Ägypten 2004

von Johanna Manske

Ägypten!
Meine erste Assoziation waren Touristenclubs am Roten Meer, in denen sich Massen von Mitteleuropäern für eine Woche hinfliegen lassen um nichts anderes zu tun, als zu tauchen, dem Konsum zu frönen und sich die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen. Der zweite Gedanke war: ein arabisches Land! Verschleierte, unterdrückte Frauen, die sich nicht frei bewegen, und schon gar nicht einen Beruf ergreifen dürfen; Heimat des Terrors; Menschenrechtsverletzungen wo man nur hinsieht.
Dass die Touristen genauso übertrieben sind wie die Terroristen und die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegen muss, war mir natürlich klar. Offen blieben jedoch viele Fragen: Was ist Ägypten wirklich für ein Land? Wie leben die Leute dort? Wie denken junge Menschen? Einige Antworten bekam ich in den 2 Monaten, in denen ich an dem Projekt von IPPNW "famulieren & engagieren" in Mansoura teilnahm.

Mansoura, eine Provinzstadt am Nil, mitten im Delta.
Eine Million Einwohner, eine große Universität, Verwaltungssitz für ein großes landwirtschaftlich genutztes Gebiet... und gar nicht viel Charme. Deshalb verirren sich auch sehr selten Touristen nach Mansoura, was für mich den Vorteil hatte, das nicht von Touristen verwöhnte bzw. überschwemmte Ägypten kennen zu lernen.
Ich wohnte luxuriös in einer großen, komplett eingerichteten Wohnung, die die Studierendengruppe für mich organisiert hatte. Diese hatte ich die meiste Zeit für mich allein, 2 Wochen teilte ich sie mit einer Studentin aus Polen. Meine Straße war dann das erste was mich auf ägyptisch willkommen hieß: nur teilweise geteert, mal zieht ein Zwiebelverkäufer auf seinem Eselkarren durch, ein andermal ist es eine ganze Schafherde, und die Menschen leben auf der Straße, nicht nur, dass hier Kinder spielen, hier wird auch gegessen, ferngesehen, gewaschen, usw.
In der Stadt fiel ich als Europäerin natürlich auf, wo immer ich auch hinkam. Sowohl beim Bäcker oder im Taxi musste ich meine paar Wörter arabisch zusammenkratzen und Fragen beantworten: Wo ich herkomme und was ich hier mache. "Welcome to Egypt" hörte ich zig mal am Tag. Von meinen Kollegen und Kolleginnen an der Uniklinik wurde ich oft zum Essen eingeladen. Auf der Straße wurde ich ständig gefragt ob ich Hilfe bräuchte; das war immer sehr lieb gemeint, war mir aber hin und wieder zu viel der Freundlichkeit.

Famulatur
Ich famulierte an der Uniklinik, und zwar 2 Wochen in der Kinderheilkunde und 2 Wochen in der Frauenklinik.
In der Kinderklinik bekam ich einen festen Stundenplan, wann ich wo in welcher Ambulanz zu sein hätte oder wann ich an Visiten teilnehmen sollte. Da ich aber schnell merkte, dass in Ägypten nicht immer das stattfindet was geplant ist, suchte ich mir sehr bald meine Ärzte selbst, die gut auf Englisch erklären konnten, mir Patienten vorstellten und dies auch sehr gerne taten. So kam ich auf die Kinderonkologie, -kardiologie, -neurologie, -gastrologie und sah dort Fälle, die ich aus Deutschland nur aus dem Lehrbuch kannte, wenn überhaupt.
In der Frauenklinik war ich von Anfang an mehr auf mich allein gestellt. Ich verbrachte die meiste Zeit im Kreißsaal und auf der Risikoschwangerschaftsstation, ab und zu verirrte ich mich auch in den OP und schaute bei Kaiserschnitten zu. Gerade im Kreißsaal stellte ich Unterschiede zu der Situation in deutschen Kliniken fest, hier herrschte ein schärferer Umgangston mit den Gebärenden.
Einige Abende in der Woche verschlug es mich in die Notaufnahme der Klinik. Dort war vor allem spannend zu sehen, was das wichtigste bei der Diagnosefindung ist, wenn man nicht alle medizinisch-technischen Möglichkeiten unbegrenzt zur Verfügung hat. Die meisten Patienten kommen sehr spät mit ihrer Krankheit zum Arzt, oder müssten eigentlich dauerhaft mit Medikamenten behandelt werden, wozu ihnen aber die Mittel fehlen. Statt dessen kommen sie immer wenn sie einen akuten Schub haben ins Krankenhaus, um nach ein paar Tagen zu Hause weiterzuleben wie zuvor.
Überall fand ich nette Ärzte, die mir lang und ausführlich alles erklärten. Ich bekam einen Eindruck von dem berühmten bedside-Teaching, das im englischsprachigen Raum verbreitet ist und bei uns immer sehr gelobt wird - und das berechtigter Weise. Man wird als Student nicht nur mitgeschleift, sondern dem Arzt liegt daran, dass man auch was lernt und fragt zu jedem Krankheitsbild der Patienten gründlich ab.
Weil sie ihre ganze Ausbildung auf englisch absolvieren, sprechen in Ägypten die Ärzte sehr gut englisch. Deshalb stellte nur die Kommunikation mit den Patienten ein Problem dar, denn leider konnte ich nicht genug arabisch, um mich mit ihnen wirklich unterhalten zu können.

Im zweiten Teil, dem Sozialprojekt, mussten wir etwas improvisieren, da das ursprünglich geplante umweltmedizinische Projekt dieses Jahr nicht statt finden konnte. So bestand mein Sozialprojekt aus mehreren kleinen Teilen, wobei jedes für sich anders spannend war.
Zuerst bekam ich ein General Hospital zu sehen, das im Gegensatz zu den modernen Zentren der Uniklinik das Auffangbecken für jeden kranken Ägypter darstellt. Hier bekam ich Verhältnisse zu sehen, die ich vorher noch nicht gesehen hatte: Ein großer Schlafsaal, mit zum Teil doppelt belegten Betten und solchen hygienischen Bedingungen, dass die streunenden Katzen keinen störten. Hier begleitete mich Sayed, einer der mich um- und versorgenden Studenten, und übersetzte, um herauszufinden, was es heißt „mehr als arm“ zu sein. So konnte ich die Patienten nach ihrem sozialem Umfeld fragen, z.B. wie und wo sie normalerweise leben, was sie arbeiten und wie groß ihre Familien sind.
Nach diesem Muster war auch der Aufenthalt in der Onkologischen Klinik geplant. Da ich jedoch keinen zum Übersetzen gefunden hatte, lief es dort ab, wie bei einer "normalen" Famulatur: da es den Doktors anscheinend schwer fällt, sich auf den Patienten neben seiner Krankheit zu konzentrieren, lernte ich außer dem Krankheitsbild nichts über den Patienten als Mensch.
Besonders nett fand ich die Erfahrung, ein Heim für behinderte Kinder besuchen zu können. Das war eine Tagesstätte für geistig behinderte Kinder, die je nach dem Grad ihrer Einschränkung gefördert wurden. Es gab Klassen zur Sprachförderung, zum Üben von motorischen Fertigkeiten, eine Handarbeitsklasse und Unterricht in Arabisch und Mathe.
Und schließlich lernte ich noch eine Krankenstation auf dem Land kennen. Das Dorf war vielmehr eine Arbeiter- oder Fischersiedlung am Mittelmeer in der Nähe von Port Said. In Care Units wie diese werden junge Ärzte am Ende ihrer Ausbildung für ein Jahr hinversetzt und müssen sich mit einem großen Medikamentenschrank und sonst so gut wie keiner Ausstattung zurechtfinden. Allerdings kamen auch nicht allzu viele Patienten, und diese meist mit Husten, Durchfall oder zu versorgenden Wunden. Größeren Anforderungen wäre die Krankenstation auch nicht gewachsen gewesen.

Die Studierendengruppe in Mansoura hat mich bestens betreut und mir auch am Wochenende Ausflüge organisiert und so kam ich nach Kairo, Gamasa am Mittelmeer oder Alexandria. Dabei hat mich Kairo enorm beeindruckt: eine Stadt der Gegensätze, hoch modern und schick, aber auch alt, mit Stadtteilen, die aus dem 10.Jahrhundert stammen; Basare in denen man alles findet: von Wasserpfeifen und Bauchtanzkostümen über antike Lampen und Teller, orientalischen Gewürzen bis zu kitschigen Plastikpyramiden. Hier reiht sich außerdem ein Café an das andere.
Zeit für ein bisschen Urlaub und das Pyramiden-, Tempel-Sightseeing-Programm und einige erholsame Tage am Meer blieb natürlich auch.

Im großen und ganzen habe ich mich sehr wohl gefühlt in Ägypten, auch wenn ich das ständige Auffallen als Ausländer - das der-bunte-Hund-sein - am Ende sehr anstrengend fand.
Ich habe viel mitbekommen von einer Gegend und einer Kultur, die mir zuvor völlig fremd war. Es war eine einmalige Chance in dieser Form der arabisch-islamischen Welt ein bisschen näher zu kommen. Hoffentlich konnte ich durch meinen Anwesenheit auch ein bisschen Europa nach Ägypten bringen und so das Verständnis füreinander auf beiden Seiten fördern.

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