Israel

von Johanna Fugmann

„Tel Aviv kann die tollste und die schrecklichste Stadt der Welt sein – das hängt ganz von deiner Ambiguitätstoleranz ab“, stimmte mich eine Bekannte aus Israel auf meine Zeit dort ein. Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Als wie toll man Tel Aviv wahrnimmt, hängt unter anderem maßgeblich von der eigenen Religion, Hautfarbe und dem individuellen kulturellen Hintergrund ab. Nichtsdestotrotz musste ich während meiner fast drei Monate in Israel und Palästina immer wieder an diese Aussage denken. Die Selbsteinschätzung meiner Ambiguitätstoleranz, also meiner Fähigkeit widersprüchliche Situationen und Handlungen zu ertragen, änderte sich im Laufe meines Aufenthaltes mehrmals, zum Teil stündlich. Genauso wie mein Verhältnis zu Israel. Und auch jetzt, etwas mehr als einen Monat nach meiner Rückkehr, ändert sich meine Antwort auf die Frage nach meiner f+e-Zeit immer noch ständig. Spannend, anstrengend, landschaftlich wahnsinnig schön, kräftezerrend, verwirrend, bereichernd – manchmal alles gleichzeitig und oft irgendwas dazwischen.
Und auch auf die Antwort auf die Frage: Warum Israel? gibt es mehr als eine Antwort.

Weil ich Deutsche bin.  
Die ersten sechs Wochen meiner drei Monate verbrachte ich in Tel Aviv. Im Shalvata Hospital, einer Psychiatrie etwas außerhalb von Tel Aviv, verbrachte ich viel Zeit in der gerontopsychiatrischen Ambulanz und der stationären Kinder- und Jugendpsychiatrie. Daphna, die leitende Ärztin der Gerontopsychiatrie, übersetzte viele der Gespräche ins Englische, sodass ich trotz Sprachbarriere Einblicke in Krankheitsgeschichte und vor allem das Leben der Patient:innen gewinnen konnte. Durch die bewegte Geschichte der jüdischen Bevölkerung und Israels in den letzten Jahrzehnten, sind viele Biografien von Flucht und Verlusten aber auch Hoffnung und Neuanfängen durchwebt. Eine ähnlich, wenn auch sehr viel konzentriertere Erfahrung konnte ich einmal pro Woche in einem Sozialzentrum für Schoah Überlebende sammeln. „Warum bist du in Israel? Und warum genau hier?“ wurde ich sowohl im Sozialzentrum als auch im Krankenhaus immer wieder gefragt. Eine Antwort auf diese Frage ist auf jeden Fall: Weil ich Deutsche bin. Weil deutsche Geschichte damit auch meine Geschichte ist. und weil man es sich zu einfach macht, wenn man diesen Aspekt des israelischen Nationalgefühls ausblendet.

Weil mich Israel immer fasziniert hat.
Nach meiner Famulatur besuchte mich eine Freundin und wir reisten drei Wochen durch Israel und Palästina. Während ich in den ersten Wochen immer das Gefühl hatte, gerade erst angekommen zu sein, war es schön, jetzt jemandem zeigen zu können, was ich alles schon entdeckt und erfahren hatte und dabei mehr von der Region zu sehen. Zwischen Hostels und Überlandbussen stellte ich aber auch fest: So unvoreingenommen wie viele der anderen Reisenden konnte ich mich nicht mehr in der Region bewegen. Natürlich faszinierte mich die Schönheit der Golanhöhen und des See Genezareth, des arabisch geprägten Akkos und Nazareths und das Treiben Betlehems. Aber bei all der Schönheit gibt es eben auch fast keinen Ort, der nicht auf die eine oder andere Art politisch aufgeladen ist. An dem es nicht mindestens zwei Sichtweisen gibt. Um den nicht mehrfach Krieg geführt wurde. Selbst Essen, das in Israel stolz als „typisch israelisch“ präsentiert wird, wird einige Kilometer weiter als palästinensisch betrachtet, „von Israel gestohlen.“ Und so erkannte ich immer mehr, dass es schlicht nicht möglich ist, sich in Palästina oder Israel „unpolitisch“ zu bewegen.

Weil ich gerne mehr über die Besatzung erfahren möchte.
Es war mir von Anfang an wichtig, auch Zeit in Palästina zu verbringen. Schon während meiner Zeit in Tel Aviv und beim Reisen hatte ich immer wieder mehrere Tage in der West-Bank verbracht, Checkpoints passiert, viel gelesen und vor allem intensiven Kontakt mit Alisia und Asma, die ihren f+e-Aufenthalt in Palästina verbrachten. Am Ende meiner Zeit hatte ich die Möglichkeit eine Woche Sanitäter im palästinensischen Ost-Jerusalem zu begleiten und so nochmal einen anderen Einblick in die Folgen der Besatzung zu gewinnen. Ich durfte mit in Refugee Camps fahren, an Checkpoints erfahren, dass bei einem palästinensischen Krankenwagen der Faktor „Krankenwagen“ weniger relevant ist als der Faktor „palästinensisch“ und viele persönliche Erfahrungen der Sanitäter als Palästinenser hören. Und auch diese Geschichten gehören zu Israel.

Die drei Abschnitte meiner f+e Zeit ließen sich in hunderte Unterkapitel teilen. Hunderte Lebensrealitäten und hunderte Meinungen. Und ich irgendwo dazwischen.

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