Fusionskraftwerke: „Placebo“ ohne Effekt

Bereits im Jahr 1955 verkündetet der Physiker des indischen Atomprogramms Homi Bhabha, als Leiter der ersten Genfer Atomkonferenz: „Ich wage die Voraussage, dass innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte eine Methode zur kontrollierten Freisetzung von Fusionsenergie gefunden werden wird. Wenn dies geschieht, werden die Energieprobleme der Welt für immer gelöst sein.“[1] Nicht ganz sieben Jahrzehnte später verkündet das Bundesministerium für Bildung und Forschung kurz vor dem Jahreswechsel 2022-23, die Fusion werde die „Energieversorgung revolutionieren“[2]. Bundesministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) ist der Meinung, die Fusionsenergie werde „unseren Energiemix perspektivisch um eine klimaneutrale, verlässliche und wirtschaftliche Quelle ergänzen“. In einem ZDF Interview[3] gab sie Mitte Dezember auf Nachfrage die „ambitionierte“ Einschätzung ab, es könnte bereits in zehn Jahren ein erstes Fusionskraftwerk in Deutschland geben, das Strom in die Netze einspeist. In einem Experiment in den USA sei gezeigt worden, „dass man die Sonne tatsächlich auf die Erde holen“ könne[4], schrieb sie auf Twitter. Sie spielt damit auf die Prozesse an, die in Sternen wie der Sonne stattfinden, in deren Innerem Wasserstoffatome zu Helium verschmelzen, wobei sehr viel Energie freigesetzt wird.[5] Anlassgebend für diese Einschätzung war eine Meldung vom 5. Dezember 2022 aus der National Ignition Facility (NIF) des Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien. Der Forschungseinrichtung, deren Hauptzweck nicht die Forschung an zukünftigen Energiequellen, sondern u.a. die Simulation von Atomwaffenexplosionen ist[1], sei ein historischer Durchbruch in der Fusionsforschung gelungen. Die Meldung wurde weltweit aufgegriffen und vielfach verkündet, es sei gelungen, mehr Energie zu erzeugen, als aufgewendet werden musste. Diese Darstellung ist jedoch falsch, oder zumindest unpräzise, wie unter anderem Hans-Josef Fell, Energieexperte und Präsident der Energy Watch Group, in einer Einordnung erklärt.[6] Tatsächlich habe es bei dem Experiment in Kalifornien erstmals eine Reaktion gegeben, bei der mit Laserkanonen Energie in ein Plasma geschickt wurde, woraufhin eine Kernfusion zündete, die einen kleinen Energieüberschuss produzierte. Auf der Ebene der Grundlagenforschung ist dies scheinbar ein spannendes Ereignis, ihm Hinblick auf mögliche Anwendungen zur Energiegewinnung ist die Bilanz aber unvollständig.  Fell zitiert hierzu Tony Roulstone, Dozent für Nuklearenergie an der Universität in Cambridge, mit den Worten: „Obwohl dies eine positive Nachricht ist, ist dieses Ergebnis immer noch weit von dem tatsächlichen Energiegewinn entfernt, der für die Erzeugung von Elektrizität erforderlich ist. Das liegt daran, dass sie 500 Megajoule (MJ) Energie in die Laser einbringen mussten, um 1,8 MJ an das Ziel zu liefern.  Auch wenn sie also 2,5 MJ herausbekommen haben, ist das immer noch weit weniger als die Energie, die sie für die Laser benötigt haben. Mit anderen Worten: Der Energieoutput betrug nur 0,5 % des Inputs“.[7]

Seither hat es eine Vielzahl von Reaktionen gegeben, die den ursprünglichen Enthusiasmus bremsen und den wissenschaftlich-experimentellen Durchbruch auf Ebene der Grundlagenforschung im Hinblick auf ihre technische Anwendbarkeit für die Energieproduktion als „Kernfusionsträumereien“ und „Phantomreaktoren“[8] bezeichnen.

Es scheint paradoxerweise leichter zu sein, sich eine postfossile Welt mit einer utopischen Energiequelle vorzustellen, als eine nachweislich mögliche Energieversorgung mit 100% Erneuerbaren auf der Basis von Technologien, die seit Jahrzehnten funktionieren und laufend leistungsstärker werden. In diesem Paradox liegt eine Gefahr, wenn derartige Meldungen über Forschungsdurbrüche zu naheliegenden Lösungen aktueller Probleme, wie dem Klimawandel, hochstilisiert werden. Bernward Janzig äußert in der der Tageszeitung die Befürchtung, „[e]s ist durchaus denkbar, dass die FDP-Politikerin [Bettina Stark-Watzinger] den Eindruck zu erwecken versucht, man könne angesichts des technologischen Durchbruchs die verbliebenen deutschen Atomkraftwerke vielleicht ja doch noch als „Brücke“ nutzen – bis sie in naher Zukunft nahtlos durch Fusionskraftwerke abgelöst werden.“[9] Die Atomkraft und Kernfusion teilen also das Potenzial zum ressourcenfressenden Bremsklotz und Ablenkmanöver einer erneuerbaren Energiewende, sowie fehlerhafte und unrealistische Prognosen des Erfolgs ihrer kommerziellen Anwendung.

1954, im Jahr bevor Homi Bhabha auf der ersten Genfer Atomkonferenz seine eingehend zitierte Voraussage zur Fusionsenergie wagte, hatte Lewis L. Strauss als Vorsitzender der Atomic Energy Commission der USA, in einer Rede die Atomkraft mit der Vorhersage versehen, es sei „nicht zuviel erwartet, dass unsere Kinder (…) elektrische Energie genießen werden, die zu billig ist, um sie zu messen“[10]. Wie wir wissen, sollten es jeweils nicht die letzten unzutreffenden Prognosen im Hinblick auf die jeweiligen Technologien bleiben. Die Atomkraft zählt heute zu den teuersten Arten der Stromerzeugung.Fusionskraftwerke existieren schlicht nicht und es ist fraglich, ob sie jemals gebaut werden geschweige denn wirtschaftlich betrieben werden können. Auf dem Weg zu einer erneuerbaren Energieversorgung ist die Fusionsenergie also ein „Placebo“ ohne Effekt.

 

Patrick Schukalla

Referent für Atomausstieg, Energiewende und Klima

[1] https://www.nature.com/articles/457265a

https://science.thewire.in/the-sciences/clean-energy-weapons-breakthrough-nuclear-fusion-explained/

[2] https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/kurzmeldungen/de/2022/12/fusion-wird-energieversorgung-revolutionieren.html

[3] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/durchbruch-kernfusion-100.html#%3A~%3Atext=Bundesforschungsministerin+Stark-Watzinger+(FDP)%2Cjetzt+international+den+Schulterschluss+suchen.&text=Die+Kernfusion+ist+auf+der%2C%C3%BCber+100+Millionen+Grad+erhitzt.

[4] https://www.tagesschau.de/wissen/kernfusion-forschung-durchbruch-101.html

[5] https://share.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.html?audio_id=dira_DRW_202f55e2

[6] https://mailchi.mp/hans-josef-fell/die-bundesregierung-rgt-die-letzte-generation-und-schafft-selbst-keinen-wirksamen-klimaschutz-11569058?e=9e00fe5e2a

[7] https://www.sciencemediacentre.org/expert-reaction-to-fusion-announcement-from-the-lawrence-livermore-national-laboratory/

[8] https://taz.de/Die-Kernfusionstraeumereien-der-FDP/!5899217/

[9] https://taz.de/Die-Kernfusionstraeumereien-der-FDP/!5899217/

[10] „It is not too much to expect, that our children will enjoy in their homes electrical energy too cheap to meter.“ ganze Rede unter: https://www.nrc.gov/docs/ML1613/ML16131A120.pdf

zurück

Materialien

Öffentliches Fachgespräch im Bundestag zum Thema „Austausch über die Atomkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima sowie die aktuelle Situation in Saporischschja“ vom 15. März 2023

Statement von Dr. Angelika Claußen "Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie – zivil wie militärisch"

Titelfoto: Stephi Rosen
IPPNW-Forum 174: Der unvollendete Ausstieg: Wie geht es weiter für die Anti-Atom-Bewegung?
auf ISSUU lesen  |  PDF  |  im Shop bestellen

IPPNW-Information: Radioaktive „Niedrigstrahlung“. Ein Blick auf die Fakten (PDF)

IPPNW Forum: 10 Jahre Leben mit Fukushima
IPPNW-Forum "10 Jahre Leben mit Fukushima": 
auf isssuu.com lesen

Risiken und Nebenwirkungen der Atomenergie
Risiken und Nebenwirkungen der Atomenergie
pdf-Datei herunterladen

Im IPPNW-Shop bestellen

Navigation