Serbien

von Lena Noack

Im Gespräch mit den f&e Teilnehmenden aus dem vergangenen Jahr beim Auswahltag, habe ich schnell gemerkt, dass ich mich gar nicht entscheiden konnte, in welches Land ich gerne gehen würde, weil alle so begeistert von ihren Erfahrungen berichtet haben. Ich habe mich sehr gefreut, als ich die Zusage für Serbien bekommen habe, obwohl ich ehrlich zugeben muss, dass ich zu dem Zeitpunkt sehr wenig über dieses Land im Balkan wusste. Ich befand mich zu der Zeit noch in meinem Auslandssemester in Frankreich und konnte es nicht so recht glauben, dass ich im Sommer zwei Monate in diesem mir noch so fremden Land verbringen und das Leben, die Menschen, die Geschichte und das Gesundheitswesen kennen lernen würde.
Dragan, ein Arzt und Filip, ein Student aus der serbischen IPPNW Fraktion betreuen die f&e Studis und sie haben sich kurz nach der Zusage mit mir in Verbindung gesetzt. Beide sind sehr freundliche und hilfsbereite Menschen. Sie haben mir vorher geholfen eine Famulatur und eine Wohnung zu finden und ich konnte ihnen alle meine Fragen stellen. Und auch vor Ort, haben sie sich sehr herzlich um mich gekümmert, mir die Stadt gezeigt und mich häufig eingeladen etwas mit ihnen zu unternehmen.
Sehr bereichernd an dem Programm, sowohl für mich persönlich, als auch für meinen Aufenthalt war und ist die Begleitung durch die Vor- und Nachbereitungsseminare. Bei der Vorbereitung im Juni, haben wir uns als Gruppe kennen gelernt. Durch informativen Input habe ich viel gelernt über Themen wie Rassismus, Privilegien, Medical Peace Work und Gewaltfreie Kommunikation. Und es gab natürlich auch die Möglichkeit für viel Austausch über Erwartungen und Bedenken und für die persönliche Reflektion.
Kurz nach dem Wochenende habe ich begonnen mich mit dem Land Serbien auseinander zu setzen. Ich habe Texte gelesen und Dokumentationen geschaut. Mir wurde immer bewusster, dass ich während meines Aufenthaltes viele Menschen treffen würde, die das Leben in Jugoslawien, sowie dessen Zerfall und die ethnischen Konflikte und Kriege sehr nah mitbekommen haben und immer noch mitbekommen. Umso mehr ich mich damit beschäftigte, umso größer wurde meine Spannung und Vorfreude.


Ich begann meinen Aufenthalt mit der Famulatur, die Filip mir, auf meinen Wunsch hin in einem gynäkologischen Krankenhaus in der Innenstadt von Belgrad, organisiert hatte. Ich lernte den Direktor der Klinik kennen, der auf den ersten Blick sehr furchteinflößend wirkte, sich dann aber als sehr freundlich entpuppte. Da es sich um ein rein gynäkologisches Krankenhaus handelte, konnte ich jede Woche die Station wechseln und so ganz verschiedene Einblicke in das Fachgebiet bekommen. Für jede Woche teilte der Direktor mir eine*n Mentor*in zu. Ich war unter anderem auf der Station für Hochrisiko-Schwangerschaften, im OP und im Kreissaal. Durch die Sprachbarriere konnte ich die Arzt-Patienten-Kommunikation natürlich nicht verstehen, aber die meisten Ärzte*Ärztinnen sprachen sehr gut Englisch und übersetzten und erklärten mir die Fälle. Sie zeigten mir auch einige Untersuchungen und ließen sie mich manchmal auch selbst durchführen. Dennoch war es für viele HCW ungewöhnlich, dass ich als Studentin so lange in dem Krankenhaus war, denn im Medizinstudium in Serbien ist es nicht üblich Praxisunterricht zu haben. Und häufig stieß es auf Bewunderung, dass ich als Deutsche eine Famulatur in einem serbischen Krankenhaus machte, denn auf Grund der schlechten Bezahlungen gehen viele HCW aus Serbien in umgekehrter Richtung nach Deutschland zum Arbeiten. Ich fand es sehr spannend die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten zwischen dem serbischen und dem deutschen Gesundheitswesen zu erleben.
Den Projektteil des Programmes absolvierte ich bei APC (Asylum Protection Center), eine Organisation, die rechtliche, psychologische und soziale Hilfe für geflüchtete Menschen anbietet, die Asyl in Serbien beantragen möchten. Auch dort war das Team sehr freundlich und hieß mich herzlich Willkommen. Eine meiner Hauptaufgaben war an Orte in der Stadt zu gehen, wo sehr viele Geflüchtete sich aufhielten und den Menschen zu erklären, dass sie sich bei Problemen an APC wenden können. Regelmäßig machten wir Fahrten zu den Unterkünften für Geflüchtete in anderen Teilen von Serbien. Dort führten wir Gespräche oder boten Workshops an, zu Beginn des Schuljahres zum Beispiel über das Verhalten in serbischen Schulen. Manchmal konnte ich mit meinen Französischkenntnissen Übersetzungen anbieten oder ich machte Recherchen. Ich war mir im Vorhinein sehr bewusst, darüber, dass ich in einem Monat Freiwilligenarbeit nicht viel für das Projekt bewirken würde, aber ich habe in diesem Monat sehr viel erlebt und viel über die politische und rechtliche Lage in der und über die persönliche Situation der geflüchteten Menschen in Serbien gelernt. Der Kontakt mit den Geflüchteten und ihre Geschichten waren zum Teil sehr schockierend und zusehen wie die serbische und die europäische Politik und Polizei damit umgeht, oft schwer zu fassen. Die Durchhaltekraft der Mitarbeiter*innen und die erzielten Erfolge der Organisation bewundere ich sehr und lassen Hoffnung auf Besserung. Regelmäßig haben wir mit dem Team Dinge in der Freizeit unternommen, was mir das Gefühl gab ein Teil des Teams zu sein.
Ich wohnte in Belgrad bei Tania, einer 73-Jährigen ehemaligen Menschrechtsanwältin. Sie bereicherte meinen Aufenthalt sehr. Sie ist eine äußerst gebildete Frau und hat mir sehr viel über die serbische Geschichte und Politik erzählt. Und auch ihre Tochter mit Familie waren sehr offen und luden mich regelmäßig zu Feiern und Ausflügen ein, so bekam ich einen sehr nahen Einblick in das serbische Familienleben. Die Wohnung war von der Innenstadt gut mit dem Bus zu erreichen und trotzdem lag sie im Grünen. Ich habe das als Abwechslung zu den überwiegend grauen, hohen Häusern und dem vielen Verkehr in der Stadt sehr zu schätzen gelernt.
Belgrad hat sehr viel zu bieten. An dem Zusammenfluss von Donau und Sava gelegen, spielt sich ein wichtiger Teil des kulturellen Lebens auf Hausbooten direkt am Ufer der Sava ab. Es gibt zahlreiche schöne Cafés, Restaurants und Bars zu erkunden und auch das Kinoangebot ist reichhaltig. Und was mir wohl am meisten im Gedächtnis bleiben wird, ist die Gastfreundschaft der Menschen. Von allen Seiten wurde ich sehr offen und freundlich aufgenommen und die Menschen waren sehr an meinem Wohlergehen interessiert. So habe ich mich schnell wie zu Hause gefühlt.



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