Kenia

von Anna

Fast zwei Monate bin ich nun also wieder zurück aus Kenia und blicke mit so vielen verschiedenen Emotionen, in erster Linie aber krasser Dankbarkeit, auf den Sommer und das Programm um f&e zurück. Das, was mir der Aufenthalt in Kenia bedeutet, hält noch lange an und ich möchte hier einige meiner persönlichen Erfahrungen schildern.

Schon vor der eigentlichen Reise beginnt die Erfahrung mit f&e beim Auswahltag und dem Vorbereitungswochenende in Berlin. Hier konnte ich die vielen anderen f&e-lerInnen und natürlich die zweite Person, mit der ich die Reise nach Kenia gemeinsam antreten würde, endlich kennenlernen. An diesem Wochenende war für mich nicht nur das Programm selbst, sondern auch der Austausch mit so vielen Menschen, die es schaff en, sich auch neben dem Studium noch für irgendetwas zu engagieren, total bereichernd und hat mir viel Hoff nung gegeben, was die Vereinbarkeit von Studium und sozialem/ politischem Interesse angeht.

Daneben gab es an diesem Wochenende ein einigermaßen straff es Programm, das uns auf unseren Auslandsaufenthalt vorbereiten und in der Rolle, in der wir in das jeweilige Zielland reisen würden, sensibilisieren sollte. Ein Fokus der Workshops lag dabei auf Themen wie Critical Whiteness oder der kritischen Auseinandersetzung mit post-/neokolonialen Strukturen in vielen Organisationen und Unternehmen, die im globalen Süden tätig sind. Themen, mit denen sich manche vielleicht schon intensiver, manche vielleicht erst weniger auseinandergesetzt haben, von denen ich aber glaube, dass sie eigentlich für jedem Auslandsaufenthalt super relevant sind. Themen, die auch unmittelbar mit meinem Aufenthalt in Kenia zusammenhängen und mich, so sollte es sein, erst einmal an meiner Reise zweifeln ließen.

In dem Zusammenhang bietet sich auch an, über das "e" in f&e nachzudenken und sich bewusst zu machen, dass dieses e, je nach Land, absolut nicht für tatsächliches Engagement, geschweige denn irgendeine "Hilfe" im Zielland stehen kann. Mein Aufenthalt in Kenia hat zu einem großen Anteil Mehrarbeit für die Menschen bedeutet, von denen ich in diesen zwei Monaten so unglaublich viel lernen und profi tieren durfte. Das konnte ich zu keinem Zeitpunkt zurückgeben und mit diesem inneren Konfl ikt ist die Teilnahme an f&e und wahrscheinlich auch den meisten anderen Austauschprogrammen wohl verbunden.

Die kenianische IPPNW ist unter den Medizinstudierenden ziemlich aktiv und dementsprechend waren wir vor und in unserer Zeit in Eldoret wirklich sehr gut betreut. Der Student, der sich unsere Betreuung auf die Kappe geschrieben hatte, wohnt und studiert in Eldoret, weshalb er, Bella und ich uns gemeinsam entschieden haben, dass wir beide unsere Zeit auch dort verbringen würden. Wer sich nächstes Jahr für eure Betreuung engagiert und wo die Person lebt, kann ich nicht sagen, meine Erfahrungen sind natürlich auch stark von den gesamten Rahmenbedingungen geprägt.

Eldoret ist mit fast 500.000 EinwohnerInnen die fünftgrößte Stadt Kenias, liegt im Westen Kenias und ist hier wahrscheinlich am ehesten für die vielen erfolgreichen LangstreckenläuferInnen aus der Region bekannt, ist aber mit dem Sitz der Moi University auch das Zuhause vieler Studierender und einem der acht Krankenhäuser Kenias, die auf dem höchsten der sechs Level arbeiten.

In diesem Krankenhaus, dem Moi Teaching and Referral Hospital (MTRH), habe ich meine Famulatur absolviert. Meine ersten zwei Wochen habe ich auf der pädiatrischen Normalstation verbracht. In der Zeit war ich weniger in die ärztlichen Routinen eingebunden, wie ich das aus Famulaturen in Deutschland kenne, sondern habe viel mehr am studentischen Alltag teilgenommen. Der ist nämlich viel, viel praktischer, als ich das aus Mannheim gewohnt bin und so habe ich täglich an den Visiten teilgenommen. Da hat sich jeden Morgen eine Gruppe aus Medizin-, Pharmakologie- und Physiotherapiestudierenden, Interns (also ÄrztInnen im ersten Jahr), ÄrztInnen und Consultants zusammengefunden, um über die Behandlung der PatientInnen zu beraten. So standen dann meistens 15-20 Leute in einem Raum mit ähnlich vielen PatientInnen und ich gab mein Bestes, ein bisschen was zu verstehen, ohne mich vordrängeln zu müssen. Da sich meine Teilhabe in dieser Zeit vor allem auf das Zuhören und das Durchsprechen von Fällen mit den Studierenden begrenzt hat, habe ich theoretisch echt einiges dazugelernt, was praktische Fähigkeiten angeht, aber wahrscheinlich eher weniger.

Was bei mir in dieser Zeit einen wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen hat, ist die unfassbare Kompetenz und das krasse Verantwortungsbewusstsein aller Menschen, denen ich im klinischen Alltag begegnet bin. Die PatientInnen werden während der morgendlichen Visite von den Medizinstudierenden vorgestellt, von denen erwartet wird, dass sie die PatientInnen gut kennen, also im Zweifelsfall in der Nacht vorher bei der Aufnahme in der Notaufnahme dabei waren. Das Ganze gleicht also eigentlich einer täglichen Prüfungssituation, die mit unheimlich viel Druck verbunden zu sein schien, aber wahrscheinlich stark dazu beigetragen hat, dass die Studis so kompetent waren, wie sie es waren. Das hat mich krass inspiriert und mich auch meine eigene Beziehung zu meinem Studium und meinem Beruf hinterfragen lassen. Andererseits war ich angesichts der vielen Geschichten über die Auswirkungen der ständigen Stresssituationen auch dankbar über ein bisschen mehr Freiraum in meinem Studium.

Den zweiten Teil der Famulatur habe ich in der pädiatrischen Notaufnahme verbracht. Auch dort, wie überall, wurde ich unglaublich herzlich aufgenommen und habe mich zu jeder Zeit willkommen gefühlt. Die Ärztinnen, die ich begleiten durfte, haben mich immer in ihre Arbeit eingebunden, mir viel erklärt und mich dann nach kurzer Zeit auch eigenständig arbeiten lassen. Daher hatte ich dort mehr Gelegenheiten, praktisch etwas dazuzulernen und war vor allem bei den Aufnahmen und Erstuntersuchungen der Kinder dabei. Das hat manchmal besser, manchmal weniger gut funktioniert, gerade, wenn die PatientInnen und deren Eltern nur Swahili sprachen. Insgesamt bin ich sehr dankbar für die, wenn auch kurze, Zeit dort und kann die Notaufnahme auf jeden Fall weiterempfehlen, wenn ihr euch für Pädiatrie interessierst.

Für den zweiten Monat f&e haben wir uns, wie auch unsere beiden VorgängerInnen, entschieden, zur AMPATH-Klinik am MTRH zu gehen. AMPATH ist ein Programm, dass 1989 aus einer Partnerschaft der Indiana University und der Moi University entstanden ist und sich unter anderem mit der Prävention und Therapie von HIV-Infektionen beschäftigt. Damit war die "lokale Organisation" bei der wir unseren zweiten Monat verbringen wollten und die u.a. durch Spenden der Gates Foundation fi nanziert wird, nur so mittel-lokal. Die Klinik ermöglicht Menschen, die mit HIV leben, eine gut kontrollierte antiretrovirale Therapie und über das Orphans and Vulnerable Children Program (OVC) zusätzliche Unterstützung für besonders vulnerable Kinder. Insgesamt fand ich es spannend, mit den Mitarbeiterinnen in der Klinik zu sprechen und über das Programm und dessen Perspektiven zu lernen.

Sowohl Bella als auch ich haben aber nach relativ kurzer Zeit für uns festgestellt, dass unsere Teilhabe an diesem Projekt so begrenzt war, dass wir sie vorzeitig beendet haben. Das war nicht schlimm und ich bin trotzdem wahnsinnig dankbar für alles, was ich in der kurzen Zeit über das Projekt und auch soziale und gesundheitspolitische Strukturen lernen durfte. Im Nachhinein würde ich vielleicht nochmal überdenken, ob AMPATH für mich persönlich das richtige ist.

Auch außerhalb der Zeit in der Klinik war meine Zeit in Eldoret von unzähligen herzlichen und warmen Momenten geprägt - eigentlich ganz egal wo, überall habe ich mich willkommen gefühlt. Zur Wahrheit gehört auch, dass wir in Eldoret, einer nicht sonderlich touristischen Stadt, als Weiße immer aufgefallen sind und daran auch kontinuierlich erinnert wurden. Das hat regelmäßig zu unangenehmen Situationen geführt, von denen ich bis heute nicht so richtig weiß, wie ich mich in denen jeweils richtig verhalte. Insgesamt haben wir meistens vermieden, draußen alleine zu sein und sind im Dunkeln immer nur mit Freunden oder einem Taxi unterwegs gewesen. Das persönliche Sicherheitsgefühl ist sicherlich für jede Person anders und da gilt es, die individuelle Balance zu finden.

Besonders auch der Austausch mit den Studierenden aus Eldoret hat mich wahnsinnig bereichert. Aus den vielen Diskussionen über Alltägliches, Spezielles, Politisches, Persönliches, Regionales, Globales, Ähnliches, Verschiedenes, Leichtes und Schweres konnte ich so viel lernen, was ich nie wieder hergeben möchte. Auch und insbesondere Gespräche mit Angestellten in Hotels und Restaurants, Taxifahrern oder Menschen, die täglich auf der Suche nach Arbeit waren und, nach der Frage, woher wir denn kämen, uns in der Regel sagten, was sie alles dafür tun würden, um in Europa arbeiten zu dürfen, ließen einen kleinen Einblick in alltägliche Herausforderungen vieler Menschen zu. Die für viele KenianerInnen schwierige wirtschaftliche Lage und der ständige Wunsch einiger, das Land zu verlassen, reiht sich ein in die vielfältigen Konsequenzen post- und neokolonialer Strukturen. Das ist manchmal subtiler, manchmal off ensichtlicher, wie in den Hotels, den Restaurants und auf dem Land, das EuropäerInnen gehört, den unzähligen NGOs vor Ort, den riesigen Plakaten, die für ein Studium im Ausland werben oder auch der Tatsache, wie unglaublich günstig das Leben in Kenia für uns vergleichsweise war.

Die sechs Wochen in Eldoret und das gesamte Programm um f&e haben mir persönlich sehr weitergeholfen, meine Reiseentscheidungen in den darauff olgenden zwei Wochen in Kenia zu refl ektieren. Nicht alle Entscheidungen würde ich wieder so treff en , würde mich noch öfter fragen, wer von meinen Ausgaben profi tiert und wie ich damit möglichst gut umgehe und mich vielleicht auch im Vorhinein deutlich mehr mit diesen Fragen auseinandersetzen. Nichtsdestotrotz hatten wir eine wunderschöne Zeit und ich habe unvergessliche Erinnerungen an so vielen Orten sammeln dürfen. Die Parks, Berge, Strände, Seen, Tiere und Pfl anzen , die ich sehen, und besonders auch die Begegnungen, die ich mit so vielen verschiedenen Menschen machen durfte, waren für mich wirklich einzigartig. Wenn ihr die Möglichkeit habt, kann ich euch nur empfehlen, euch die unglaubliche Vielfalt des Landes auch aus der Perspektive anzuschauen.

Ich würde mich jedes Mal wieder für meine Teilnahme an f&e entscheiden und glaube, dass jedes Zielland auf die eigene Art wahnsinnig bereichernd sein kann. Ich bin so dankbar für die Möglichkeit, eine Zeit lang in Kenia zu leben und mir eine Art Alltag zu gestalten, für die Refl ektion, zu der mich das Programm angestoßen hat und immer noch anstößt und nicht zuletzt für die wundervollen Menschen, die ich in dem Rahmen kennenlernen durfte.

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