Neuer Anlauf für russisch-französisches Atom-Joint-Venture im Emsland?

Es herrscht immer wieder reger Verkehr und geschäftiges Treiben mit hoch-radioaktiver Fracht an der emsländischen Brennelementefabrik, dem „Advanced Nuclear Fuels“ (ANF) Werk, eine Tochter des französischen Atomkonzern Framatome. Dem deutschen Atomausstieg zum Trotz soll sich an diesem Zustand auch nach dem 15.April 2023 hinaus vorerst nichts ändern. Im Gegenteil: Denn während ANF seine Produktionskapazitäten gegenwärtig nicht ausschöpft, hofft Framatome die Produktion in Lingen in Zukunft weiter hochzufahren. Zu diesem Zweck wollte der französische Konzern bereits in den vergangenen Jahren ein Joint Venture mit TVEL, einer Tochterfirma des russischen staatlichen Atomkonzerns Rosatom, am Lingener Standort eingehen. TVEL beliefert Reaktoren russischer Bauart insbesondre in Osteuropa mit Brennelementen und ANF könnte somit an diesem Geschäft beteiligt werden. Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen sagte hierzu gegenüber dem Freitag[1]: „Wenn die weitermachen wollen in Lingen, brauchen sie neue Kunden. Deshalb sind sie auch mit Rosatom im Gespräch. Das ist der einzige große Konzern, der ihnen neue Kunden bringen kann.“

Der letzte Anlauf eine Beteiligung Rosatoms an der Lingener Atomfabrik in Form eines Joint Venture zwischen ANF und TVEL umzusetzen endete Anfang 2022, nachdem der Antrag auf den russisch-französischen Zusammenschluss in Lingen von Seiten der Unternehmen zurückgezogen wurde.[2] Ein frühzeitiges Verbot durch das Bundeswirtschaftsministerium wäre möglich gewesen und hätte nicht nur die Glaubwürdigkeit des deutschen Atomaussiegs unterstreichen können, sondern hätte auch ein entsprechendes politisches Signal an den Kremlkonzern bedeutet. Während die Relevanz und Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen insbesondere zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine in aller Munde war, blieb die Rolle des russischen Staatskonzerns Rosatom für die europäische und globale Atomindustrie vergleichsweise wenig kommentiert. Der Umweltaktivist Vladimir Slivyak von der russischen Umweltorganisation Ecodefense und Träger des alternativen Nobelpreises sprach sich beispielsweise schon vor Monaten für eine Ausweitung der Sanktionen auf die russische Atomindustrie aus.[3] Rosatom ist nicht nur ein großer Player in der internationalen Atomindustrie[4], sondern umfasst ebenso den Atomwaffenkomplex Russlands.[5] Überdies hat Rosatom im von Russland besetzten AKW Saporischschja die Kontrolle übernommen und ist damit aktiver Teil des aktuellen Kriegsgeschehens.[6]

Doch selbst rund ein Jahr nach Beginn des Krieges scheint eine russisch-französische Atomkooperation in Deutschland nicht ausgeschlossen. Wie ebenfalls der Freitag nach Bestätigung durch mehrere Zuhörer*innen berichtete, fiel während eines Online-Fachgesprächs zur Uranversorgung der europäischen AKW, an dem u.a. Expert*innen und Vertreter*innen von Umwelt- und Wirtschaftsministerium, des Bundestags und ein Vertreter des österreichischen Bundesumweltamts teilnahmen, die Information, dass ANF und TVEL ihr Joint Venture nunmehr in Frankreich geschlossen und registriert hätten.[7] Bisher sind keine offiziellen Bestätigungen dieser Information bekannt geworden und ein Bündnis aus Anti-Atom-Initiativen fordert seither eine Klarstellung.[8]

Proteste um das ANF Werk hatte es zuletzt auch wegen russischer Uranlieferungen gegeben.[9] Mit der Fertigung von Brennelementen findet in Lingen ein bedeutender von vielen Verarbeitungsschritten statt, bevor Uran in einem Reaktorkern zur Stromproduktion eingesetzt wird. Ein regelmäßiger Zulieferer von Uranprodukten ist auch hier wieder der russische Staatskonzern Rosatom. Russland positioniert sich seit langem strategisch in der internationalen Atomindustrie.[10] Die Uranförderung und Lieferung von Uranprodukten in alle Welt ist ein Teil davon. Das Land verfügt über die weltweit größte Urananreicherungskapazität, und ist zudem an vielen Uranmienen beteiligt.

Doch natürlich gehen die Argumente gegen die Brennelementefabrik in Lingen über die Uranlieferungen aus Russland hinaus. Ein Atomausstieg, der seinen Namen verdient, verzichtet nicht nur auf weitere Laufzeitverlängerungen, er versieht auch die Fertigung von Brennelementen und die Urananreicherung in Deutschland mit einem baldigen Enddatum! Wer es mit der Energiewende ernst meint, muss sich aus allen Schritten der Atomindustrie nachhaltig zurückziehen.

 

Patrick Schukalla

Referent für Atomausstieg, Energiewende und Klima


[1] https://www.freitag.de/autoren/ingrid-wenzl/gaskrise-europaeische-atomindustrie-wittert-morgenluft

[2] https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/lingen-einstieg-von-rosatom-in-deutsche-atomfabrik-vorerst-geplatzt-a-f355e411-7635-4a44-8d4f-c9c9061888fb

http://ippnw.de/commonFiles/bilder/Atomenergie/Kein_Joint_Venture_Framatome_Rosatom_in_Lingen_2022.pdf

[3] https://www.bi-luechow-dannenberg.de/2022/09/01/nach-uranlieferung-von-russland-an-frankreich-neues-sanktionspaket-muss-auch-rosatom-treffen/

[4] https://www.worldnuclearreport.org/-World-Nuclear-Industry-Status-Report-2022-.html

[5] https://www.ews-schoenau.de/energiewende-magazin/zugespitzt/die-schwarze-witwe-rosatom-/

[6] https://www.washingtonpost.com/world/2023/01/20/rosatom-ukraine-war-effort-sanctions/

[7]  https://www.freitag.de/autoren/ingrid-wenzl/gaskrise-europaeische-atomindustrie-wittert-morgenluft

[8] https://www.ippnw.de/presse/artikel/de/ausbauplaene-fuer-brennelementefabrik.html

[9] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/osnabrueck_emsland/Lingen-Atomkraftgegner-demonstrieren-gegen-Urantransporte,lingen980.html

[10] https://www.nature.com/articles/s41560-023-01228-5

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Patrick Schukalla
Referent Atomausstieg, Energiewende und Klima
Email: schukalla[at]ippnw.de

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