vor den planungswissenschaftlichen Kriterien haben. 


Rückholbarkeit und Bergbarkeit

Das Gesetz regelt auch die lange Zeit strittigen Fragen der „Rückholbarkeit“ bzw. „Bergbarkeit“ des Atommülls: Die Möglichkeit einer Rückholbarkeit soll „für die Dauer der Betriebsphase des Endlagers“, also bis zum Verschluss des Lagers möglich sein.

Die Notfallmaßnahme einer Bergung ist für 500 Jahre nach dem geplanten Verschluss des Endlagers vorzusehen, was insbesondere technische Anforderungen an die Behälter stellt.

 

Beteiligung der Öffentlichkeit an der Standortauswahl

Das Standortauswahlgesetz sieht die intensive „Beteiligung“ der Öffentlichkeit an der Standortsuche vor, ohne aber, dass Standortregionen bzw. Bürger am Ende die Entscheidungen treffen sollen. Vetorechte der Standortregionen sind nicht vorgesehen, um die Errichtung eines „Endlagers“ auf der Basis einer bundesstaatlichen Entscheidung zu ermöglichen.

Vorgesehen ist ein umfassender Kommunikations- und Erörterungsprozess mit zahlreichen Formaten, mit dem das Verfahren beeinflusst werden kann. Auch soll der Eindruck auf glaubwürdige Weise vermittelt werden, dass nach wissenschaftlichen und nicht nach politischen oder wirtschaftlichen Kriterien entschieden wird.

Teil 2 des Gesetzes sieht daher aufwändige „Beteiligungsverfahren“ vor. Dazu gehört eine „Informationsplattform“ des BfE, „Stellungnahmeverfahren“ und „Erörterungstermine“, ein „Nationales Begleitgremium“, eine „Fachkonferenz Teilgebiete“, „Regionalkonferenzen“ sowie schließlich eine „Fachkonferenz Rat der Regionen“.

 

Klagerechte

Nicht zuletzt wurden mit der jüngsten Gesetzesnovelle die Klagerechte Betroffener ausgeweitet. Sowohl die Entscheidung über die untertägige Erkundung gemäß § 17 wie auch der abschließende Standortvorschlag gemäß § 19 können beklagt werden. Erst- und letztinstanzlich zuständig ist das Bundesverwaltungsgericht.

Dabei wurde klargestellt, dass der Bundestag über die Standorte für die untertägige Erkundung bzw. über den endgültigen Standort erst dann zu entscheiden hat, wenn die Klageverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht abgeschlossen sind.

 

Veränderungssperren

Von Relevanz sind nicht zuletzt auch die Regelungen in § 21, wonach bundesweit Gebiete, die grundsätzlich als Endlagerstandort in Betracht kommen, vor Veränderungen zu schützen sind.

Diese Veränderungssperren erhöhen die Freiräume bei der Endlagersuche, können aber andererseits wirtschaftliche Betätigungen auf Jahrzehnte einschränken. Das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit erhielt relativ weitreichende Befugnisse, bergbauliche Betätigungen zu untersagen.

 

Henrik Paulitz

 

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