Interview mit Clara Tempel, Pressesprecherin der Kampagne "Runterfahren"

AKW? Runterfahren!

Die Initiative ruft zu Aktionen Zivilen-Ungehorsams gegen Laufzeitverlängerungen auf

Clara, Du bist bei „Runterfahren“ aktiv und Pressesprecherin der Initiative, wer seid ihr und was macht ihr?

Wir haben uns im letzten Herbst zusammengefunden, als sich abgezeichnet hat, dass die Atomkraftwerke nicht wie geplant am 31.12. abgeschaltet werden, sondern möglicherweise noch darüber hinaus laufen sollen. Viele von uns waren schon bei „X-tausendmal quer“ aktiv. Wir haben also Menschen dabei, die schon sehr viel Erfahrung mit Aktionen Zivilen Ungehorsams gegen Atomkraft haben, die sehr aktiv gegen die Castortransporte waren und dachten, dass diese Arbeit endlich getan wäre. Als sich aber andeutete, dass da noch etwas kommt, war uns klar: Das können wir nicht einfach so laufen lassen. Die große Sorge war von Anfang an, dass der sogenannte Streckbetrieb Tür und Tor öffnet für langfristige Laufzeitverlängerungen. Mit unseren Warnblockaden wollen wir zeigen, dass die Anti-Atom-Bewegung noch da ist und dass wir wachsam sind. Und mit dem Aufruf zur Selbstverpflichtung wollen wir deutlich machen: Wenn es wirklich ernst werden sollte, dann werden wir viele sein die sich an großen Aktionen Zivilen Ungehorsams beteiligen.

Eurer öffentlichen Selbstverpflichtung haben sich bereits über 1.000 Leute angeschlossen und kündigen an, sich an Aktionen zu beteiligen, sollte es zu einem Weiterbetrieb der AKW über den 15. April hinaus kommen. Wieso wählt ihr dieses Mittel?

Foto: Moritz HeckMit Blick auf die Geschichte der Anti-Atom-Bewegung kann man ganz klar sehen, dass es auch die Aktionen Zivilen Ungehorsams waren, die entscheidend zu ihren Erfolgen beigetragen haben. Dass 2011 der Atomausstieg beschlossen wurde, dass der Standort Gorleben letztlich aus der Endlagersuche rausgefallen ist, sind Erfolge, die auf einer langen Protesttradition aufbauen, die immer stark von Zivilem Ungehorsam geprägt war.

Die großen Blockaden waren rückblickend betrachtet enorm wichtig für die Bewegung und diese Aktionsformen konnten auch Orientierung bieten für andere Bewegungen, wie die Klimagerechtigkeitsbewegung zum Beispiel. Das konnte man zuletzt auch in Lützerath wieder beobachten. Es ist und bleibt eben ein starkes Zeichen, wenn Menschen sagen: Das darf nicht passieren, ich widersetze mich diesem Unrecht und ich bin auch bereit, mich mit meinem Körper in den Weg zu stellen oder zu setzen. Daran wollen wir anknüpfen. Weil uns Protest im Sinne von reinem Demonstrieren und Appellieren einfach nicht reicht. Weil uns die Lage zu ernst ist und weil wir das Gefühl haben, wir können nicht genug bewegen, wenn wir nur appellieren.

Natürlich findet das immer mit dem Wissen statt, dass es eine Kombination von verschiedenen Aktionsform ist die zum Erfolg führt. Es gibt bereits Akteure, die sehr gut darin sind, klassischen Protest zu organisieren und Hintergründe gut aufzubereiten und zugänglich zu machen. Wir konzentrieren uns auf den Zivilen Ungehorsam.

Wie schätzt Ihr die Lage gegenwärtig ein, gerät das neue Ausstiegsdatum unter größeren politischen Druck?

Das ist ziemlich schwer einzuschätzen. Wir wollen den Diskurs nicht größer machen, als er ist, aber wir müssen wachsam sein und alles mitbekommen, was in dem Feld gerade passiert. Das ist ein Dilemma, aber damit müssen wir umgehen. Insgesamt scheint die Stimmung gerade so, als bliebe es beim 15. April 2023. Gleichzeitig sehen wir aber immer wieder Versuche, insbesondere von CDU, CSU und der FDP, Laufzeitverlängerungen wieder auf die Agenda zu setzen. Anfang Februar hat die CDU einen Antrag zur „Energieversorgung im Winter 2023/2024“ in den Bundestag eingebracht. Kern des Antrags ist die Forderung, den Leistungsbetrieb der drei Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland bis zum 31. Dezember 2024 zu verlängern. Das müssen wir genau im Blick behalten, denn wir wollen bereit sein. Wir können nicht erst dann Aktionen machen, wenn Laufzeitverlängerungen bereits beschlossen sind. Dann ist es zu spät. Deswegen planen wir die Aktionen jetzt – auch wenn viele Menschen die Notwendigkeit möglicherweise noch nicht so sehr spüren.

Deswegen habt ihr auch bereit im vergangenen Herbst eine Warnblockade vor dem AKW Neckarwestheim und Ende Januar am AKW Emsland in Lingen gemacht.

Genau! Wir haben die Zufahrtswege der AKW mit gewaltfreien Sitzblockaden blockiert – das waren symbolische Warnblockaden mit denen wir Zeichen gesetzt haben und zeigen konnten, dass wir wachsam und bereit zu Zivilem Ungehorsam sind. Es war total schön, in Neckarwestheim und in Lingen zu sehen, dass wir gar nicht so viele Menschen brauchen, um die Zufahrt eines AKWs zu blockieren und eine große Presseresonanz zu bekommen. Daran wollen wir mit unserer nächsten Blockade anknüpfen. Vom 3. bis 5. März 2023 blockieren wir das AKW Isar II in Bayern – vor der Haustür von Markus Söder, der immer noch Laufzeitverlängerungen fordert. Gemeinsam mit vielen verschiedenen Gruppen werden wir deutlich machen, dass es beim Atomausstieg am 15. April bleiben muss. Wir freuen uns über alle Menschen, die dazukommen!

Du bist selbst auch sehr aktiv in der Klimabewegung. Unter längjährigen Anti-Atom-Bewegten hört man vereinzelt den Vorwurf an die Klimabewegung, sie interessiere sich nicht mehr ausreichend für die Risiken der Atomkraft. Wie schätzt Du das Verhältnis von Anti-Atom- und Klimabewegung ein?

Der Atomausstieg war zumindest hierzulande eigentlich beschlossene Sache, damit war es verständlich, dass sich viele auf andere Bereiche konzentriert haben. Es gab vor einigen Jahren ein paar Momente, in denen ich die Sorge hatte, dass die Atom-Befürworter*innen, die versucht haben, Klimastreikende für sich zu gewinnen, damit Erfolg haben könnten. Aber heute habe ich den Eindruck, dass der Klimagerechtigkeitsbewegung absolut klar ist, dass Atomkraft keine Lösung ist. Insbesondere diejenigen, die sich explizit nicht nur auf Klimaschutz sondern auf Klimagerechtigkeit beziehen, haben den breiten Blick auf dieses Feld und sehen zum Beispiel auch die Menschenrechtsverletzungen im Uranbergbau, die Probleme mit der ungelösten Endlagerung und so weiter. Mit den neuen Diskussionen um Laufzeitverlängerungen wird aber deutlich, dass das Thema immer noch sehr relevant ist und da wünsche ich mir natürlich, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung sich ganz klar gegen Atomkraft positioniert. Das machen viele auch schon und dafür bin ich sehr dankbar. Mit „Runterfahren“ können wir noch einmal zeigen, dass die beiden Bewegungen zusammengehören.

Von Seiten der Atomkraft-Befürworter*innen heißt es regelmäßig, die Entscheidung über die Formen der Energiegewinnung sollten „jenseits von Ideologie“ getroffen werden – ist es eine ideologische Frage, gegen Atomkraft zu sein? 

Gegen Atomkraft einzutreten, ist nun wirklich sehr faktenbasiert. Es gibt genügend wissenschaftlich fundierte Gründe dafür, Atomkraft für eine schlechte Idee zu halten. Als Anti-Atom-Bewegung berufen wir uns auf diese Fakten, während die Gegenseite ihre Luftschlösser baut. Dieses starke Vertrauen in Technologien, die vermeintlich Lösungen bringen könnten und in eine zentralisierte Stromversorgung, die in der Hand weniger Konzerne liegt ,das ist eine zukunftsvergessene Denkweise, die wir dringend hinter uns lassen sollten. Also würde ich den Vorwurf eher umdrehen, denn wir haben mehr als 100 gute Gründe auf unserer Seite.

 

Clara Tempel ist 27 Jahre alt und die Pressesprecherin der Kampagne "Runterfahren". Sie studiert in Flensburg im Master Transformationsstudien mit dem Schwerpunkt Protest- und Bewegungsforschung und arbeitet hauptamtlich bei ROBIN WOOD e.V. Sie ist im Wendland aufgewachsen und organisiert seit ihrer Jugend Aktionen Zivilen Ungehorsams gegen Atomkraft und Militarismus und für Klimagerechtigkeit. Das Interview führte Patrick Schukalla.

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Materialien

Titelfoto: Stephi Rosen
IPPNW-Forum 174: Der unvollendete Ausstieg: Wie geht es weiter für die Anti-Atom-Bewegung?
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