01.12.2012 Mein Posteingang am Mon, 30. Apr 2012 11:23:45:
„Das f&e-Team hat am Samstagabend entschieden, dass wir Dich im Sommer 2012 bei "famulieren & engagieren" gerne dabei haben wollen, und zwar in Kenia!“
Kenia? Nach einem ersten Freudenhüpfer, kam ein etwas unsicheres Gefühl in mir auf. Hatte ich mich doch eigentlich bei meiner Bewerbung vor allem für die Türkei ausgesprochen und mich innerlich mit dieser auseinander gesetzt. Ich fing an ein wenig in meinem – etwas spärlichen - Gedächtnis zu kramen. Ostafrika wusste ich. Etwas verschwommen erinnerte ich mich auch noch an die vielen Medienberichte über die „Post electionviolences“ einige Jahre zuvor. In Mikrobiologie hatten wir im Zusammenhang mit „SexuallyTransmittedDiseases“ mal ganz kurz das Thema Sextourismus angerissen… viel mehr fiel mir im ersten Moment nicht ein.
Ich musste kurz inne halten und überlegen. Hatte ich mich doch in erster Linie an f&e gewandt mit der Hoffnung, etwas mehr über den sprachlichen, kulturellen, religiösen und politischen Hintergrund der vielen ausländischen oder aus Einwanderfamilien stammenden Patienten aus meiner ersten Famulatur zu erfahren. Es zog mich vor allem in die muslimisch geprägten Länder im Nahen und Mittleren Osten.
Es kam also von Anfang an anders. Und es war gut so, denn es war die perfekte Einleitung für ein Land, in dem es meistens anders kommt als man es plant. Wenn man das weiß und bereit ist für einige Zeit damit zu leben, dann wird man in Kenia reich beschenkt. Ich bin sehr dankbar darüber, dass mich die Teamer von f&e so eingeschätzt haben und mir somit diese reichhaltige Erfahrung ermöglicht haben. Ich wurde nicht im geringsten enttäuscht!
Famulatur
Nie im Leben hätte ich mir träumen lassen so viel beigebracht zu bekommen. Ich wurde sehr herzlich willkommen geheißen und durfte überall reinschnuppern. Die ersten zwei Wochen habe ich damit verbracht das Krankenhaus mit den verschiedenen Stationen sowie „Out Patient Clinics“ (für die nicht stationären Patienten) kennen zu lernen. In Kenia ist es nicht sinnig, viel im Vorhinein zu organisieren. Es kommt ohnehin anders als man denkt. Ich habe morgens einfach gefragt, ob ich auf eine bestimmte Station oder ins Labor könne, und meistens war ich herzlich willkommen oder wurde auf einen anderen Tag verwiesen, an dem erfahrungsgemäß mehr los war. Bei all der Herzlichkeit, der Interesse am Herkunftsland, der Herkunftsuni und der bereitwillig und ausführlichen Beantwortung meiner Fragen musste ich die Erfahrung machen, dass ich manchmal etwas wichtiger genommen wurde als die Patienten… was letztlich dazu führte, das ich in vielen Situationen meine Neugierde etwas unterdrücken musste.
Effizienz ist nicht gerade das Steckenpferd der Kenianer... Zeit ist nicht gleich Zeit. Die Kenianer haben sehr viel davon. So viel, dass viele Arbeitsabläufe zwei- bis viermal so lange dauern wie unsereins das gewohnt ist. Dies war für mich gewöhnungsbedürftig und teilweise auch frustrierend.
Letztendlich bin ich mit viel Leidenschaft auf der Gynäkologie und Geburtshilfe hängen geblieben. Ein sehr dankbarer Bereich der Medizin, und eine Station auf der auf jeden Fall immer etwas los war. Das Krankenhaus in dem ich war (MbagathiDistrict Hospital in Nairobi, 200 Betten) war recht gut ausgestattet und verfügte sogar über einen eigenen OP-Saal. Trotzdem ist der Standard was Hygiene und Ausstattung anbelangt – nicht aber die Qualifikation der Ärzte! – auf keinen Fall mit denen in Deutschland zu vergleichen. Hinzu kommt außerdem, dass Patienten oft sehr lange warten, bevor sie medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Somit ist die Rate an Komplikationen natürlich wesentlich höher und die Auseinandersetzung mit dem Tod viel stärker in den Alltag verflochten, als das in Deutschland in der Peri- und Postnatalperiode der Fall ist.
Sozialprojekt Hope World Wide Kenya
Mein Sozialprojekt war in einer kleinen Klinik, die mitten im Mukuru Slum liegt. Sie wird von Sozialarbeitern und einer Krankenschwester betrieben. Und, was ich sehr schön fand, von Slum Bewohnern selber. Die Klinik ist die erste kostenlose Anlaufstelle für die Bewohner von Mukuru und gleichzeitig auch ein Ort, an dem viel über HIV/AIDS aufgeklärt wird, getestet und behandelt wird. Außerdem gibt es viel Raum für die Themen Familienplanung und Verhütung, für nicht infizierte genauso wie für sog. „Living positives.“ Die „Alten Hasen“ unter den Patienten sind direkte Ansprechpartner für die neu getesteten und HIV+ Patienten und helfen Ihnen (wenn gewünscht auch den Angehörigen) Stück für Stück in Einzelgesprächen aber auch in kleinen Selbsthilfegruppen weg von dem Bild des vermeintlichen Todesurteils HIV und der Stigmatisierung zu kommen.
Leider merkt man, dass nicht alle Mitarbeiter wirklich mit Herz und Seele bei der Sache sind. NGOs gehören zu den besser zahlenden Arbeitgebern. Tee trinken und eine ausgedehnte Mittagspause war immer ein wichtiger Teil des Tagesablaufes. Das war für mich manches Mal aufwühlend. Auch empfand ich das hierarchische Gefälle zwischen der behandelnden Schwester und den oft sehr eingeschüchterten Patienten als unangemessen groß. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich das dort gesprochene „Sheng“ (Eine Mischung aus Suaheli und Englisch) kaum verstand und somit oft auf die Übersetzung der Krankenschwester angewiesen war. Zudem kommt dass Gestik und Mimik in Kenia doch den ein oder anderen Unterschied zu unseren gewohnten aufweisen und es sicherlich auch mal zu der ein oder anderen Fehldeutung meinerseits kam. Zwar ist English neben Suaheli die offizielle Landessprache, aber um es zu lernen muss man auch Zugang zu Schulbildung haben. Diese ist nicht für alle Slum Bewohner erschwinglich bzw. erstrebenswert.
Wohnen
Ich hatte das Glück, dass eine der Ärztinnen in Mbagathi, kurz vor meiner Anreise noch ein Zimmer in einem kleinen Studentenwohnheim (insgesamt fünf Bewohnerinnen) gleich in der Nähe des Krankenhauses für mich gefunden hatte. Ich konnte somit täglich zu Fuß ins Krankenhaus gehen. Es war ein Mädchenwohnheim und in der Zeit in der ich dort war, bewohnten es Muslime. Zwei davon waren auch Medizinstudentinnen, da es auch gleich in der Nähe vom Kenyatta Hospital, dem Universitätsklinikum lag. Ein paarmal bin ich auch mit in eine Vorlesung oder zum Mikroskopieren gegangen, was sich kaum von unserem Unterricht unterschieden hat. Als ich dort war, war gerade Ramadan. Meine Mitbewohnerinnen, begeistert von meiner Neugierde, haben mich viel über den Islam in ihrem Alltag mit diversen Ritualen gelehrt. Für ein Wochenende wurde ich sogar zu einer muslimischen Hochzeit in Mombasa, der Heimatstadt einer meiner Mitbewohnerinnen, eingeladen. Ein Erlebnis das ich niemals vergessen werde. Während des zweiten Monats habe ich dann in einer WG ebenfalls unweit des Krankenhauses gelebt. Diese hatte ich recht problemlos durch etwas herumfragen gefunden.
Leben außerhalb der Kliniken
Ursprünglich hatte ich geplant, den ersten Monat in Nairobi und den zweiten in einem kleinen Dorf im Westen des Landes bei einer Außenstelle von Hope World Wide Kenya zu verbringen. Es war zwar nicht die erste Reise in ein Entwicklungsland für mich, dennoch war es das erste Mal Afrika, und ich merkte schnell dass die vielen neuen Eindrücke in der Hauptstadt für mich so schnell nicht zu verarbeiten waren. Außerdem hatte ich das Bedürfnis einige der vielen Bekanntschaften, die ich in den ersten Wochen gemacht hatte zu vertiefen. Durch Hellen, die IPPNW-Ärztin vor Ort, durch die Interns in Mbagathi, einige Bewohner des Slums und meine diversen Mitbewohner habe ich vielen unterschiedlichen, teils sehr spannenden Menschen begegnen dürfen. Die kenianische Freundlichkeit und Offenheit, aber vor allem auch Hellens wunderbare Integrationsarbeit, haben mir die Möglichkeit gegeben, in das Leben ganz unterschiedlicher Menschen zu blicken und Fragen stellen zu dürfen, die ich sicherlich in dieser Intensität als normaler Tourist nicht hätte stellen können. Ich fühlte mich oft „mitten drin.“ Was für mich z.B. auch dadurch deutlich wurde, dass ich während meines gesamten Aufenthaltes ausschließlich mit Kenianern zu tun hatte.
An den Wochenenden habe ich mir die Stadt angeguckt bzw. wurde immer wieder auf kleinere Safaris mit genommen. Es gab viel Zeit für hitzige Diskussionen über Religion, die verschiedenen Stammeszugehörigkeiten der Kenianer, über ihre kontroversen Einstellungen gegenüber Moral, der stark dogmatisierte Umgang mit dem Thema Homosexualität und, und, und.
Rückblickend bin ich überaus dankbar, dass die Teamer und Ulla mich für dieses wunderbar grausame und facettenreiche Land ausgewählt haben. „Asantesana“ auch an die lieben Menschen, die meine Zeit begleitet haben. Allen voran Hellen, die immer da war wenn ich sie brauchte!
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