Ärzte zeigen: Krebserkrankungen schon nach niedrigen Strahlendosen

07.01.2014 Seit langem warnen Wissenschaftler und Ärzte vor den Folgen ionisierender Strahlung für die menschliche Gesundheit. Ob in Uranbergbaugebieten wie im Erzgebirge, rund um Atomfabriken wie Sellafield oder La Hague, den Gegenden, die radioaktivem Niederschlag durch Tschernobyl oder Fukushima ausgesetzt wurden oder in den Regionen in denen in den letzten Jahrzehnten Atomwaffen getestet wurden - überall wurden große Bevölkerungsgruppen ionisierender Strahlung ausgesetzt - zum Teil über viele Jahre und Jahrzehnte. Die Atomlobby hat Warnungen bezüglich der gesundheitlichen Folgen dieser chronischen Strahlenexposition stets mit dem Argument abgetan, dass die Strahlendosen zu niedrig seien, um messbare medizinische Effekte zu verursachen.

Erst vor kurzem behauptete das wissenschaftliche Komittee der UN zu den Folgen von atomarer Strahlung (UNSCEAR), in Fukushima würden keine gesundheitlichen Folgen zu erwarten sein, da die durchschnittlichen Strahlendosen die gesetzlich vorgegebenen Richtwerte von 20 mSv im Jahr nicht überschreiten würden. Ähnliche Beschwichtigungen kennt man seit langem aus Tschernobyl, aus Uranbergbaugebieten oder den Atomwaffentestgebieten.

Dabei wissen wir Mediziner schon lange, dass auch niedrig dosierte Strahlung gesundheitliche Folgen haben kann. Spätestens seit den Erkenntnissen von Alice Stewart in den 1950er Jahren, die steigende Leukämieraten bei Kindern nachweisen konnte, die im Mutterleib mit Röntgenstrahlen untersucht wurden, gilt das Prinzip, die Strahlendosen möglichst gering zu halten um Erbgutschäden und Krebsentstehung zu vermeiden. Kein Arzt würde ein Kind 100 Röntgenuntersuchungen im Jahr aussetzen (20 mSv Gesamtdosis) und dann davon sprechen, dass gesundeitliche Folgen ausgeschlossen seien. Im Mai 2013 veröffntlichten australische Ärzte eine aufsehenerregende Studie im British Medical Journal (BMJ), die erneut die Gefahren durch ionisierende Strahlung, auch im sogenannten Niedrigdosisbereich aufzeigte.(1)

Die Daten von 10,9 Millionen Menschen aus den Jahren 1985 und 2005 wurden retrospektiv untersucht und die Inzidenz von Krebserkrankungen mit der Anzahl der CT-Untersuchungen verglichen. Die Ergebnisse, kurz zusammengefasst:

  • Menschen, die eine CT-Untersuchung über sich ergehen ließen, hatten knapp 10 Jahre nach der Strahlenexposition ein etwa 24% (Konfidenzintervall 20-29%) höheres Risiko, eine Krebserkrankung zu entwickeln als Menschen, die keine CT-Untersuchung hatten.
  • Die durchschnittliche Strahlendosis einer CT-Untersuchung betrug bei den ausgewerteten Daten etwa 4,5 mSv.
  • Alter, Geschlecht oder Geburtsjahr stellten dabei keine signifikanten Konfounder dar.
  • Mit jeder weiteren CT-Untersuchung stieg das Risiko einer Krebserkrankung um etwa 16% (Konfidenzintervall 13-19%). Es gibt also eine nachvollziehbare Dosis-Wirkungs-Relation (siehe Grafik anbei)
  • Vor allem Menschen, die in jungen Jahren Röntgenstrahlen ausgesetzt waren, hatten ein erhöhtes Krebsrisiko nach Strahlenexposition. Die nach Alter aufgeschlüsselten Risiken betrugen:
    • CT Untersuchung im Alter von 1-4 Jahren: 35% höheres Krebsrisiko (Konfidenzintervall 25-45%)
    • CT Untersuchung im Alter von 5-9 Jahren: 25% höheres Krebsrisiko (Konfidenzintervall 17-34%)
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    • CT Untersuchung im Alter von 10-14 Jahren: 14% höheres Krebsrisiko (Konfidenzintervall 6-22%)
    • CT Untersuchung im Alter von mehr als 15 Jahren: 24% höheres Krebsrisiko (Konfidenzintervall 14-34%)
  • Vor allem Leukämien, Myelodysplasien, Lymphome, solide Tumore des Magendarmtrakts, Melanome, Weichteilsarkome, Tumore des weiblichen Genitaltrakts, urologische Tumore, Hirntumore und Schilddrüsenkrebs zeigten einen signifikanten Anstieg in der strahlenexponierten Bevölkerung. Einige besonders eklatante Beispiele:
    • Das Risiko, nach einer CT-Untersuchung des Schädels einen Hirntumor zu entwickeln, stieg in der untersuchten Population um 144% an (Konfidenzintervall 112-181%)
    • Das Risiko, nach einer CT-Untersuchung des Abdomens eine Leukämie zu entwickeln, stieg in der untersuchten Population um 224% an (Konfidenzintervall 117-384%)
    • Das Risiko, nach einer CT-Untersuchung des Brustkorbs einen Weichteiltumore zu entwickeln, stieg in der untersuchten Population um 364% an (Konfidenzintervall 74-1140%)

Einschränkend muss gesagt werden, dass es sich bei der Studie um eine retrospektive Untersuchung handelt und Korrelation nicht mit Kausalität gleichzusetzen ist. Dennoch konnten die wesentlichen Voraussetzungen für Kausalitätsvermutungen erreicht werden: konsistent signifikante Zusammenhänge, Dosis-Wirkungs-Relationen und der Ausschluss relevanter Konfounder. Die Studie zeigt, dass es mit sehr großer Plausibilität einen Zusammenhang zwischen der Exposition einmaliger niedrigdosierter ionisierender Strahlung und der Entwicklung von Krebserkrankungen gibt.

Die durchschnittliche Nachuntersuchungszeit der untersuchten Patienten betrug in der Studie 9,5 Jahre, so dass keine abschließende Aussagen über die Folgen nach 20, 30 oder gar 40 Jahren getroffen werden können. Gerade Krebserkrankungen, deren Entwicklung viele Jahre dauern kann, oder die erst in fortgeschrittenen Stadien erkannt werden, könnten durch diese Studie daher noch unterrepräsentiert sein.

Auch muss bedacht werden, dass die Rate an Krebserkrankungen im Kindesalter generell niedrig ist und es sich z.B. bei Leukämien und Schilddrüsenkrebs um sehr seltene Krankheiten handelt, so dass auch hochsignifikante Steigerungen wie in der Studie beschrieben, nicht zu großen absoluten Zahlen führen. Aus der Studienpopulation von 10.939.680 hatten 680.211 Menschen CT-Untersuchungen. In dieser exponierten Gruppe wurden 3.150 Krebserkrankungen festgestellt. Gemäß der Kontrollgruppe wären 2.542 Krebserkrankungen zu erwarten gewesen. Es wurden also 608 Krebserkrankungen identifiziert, die über das zu erwartende Maß hinaus, vermutlich als Folge der Strahlenexposition nach CT-Untersuchungen, aufgetreten waren (147 Hirntumore, 356 solide Tumore an anderen Lokalitäten, 48 Leukämieerkrankungen oder Myelodysplasien und 57 Lymphome).

Trotz dieser einschränkenden Kommentare stellt die Studie eine weitere wichtige Stütze für die Argumentation dar, dass auch im Bereich niedriger Strahlenwerte (in diesem Fall durchschnittlich 4,5 mSv), von messbaren gesundheitlichen Effekten auszugehen ist - vor allem bei Kindern. Eine Studie britischer Ärzte, die 2012 in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurde, hatte bereits ähnliche Ergebnisse gezeigt:(2) Patienten, die CT-Untersuchungen des Schädels erhalten hatten, zeigten signifikant erhöhte Risiken für Leukämien und Hirntumoren. Die Strahlenbelastung der individuellen Fälle wurde für die Studie aufwendig rekonstruiert. Die Autoren erachteten es als höchst unwahrscheinlich, dass andere Faktoren als die ionisierende Strahlung als Ursache für die erhöhte Rate an Krebserkrankungen in Frage kommen.

Wir ÄrztInnen sollten mit diesem Wissen verantwortungsvoll umgehen - sowohl in unserem eigenen ärztlichen Handeln, also auch in unserem andauernden Engagement für eine umfassende Aufklärung der gesundheitlichen Folgen von Atomkatastrophen wie in Tschernobyl oder Fukushima, den jahrzehntelangen Atomwaffentests, dem Uranbergbau, dem Atommüll, kurzum: der gesamten atomaren Kette.

Dr. med. Alex Rosen, Kinderarzt, Berlin
Vorstandsmitglied, IPPNW Deutschland
7. Januar 2014



1 Mathews JD, Forsythe AV, Brady Z et al. Cancer risk in 680 000 people exposed to computed tomography scans in childhood or adolescence: data linkage study of 11 million Australians. BMJ 2013;346:f2360

2 Pearce MS, Salotti JA, Little MP et al. Radiation exposure from CT scans in childhood and subsequent risk of leukaemia and brain tumors: a retrospective cohort study. LANCET 2012; 380:499-505

 

 

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