Beschluss der Mitgliederversammlung vom 27.04.2024

Nukleare Aufrüstung und Militarisierung im Gesundheitswesen

Die IPPNW fordert die Bundesregierung auf:
•    eine europäische atomare Aufrüstung entschieden abzulehnen;
•    die Anschaffung neuer F35 Kampfjets und der nuklearen Teilhabe zu beenden;
•    dem Atomwaffenverbotsvertrag (AVV) beizutreten;
•    sich für die Wiederbelebung von dringend notwendigen Abrüstungsverträgen einzusetzen;
•    keine Militarisierung des Gesundheitswesens durch ein neues Gesundheitssicherstellungsgesetz umzusetzen.

Begründung

Die eigentliche Zeitenwende war der 06. August 1945, an dem die erste Atombombe über Hiroshima gezündet wurde. Der Philosoph Günther Anders nannte diesen Tag „ein monströses Datum der Weltgeschichte“. Erstmals war der Mensch in der Lage, alles Leben auf unserem Planeten auszulöschen. Genau zwei Tage später, am 08. August und nur einen Tag, bevor die zweite Atombombe über Nagasaki abgeworfen wurde, wurde die Charta des „Internationalen Militärtribunals“ in Nürnberg formuliert, die juristische Grundlage für die Strafwürdigkeit von „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

In den 80er Jahren konnte die Friedensbewegung zu einer starken Reduzierung des weltweiten Atomwaffenarsenals beitragen, was schließlich zum Abschluss des INF-Vertrages 1987 zwischen der USA und der Sowjetunion führte. 1996 erklärte der Internationale Gerichtshof eine Bedrohung oder Anwendung von Atomwaffen generell für völkerrechtswidrig. Im gleichen Jahr wurde der umfassende Atomwaffenteststoppvertrag (CTBT) abgeschlossen. 72 Jahre nach dem Abwurf der ersten Atombombe gelang ICAN 2017 mit dem Atomwaffenverbotsvertrag in der UNO ein großartiger Erfolg. Zum ersten Mal umfasste ein Abrüstungsvertrag auch die Entschädigung der Opfer und die Sanierung der Umwelt. Drei EU-Staaten, Irland, Malta und Österreich sind dem Atomwaffenverbotsvertrag bereits beigetreten.

Inzwischen ist ein neuer weltweiter atomarer Rüstungswettlauf im Gang. Fast alle bestehenden nuklearen Abrüstungs- und Kontrollverträge wurden gekündigt, nur noch der bilaterale New START-Vertrag bleibt bis Anfang 2026 gültig, aber ein Nachfolgevertrag ist nicht in Sicht.

Im Jahr 2024 ist das Atomkriegsrisiko so hoch, wie selbst in Zeiten des Kalten Krieges nicht. Dazu tragen die Aufkündigung der nuklearen Abrüstungsverträge, die Klimakrise, die Gefahren durch Cyberkriegstechnologien und Künstliche Intelligenz und die zunehmenden weltweiten Spannungen, insbesondere die eskalierenden Kriege in der Ukraine und in Nahost bei. Durch die immer kürzer werdenden Vorwarnzeiten steigt das Risiko eines „Atomkriegs aus Versehen“.

Dennoch gilt nukleare Abschreckung für viele wieder als friedenssichernd. Im aktuellen Europawahlkampf wird erneut eine Debatte losgetreten, Europa müsse sich atomar aufrüsten und könne so seine Sicherheit erhöhen. Sogar die Forderung nach einer deutschen Atombombe ist nicht mehr tabu. Dass dies gar nicht möglich wäre, ohne aus dem Nichtverbreitungsvertrag auszutreten oder den 2+4-Vertrag zu verletzen, wird nicht gesagt. Die Beschädigung des letzten Vertrages, der zur Abrüstung verpflichtet, dem Nichtverbreitungsvertrag von 1970 (NVV), den Deutschland sowie alle EU-Staaten unterzeichnet haben, wird bei dieser Diskussion bewusst in Kauf genommen.

Belgien, Italien, die Niederlande, die Türkei und Deutschland halten weiterhin an der nuklearen Teilhabe mit US-Atomwaffen fest. In diesen Ländern wird sie gerade durch Modernisierung der atomaren Sprengköpfe (B61-12), als auch durch neue Trägerflugzeuge (F-35) ausgebaut. Russland hat seit 2023 in Belarus Atomwaffen stationiert.

Begleitend dazu findet eine beispiellose Militarisierung aller gesellschaftlichen Bereiche statt, in Zivilschutz, Bildung und im Gesundheitswesen. Die Vorlage dazu ist die neue „Nationale Sicherheitsstrategie“. „Kriegstüchtigkeit“, „Resilienz“ und „Wehrhaftigkeit“ sind die neuen Tugenden, die die gewünschte Richtung vorgeben. Die Reaktivierung von Bunkern wird wieder diskutiert. Das „Gesundheitswesen soll durch das künftige „Gesundheitssicherstellungsgesetz“ für den Kriegsfall ertüchtigt“ werden, so Verteidigungsminister Boris Pistorius. Besonders die zivil-militärische Zusammenarbeit soll gestärkt werden. Im Kriegsfall könne Deutschland, so die Planung, zur europaweiten Drehscheibe für Verletzte werden. Das würde bedeuten, dass das zivile Gesundheitswesen einen erheblichen Teil seiner Ressourcen und seines Personals dem Militär zur Verfügung stellen müsste. Eine finanzielle Aufstockung für das Gesundheitswesen ist nicht vorgesehen. Dabei hat schon die Pandemie das Gesundheitswesen an den Rand der personellen und finanziellen Leistungsfähigkeit gebracht.

Für die Bundeswehr plant der Verteidigungsminister, den Sanitätsdienst der Bundeswehr als eigenständige Organisation aufzulösen und den militärischen Strukturen unterzuordnen, was den geschlossenen Widerspruch aller Verbände des Gesundheitswesens von Bundesärztekammer bis zur Deutschen Krankenhausgesellschaft hervorgerufen hat. Sie haben berufsrechtliche Bedenken und sehen die Freiheit des Arztberufes in Gefahr.

Wie in den 1980er Jahren erlebt die Diskussion der Triage im Kriegsfall eine Renaissance. Letztendlich geht es in der Katastrophenmedizin immer um die Priorisierung knapper medizinischer Hilfeleistung. In Kriegszeiten dagegen hat die Triage einen ganz anderen Charakter. In erster Linie geht es um die Einsatzfähigkeit von Soldat*innen. Sollten medizinische Ethik und militärische Logik in Konflikt geraten, hätte das Militärische den Vorrang.

Wieder sollen Notfallpläne und das Erlernen der Triage das Gesundheitswesen auf eine kriegerische Auseinandersetzung bis zu einem Atomkrieg vorbereiten. Die Vorstellung, man könne in einem Atomkrieg sinnvolle medizinische Hilfe leisten, ist eine fatale Illusion. „Wir werden Euch nicht helfen können“ war damals die zentrale Aussage des ersten IPPNW-Kongresses. In der Frankfurter Erklärung von 1982 hieß es: „Ich halte alle Maßnahmen und Vorkehrungen für gefährlich, die auf das Verhalten im Kriegsfall vorbereiten sollen. Ich lehne deshalb als Arzt jede Schulung oder Fortbildung in Kriegsmedizin ab und werde mich daran nicht beteiligen. Das ändert nichts an meiner Verpflichtung und Bereitschaft, in allen Notfällen medizinischer Art meine Hilfe zur Verfügung zu stellen und auch weiterhin meine Kenntnisse in der Notfallmedizin zu verbessern.“

Damals musste die Bundesregierung die vorgesehene Pflichtfortbildung für Ärzt*innen zur Triage wegen der großen Proteste zurücknehmen. Die Erklärung gilt heute unverändert. Atomwaffen schützen nicht und schaffen keine Sicherheit. In einem Atomkrieg gibt es keine medizinische Hilfe. Die Prävention bleibt die einzige Alternative.

Beschlossen von der IPPNW-Mitgliederversammlung am 27. April 2024 in Frankfurt a.M.

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