Atomenergie-Newsletter vom 2. November 2022

Klagen gegen die EU-Taxonomie – Grüner Anstrich für Atomkraft und Erdgas vor Gericht

Mit dem Jahreswechsel 2021/22 bescherte die EU-Kommission der Welt die neue sogenannte Taxonomie. Für Klimaschützer*innen und die Antiatomkraftbewegung stellt sie das wohl „größtes Greenwashing aller Zeiten“1 dar. In der Taxonomie werden Aktivitäten definiert, die in der Europäischen Union (EU) als nachhaltige und zukunftsweisende Technologien und Energiequellen gelten sollen. So sollen „grüne“ Investitionen auf den Finanzmärkten begünstigt werden. Zunächst fielen zum Beispiel Solarenergie, Wasser- und Windkraft unter dieses „Öko-Label“ für klimafreundliche Investitionen. Die umstrittene Entscheidung, Erdgas und Atomkraft in diese Liste aufzunehmen, tritt mit dem kommenden Jahreswechsel in Kraft2. Ab Januar 2023 gelten Investitionen in Atomkraft und Erdgas in der EU damit als Klimaschutz. Ein Versuch, den delegierten Rechtsakt der Kommission zur Taxonomie-Verordnung durch eine Ablehnung im EU Parlament zu stoppen, scheiterte im Sommer an der notwendigen Mehrheit3. Umweltverbänden und Mitgliedsstaaten, die diesem Greenwashing kritisch gegenüber stehen, bleibt seither nur noch der Weg über den Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Sowohl Greenpeace4 als auch der Trinationale Atomschutzverband TRAS5, in dem auch die IPPNW engagiert ist, haben Klagen gegen die Aufnahme von Erdgas und Atomkraft eingereicht. Weitere Umweltverbände und Organisationen haben Widerspruch eingelegt und erwägen ebenso Klagen vor dem EuGH. Zudem hat nun auch die Regierung in Wien Klage gegen die neue EU-Taxonomie eingereicht und Luxemburg wird sich dieser in Form einer sogenannten Streithilfe anzuschließen. Die Klage aus Österreich war seit längerem erwartet worden. Das österreichische Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt und Energie hatte ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, in dem klar gezeigt wurde, dass Atomenergie auch aus rechtlicher Sicht den Anforderungen der Taxonomie-Verordnung nicht entspricht6.

In mehreren zentralen Argumenten stimmen die unterschiedlichen Klagen und juristischen Einsprüche gegen die Taxonomie-Verordnung überein. So stehen zum Beispiel das Verfeuern von Erdgas und die Förderung der Atomkraft im krassen Widerspruch zum eigentlichen Prinzip der Verordnung, die Umwelt- und Klimaziele der Taxonomie nicht zu beeinträchtigen. Schließlich gibt es ausreichende empirische Erkenntnisse und Erfahrungen mit Atomunfällen und -katastrophen, die zu irreversiblen Schäden für die Umwelt und die Gesundheit vieler Menschen geführt haben. Desweitern weisen die Kläger und Gutachter*innen auf die ungeklärte Endlagerfrage für radioaktive Abfälle hin. Die TRAS weist auf die physisch unhaltbare These der Erneuerbarkeit von Atomkraft hin, die im Zuge der Lobbyarbeit für eine Aufnahme von Atomkraft in die Taxonomie von Seite der Atomindustrie vertreten wurde. Damit stimmt sie mit dem österreichischen Rechtsgutachten überein, das auf die erhebliche Beeinträchtigung der Umwelt durch Uranabbau und Uranvermahlung verweist. Die Taxonomie missachtet also ihre eigenen Umwelt- und Klimaziele. Leider haben die Klagen gegen das klimaschädliche Erdgas und den Energiewendebremsklotz Atomkraft keine aufschiebende Wirkung7, sodass das Jahr 2023 vorerst mit einem fossil-nuklearen Greenwashing für Investitionen in der EU beginnen wird.

Patrick Schukalla, Referent für Atomausstieg, Energiewende und Klima

1 www.sueddeutsche.de/politik/atomkraft-eu-kommission-berater-kritik-1.5505949

2 www.dont-nuke-the-taxonomy.eu/de

3 www.europarl.europa.eu/news/de/press-room/20220701IPR34365/taxonomie-keine-einwande-gegen-einstufung-von-gas-und-atomkraft-als-nachhaltig

4 www.greenpeace.de/klimaschutz/klimakrise/eu-taxonomie-klage

5 atomschutzverband.ch/wordpress/wp-content/uploads/2022_09_29_Klage-gegen-die-EU-Taxonomie_de.pdf

6 www.bmk.gv.at/themen/klima_umwelt/nuklearpolitik/aikk/warum.html

7 www.wienerzeitung.at/nachrichten/wirtschaft/oesterreich/2164432-Klage-gegen-EU-Taxonomie-eingereicht.html

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Materialien

Öffentliches Fachgespräch im Bundestag zum Thema „Austausch über die Atomkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima sowie die aktuelle Situation in Saporischschja“ vom 15. März 2023

Statement von Dr. Angelika Claußen "Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie – zivil wie militärisch"

Titelfoto: Stephi Rosen
IPPNW-Forum 174: Der unvollendete Ausstieg: Wie geht es weiter für die Anti-Atom-Bewegung?
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