152 Castor-Transporte von Jülich nach Ahaus verhindern!

Von Matthias Eickhoff

Der 15. Dezember 2024 bot im westlichen Münsterland typisch nasskaltes Schmuddelwetter. Doch in Ahaus demonstrierten am Atommülllager 200 Leute gegen die seit 2009 geplanten 152 Castor-Transporte mit rund 300 000 hochradioaktiven Brennelementkugeln. Diese sollen in einem mehrjährigen Marathon vom Forschungszentrum Jülich über die Autobahnen von NRW nach Ahaus gefahren werden. Obwohl sich der Jülicher Atommüll in staatlicher Verwahrung befindet und derzeit die wichtigsten Schlüsselministerien auf Bundes- und NRW-Ebene von grünen Minister*innen geführt werden, hält die Politik unbeirrt an dieser mehrjährigen Castor-Lawine fest. Die Sturheit vor allem der in Düsseldorf zuständigen grünen Spitzenpolitiker*innen ist inzwischen atemberaubend.

Doch am 15. Dezember gab es in Ahaus auch ein rundes Widerstandsjubiläum zu feiern: Vor genau 30 Jahren fand am Atommülllager in Ahaus im Dezember 1994 der erste Sonntagsspaziergang statt. Damals sollte die Leichtbau-Lagerhalle noch mit zahlreichen Castoren aus dem ganzen Bundesgebiet gefüllt werden, auch der Bau einer zweiten Lagerhalle für mittel- und schwachradioaktiven Atommüll war schon beantragt. Doch der Sonntagsspaziergang etablierte sich rasch zu einem monatlichen Fixpunkt des Anti-Atom-Protests im westlichen Münsterland. Die Teilnehmer*innenzahlen stiegen über die Jahre rasant an und 1998 beim ersten – und letzten – „großen“ Castor-Bahntransport aus Neckarwestheim und Gundremmingen waren über 10 000 Leute auf der Straße. Es gab Demos, Camps, Blockaden und Hunderte Ingewahrsamnahmen sowie einen gigantischen Polizeiaufmarsch. Der Castor-Zug erreichte zwar Ahaus, aber es war schnell klar: So ein Aufwand ließ sich gegen derart entschlossenen Protest nicht dauerhaft durchziehen. 2005 kamen zwar noch drei Castor-Transporte per LKW aus Dresden-Rossendorf – doch seither ist Schluss mit hochradioaktivem Atommüll. Die zweite Halle wurde nie gebaut.

Der hochradioaktive Atommüll aus dem ehemaligen DDR-Forschungsreaktor in Rossendorf hat übrigens eine sehr kuriose Geschichte: 2010 sollten die 18 Castor-Behälter ausgerechnet in die russische Atomfabrik Majak exportiert werden – 1957 Schauplatz eines der weltweit größten Atomunfälle. Die Münsterländer Anti-Atom-Initiativen verhinderten dies in einer kurzen, aber erfolgreichen Kampagne zusammen mit der russischen Umweltorganisation Ecodefense. Aus diesem Grund sprach jetzt auf der Demo in Ahaus Vladimir Slivyak, der Ko-Vorsitzende von Ecodefense. Er erinnerte an die erfolgreiche Kampagne 2010 und schilderte bewegend, wie schlimm es heute der Zivilgesellschaft und der Umweltbewegung in Russland geht. Slivyak erhielt für seine unermüdliche Arbeit in Sachen Atom- und Kohleausstieg 2021 den Alternativen Nobelpreis.

Die Ahaus-Majak-Kampagne war 2010 auch ein klares Zeichen gegen das St.-Florians-Prinzip, das bei der Verschiebung und Lagerung von Atommüll immer wieder zum Tragen kommt. So hat z. B. im benachbarten Gronau der Urananreicherer Urenco (u. a. RWE und E.ON) bis 2022 Zehntausende Tonnen abgereichertes Uranhexafluorid nach Russland exportiert – offiziell zur „Wiederverwertung“, doch faktisch zur preisgünstigen Endlagerung unter freiem Himmel. Ein weiteres Beispiel ist die bayrische Staatsregierung, die seit Jahren kategorisch eine Endlagersuche für den real existierenden Atommüll in Bayern ausschließt – aber gleichzeitig bis heute eine „Renaissance“ der Atomkraft in Deutschland fordert. Da ist es auch kein Zufall, dass die bayrische Staatsregierung den hochradioaktiven Atommüll aus dem umstrittenen Forschungsreaktor München-Garching ebenfalls nach Ahaus zur Dauerlagerung schicken will. Der Reaktor liegt seit Jahren aufgrund großer technischer Probleme still, soll aber 2025 wieder in Betrieb gehen.

Doch aktuell schiebt sich das Forschungszentrum Jülich wieder mit aller Wucht auf den Castor-Kalender: Das Forschungszentrum will die Verantwortung für den selbst produzierten Atommüll nicht übernehmen und die NRW-Landesregierung sowie die Bundesregierung unterstützen das Forschungszentrum. Selbst der Jülicher Bürgermeister zeigte sich schon offen für eine Weiterlagerung des Atommülls in Jülich, doch diese Option wird seit Jahren bewusst hintertrieben. Die eigens gegründete staatliche Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen (JEN) will kein neues Zwischenlager in Jülich errichten, sondern setzt mit Billigung der im Aufsichtsrat vertretenen Bundes- und Landesministerien allein auf den Abtransport des Atommülls. Die massiven Sicherheitsprobleme bei 152 Einzeltransporten über die Autobahnen interessieren bei der JEN anscheinend niemand – Hauptsache der Atommüll verlässt Jülich. Allerdings läuft die Genehmigung für das Ahauser Atommülllager auch bereits in 2036 aus und die Lagerhalle entspricht längst nicht mehr dem heutigen Sicherheitsstand von Wissenschaft und Forschung.

Gegen diesen planlosen Atommülltourismus wendet sich seit Jahren ein breites Bündnis aus Anti-Atom-Organisationen von Jülich bis Ahaus. Auch die Stadt Ahaus hatte geklagt, aber Anfang Dezember vor dem Oberverwaltungsgericht Münster gegen das zuständige Bundesamt BASE verloren. Der Vorsitzende Richter warf der Politik angesichts der bislang gescheiterten Atommüllentsorgung allerdings zu Recht Versagen vor. Nun sind die Atommülltransporte von Jülich nach Ahaus wieder ein politisches Problem und müssen politisch in Berlin und Düsseldorf gelöst werden. Und deshalb werden sich die Proteste auch in 2025 fortsetzen. Ganz vorne dabei wieder die Sonntagsspaziergänge. Schon am Sonntag, 19. Januar, findet der nächste Sonntagsspaziergang in Ahaus statt – und zwar um 14 Uhr ab Rathausplatz.

Matthias Eickhoff, Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen


Aktuelle Infos: www.sofa-ms.de, www.bi-ahaus.de



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Ansprechpartner


Patrick Schukalla
Referent Atomausstieg, Energiewende und Klima
Email: schukalla[at]ippnw.de

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