Aus IPPNW-Forum 102/06

Ob das Glück hier anders funktioniert?

Definitionen von Glück

Was bedeutet für Dich "Glück" fragten Medizinstudierende, die im Sommer 2006 am "famulieren & engagieren" -Programm teilnahmen, Menschen in ihren Projektländern: im Krankenhaus, im Sozialprojekt, im Bus, auf der Straße:

Ich habe in Mazedonien Alexandar kennen gelernt. Er lebt zusammen mit seinem Vater und seiner Mutter und verkauft Babykleidung auf dem Bazar. Das Geld, die Schule zu beenden, hatte er nicht. Sein Gehalt ernährt alle drei Personen im Haushalt. Der Vater arbeitet auch auf dem Bazar, aber er verdient nur 50 Euro. Die Mutter hatte einen Schlaganfall. Was bedeutet Glück für ihn? Wenn die Leute hier in Mazedonien Verständnis füreinander haben. Er arbeitet mit den Albanern und bekommt die Spannungen jeden Tag mit. Auch am eigenen Leibe. Kinder. Familie.
Im Prinzip das Gleiche wie für mich. Nur wird es für mich mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann Wahrheit werden. Für ihn ist das alles sehr weit weg, denn all das muss er sich erst einmal leisten können.
Frederike Poetsch (Freiburg) aus Mazedonien

Ich habe also Manisha und Himanshu gefragt, was Glück für sie bedeutet. Es wurde eine über Tage andauernde Diskussion. Der Satz "We leave it to God" ist die wohl beste und kürzeste Umschreibung der indischen Glücklichkeit. Am sechsten Tag wird das Schicksal eines jeden Menschen geschrieben. Alles was im Leben passiert, wurde von Gott also so gewollt. "We do our level best." Jeder Inder wird versuchen, jeden Tag sein Bestes zu geben, alles, was dann passiert, wird akzeptiert, da es außerhalb des Beeinflussbaren war. Stirbt ein Mitglied einer Familie, werden Freunde und Familie kommen und jeder wird sagen: "Es stand so geschrieben."
Natürlich haben auch Inder konkrete Wünsche, die sie glücklich machen. Manisha, 39 Jahre alt und Mutter von zwei Kindern, kann die Wünsche, die sie hatte, sehr konkret nennen: 1. einen Mann für ihre jüngere Schwester, denn ihre Eltern starben, als die Schwester gerade 23 Jahre alt war. So lag die wichtige Aufgabe, einen Mann für ihre Schwester auszusuchen, in ihrer Verantwortung. 2. einen Sohn. Nachdem das erste Kind eine Tochter war, hatte Manisha eine sekundäre Infertilität. Ihr sehnlichster Wunsch (und auch der der gesamten Familie) war jedoch einen Sohn zu gebären. Nach verschiedensten Therapien und Interventionen riet ihr ein Priester alles abzusetzen und nur noch zu beten und, siehe da, nach zwei Monaten war sie schwanger und schenkte ihrem Mann einen Sohn. Und der dritte Wunsch? Als sie und ihr Mann ihr neues Haus fertiggestellt hatten, sagte Manisha zu ihm, jetzt habe sie alles, was sie im Leben gewollt hatte, bekommen.
Kirsten Schubert (Ulm) aus Indien

Alen besitzt eine Ferienwohnung in Bjelaznisca. Vor dem Krieg hatte er eine in Jahorina. Beide Berge sind in der Nähe Sarajevos und waren Austragungorte der Winterolympiade 1984. Jahorina gehört jetzt allerdings zur Republika Srpska (also hat Alen die Wohnung dort verkauft). In Bjelaznica sind dagegen ein paar Skilifte mehr zerstört worden… . Maja wollte nach dem Studium, das sie wegen des Krieges in Zagreb beendet hat, gerne in Sarajevo arbeiten. Entweder jedoch hat man Geld, um sofort einen Job an der Uniklinik zu bekommen bzw. ein Jahr umsonst zu arbeiten, oder man hat Beziehungen. Ihr fehlte beides und so wurde sie drei Jahre in die Provinz versetzt, bis sie eine Facharztweiterbildungsstelle bekam.
Ich würde gerne einfach mal in die Natur. Die Berge um Sarajevo und überall im Land, wo sonst noch die Front war, sind zum großen Teil immer noch vermint. Aber dann entdeckte ich Bukovik, minenfreies Gelände. Außer mir genießen auch viele Bosnier den entspannten Sonntagsausflug mit einem Nickerchen auf einer Wiese.
Drei Beispiele, die zeigen, dass das Glück wohl nicht anders funktioniert, dass es nur einfach ein wenig komplizierter ist, es auch zu finden.
Susanne Krasz (Dresden) aus Bosnien & Herzegowina

"I want to become a specialist" sagen mir fast alle PJ-Studierenden hier und pauken jede freie Minute für die zentrale medizinische Staatsprüfung T.U.S., um eine begehrte Stelle für die Facharztausbildung ihrer Träume zu ergattern. Spezialist zu sein, das bedeutet im Gegensatz zu unspezialisierten Familienärzten, Respekt und Ansehen in der Gesellschaft und - noch viel wichtiger - in der eigenen Familie.
Was Glück für Sehnazin bedeutet, kann ich sie leider nicht fragen; sie sitzt neben mir im Bus von Ankara ins osttürkische Van. Ich verstehe nur, dass sie drei Kinder hat und ihr Mann wegen einer Krebsbehandlung in Ankara im Krankenhaus ist. Lesen und Schreiben könne sie nicht, wie viele (besonders Frauen) im Südosten des Landes. So bleibt uns nur, gemeinsam einen Tee zu trinken. Das ist schön, aber mir wird mal wieder, wie so oft in diesem Sommer, bewusst, was es für ein Glück wäre, über eine gemeinsame Sprache seine Gedanken miteinander teilen zu können.
Anja Siegert (Göttingen) aus der Türkei

Heute morgen habe ich Dave kennen gelernt. Ich soll ihm helfen die Anmeldung für eine der Entzugseinrichtungen hier in Dublin auszufüllen. Mit 17 hat Dave Irland verlassen, er hat in Deutschland und einigen anderen Ländern Europas gewohnt. Eigentlich geht es ihm anfangs immer gut, bis er in eine seiner depressiven Phasen verfällt. Dann wird jede Situation unausstehlich für ihn. Wie viel er dann trinkt? Das kann er schlecht sagen, ebenso lange bis er nicht mehr stehen kann oder bis der Pub seine Türen schließt. Irgendwann kann ich ihn nach seiner Auffassung von "pursuit of happiness" fragen. Und die Antwort schießt förmlich aus ihm heraus. "Just to have a normal life, that would make me happy"
Ich habe viele Menschen hier nach ihrer Auffassung von Glück gefragt und interessanterweise können mir Ärzte, Krankenschwestern und Studenten häufig keine spontane Antwort geben, während viele der Obdachlosen, Alkohol- und Drogenabhängigen meist genau wissen, was es für sie bedeuten würde, glücklich zu sein. Vielleicht stimmt es also, was ich in einem Zeitungsartikel hier gelesen habe: "A happy and meaningful existence depends on the ability to feel all kinds of emotions, not only happiness, but also emotions which compete with happiness."
Franziska König (Würzburg) aus Irland


Eine lächelnde Frau, ein lächelnder Mann, zwei lachende junge Mädchen – ein Bild wie aus einer Fernsehreklame - dies ist das Bild, das mir Junji, ein junger Rettungssanitäter entgegenhält, als ich ihn nach seiner Vorstellung von Glück frage. Diese Antwort bekomme ich von fast jedem Japaner: Studenten, Schwestern, Supermarkt-Verkäuferinnen, Büroangestellte - niemand kann sich ein glückliches Leben ohne Partner und vor allem Kinder vorstellen. Kein Wunder: Kinder genießen eine Sonderstellung in Japan, frei von den Tausenden von Regeln und Konventionen, die das Leben eines erwachsenen Japaners so schwierig machen. Und sogar der Dekan vergisst angesichts seiner kleinen Neffen einen Augenblick seine Stellung weit oben in der Hierarchie und tobt mit ihnen über den Teppich… "Kodomo" sind eben eine gute Ausrede, um mal nicht den Konventionen von Hierarchie und Höflichkeit zu folgen. Paradoxerweise vergreist die japanische Bevölkerung genauso wie die aller Industrienationen. Apropos ältere Bevölkerung: Im Supermarkt frage ich eine ältere Dame, was sie unter Glück versteht: "Dass ich immer noch so gesund bin wie früher", antwortet sie mir, "ich bin 81, aber ich kann immer noch das…". Sie bückt sich und legt locker beide Handflächen auf den Boden ohne auch nur ein bisschen die Knie zu beugen…da kann man schon neidisch werden.
Markus Schawaller (Lübeck) aus Japan

Lachen, lachen, lachen. Die Menschen sind eigentlich die meiste Zeit fröhlich, wenn man fragt, warum wissen sie keine genaue Antwort, sondern sind einfach nur fröhlich. Die Mitarbeiter im Waisenhaus sagen, dass sie "happy" und zufrieden sind, wenn die Menschen um sie herum glücklich sind, wenn es keinen Streit gibt, wenn sie lustige Witze erzählen. Für T., ein zehnjähriges Mädchen im Waisenhaus, hieß Glück 30 km durch den Busch zu laufen auf der Suche nach dem Ort, von dem sie wusste, dass ihr Bruder dort war, Essen und Kleidung bekam, die Möglichkeit hatte, in die Schule zu gehen, zu lernen und zu spielen. Also die Möglichkeit, das Leben eines ganz normalen Kindes zu führen und nicht mehr auf viele andere Geschwister und sonstige Verwandte aufzupassen, die alle bei der sehr alten und gebrechlichen Oma nach dem Tod der Eltern Unterschlupf fanden.
Judith Lindert (Frankfurt) aus Kenia

"Ein guter Mensch gewesen zu sein - das ist alles, was ich wirklich möchte. Am Abend zu wissen, dass es gut war, wie ich heute gelebt habe und dass es morgen keine Augen geben wird, in die ich nicht freimütig und ruhig blicken kann. Es ist nicht immer leicht mit dem Wissen zu leben, dass ich es hier in den USA sehr gut habe im Vergleich zu den meisten Menschen auf der Welt. Auch wenn ich hier am unteren Ende der Leiter stehe, alt und mittellos bin, krank und hässlich noch dazu - ich weiß, dass ich trotzdem sehr viel Glück gehabt habe, hier geboren zu sein. Ich hatte es nie wirklich schwer, ich meine nicht so, wie ich es manchmal im Fernsehen in anderen Ländern sehe, wo Mütter bitterlich um ihre verlorenen Kinder weinen, Hunger und Elend, Krieg und Gewalt das tägliche Brot sind. All das musste ich nicht erleben, das ist ungerecht, aber ich bin dem Leben trotzdem unendlich dankbar dafür.Ich habe nie große Taten vollbracht, war nie eine Heldin, war nie wichtig in der großen Welt. Aber warum auch, ich habe meine kleinen Siege errungen, habe meine Welt um mich herum geliebt wie ich es konnte und Tag um Tag versucht, zum Guten zu kommen."
Christina Mußler (Leipzig) aus den USA - Frühstücksgespräche mit Mitbewohnerinnen im YWCA-Heim


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