01.07.2002 Nach einer Darstellung der aktuellen Auseinandersetzungen um die Ergebnisse der Körblein-Studie 2001, die erhöhte Kinderkrebsraten in der Umgebung bayerischer Kernkraftwerke nachweist, wird ein Überblick weiterer internationaler und nationaler Untersuchungen zum Thema Kinderkrebs um Atomkraftwerke gegeben.
Auseinandersetzungen um die Körblein-Studie 2001
Schon seit 1981 weist die Ulmer Ärzteinitiative, Regionalgruppe der IPPNW auf Ergebnisse von Arbeiten des Wissenschaftlers Dr. Alfred Körblein, Umweltinstitut München e.V. hin, die zeigen, dass die Kinderkrebsrate in der Umgebung von Kernkraftwerken erhöht ist. Diese Ergebnisse wurden aber seinerzeit in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaftswelt nicht wahr- und ernst genommen. Anders im Frühjahr 2001, als eine von der Ulmer Ärzteinitiative initiierte und von Körblein durchgeführte Studie (2) veröffentlicht wurde.
Körblein untersuchte darin Kinderkrebserkrankungen in der Umgebung bayerischer Atomkraftwerke im Zeitraum von 1983 - 1993. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Krebsrate bei Kindern in den Landkreisen um die bayerischen Atomkraftwerke hochsignifikant um 29 % erhöht war. Um das AKW Gundremmingen betrug die Erhöhung sogar 38 %.
Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), davon unmittelbar in Kenntnis gesetzt, versuchte zwar auch hier erneut, diese Ergebnisse zu ignorieren und in ihrem Stellenwert nicht anzuerkennen. Aber anders als bei Körbleins vorhergehenden Arbeiten fanden die Ergebnisse nicht zuletzt durch eine breit angelegte Presseinformation der Ulmer Ärzteinitiative, im weiteren Verlauf auch mit Unterstützung des Vorstandes der IPPNW und süddeutscher Umweltgruppen und Parteifraktionen von Grünen und ÖDP eine deutliche Resonanz in der öffentlichen Wahrnehmung. In einem offenen Brief (3) forderte die IPPNW das BfS auf, weitere Studien zur Ursachenklärung zu veranlassen. Die anhaltende Weigerung von dort hatte eine Protest-Briefaktion an die zuständigen Politiker, Ministerien und an das BfS mit über 10.000 Unterschriften zu Folge.
Im Juli 2001 kam es in Kassel zu einem Gespräch zwischen Vertretern des BfS auf der einen Seite und Mitgliedern der IPPNW, der Ulmer Ärzteinitiative und des Umweltinstituts München auf der anderen Seite, mit dem Ergebnis, dass man sich auf die Durchführung von neuen Untersuchungen einigte. Im einzelnen wurde vereinbart:
Dass die Ursachen für das gehäufte Auftreten von Tumoren bei Kindern in den bayerischen Landkreisen mit einer Fall-Kontrollstudie untersucht werden soll. Dabei soll die genaue Entfernung des Wohnorts der Kinder vom Reaktor in die Untersuchung mit eingehen.
Zusätzlich wird vom BfS eine ökologische Studie zum Krebsgeschehen in der Umgebung aller in Betrieb befindlicher deutscher Atomkraftwerke in Auftrag gegeben.
Die Studiendesigns für beide Studien sollen in wissenschaftlichen Arbeitsgruppen entwickelt werden, zu denen neben dem BfS und dem Umweltinstitut München auch andere Experten hinzugezogen werden sollen. Die Fall-Kontrollstudie (1) soll noch 2002 beginnen und voraussichtlich über 5 Jahre laufen. Die Ergebnisse der ökologischen Studie (2) sollen Mitte 2002 vorliegen.
Ebenfalls wurde in dem Ergebnisprotokoll des Gesprächs4 vereinbart, dass in den Fragen des Studiendesigns, des Studienablaufs und der Ergebnisse Transparenz sichergestellt wird. Ein wesentliches Ergebnis dieser Gespräche war, dass das Bundesamt für Strahlenschutz im Gegensatz zu vorausgegangenen Reaktionen die Korrektheit der Ergebnisse von Körbleins Arbeiten anerkannte und diese zum Anlass nahm, weitere Folgestudien zu veranlassen.
Die Vorarbeiten hierzu sind schon angelaufen. Die wissenschaftlichen Arbeitsgruppen für beide Studienentwürfe haben im November 2001 ihre erste Sitzung abgehalten. Beteiligt waren dabei neben Vertretern des Umweltinstitutes München, der IPPNW und des BfS, das Mainzer Kinderkrebsregister (IMSD), das Bremer Institut für Präventionsforschung, Sozialmedizin und Epidemiologie (BIPSE), das Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Neuherberg (GSF) und Vertreter der Universitäten Bielefeld und München. Das Bundesumweltministerium stellte einen "beobachtenden" Vertreter. In einer weiteren Sitzung sollen im April 2002 die Entwürfe endgültig festgelegt werden. Danach ist geplant, dass das BfS in einer Ausschreibung diese Arbeiten vergibt.
Für die ökologische Studie (2) wurde von der Arbeitsgruppe ein veränderter und erweiterter Studienansatz gewählt, eine sogenannte ökologische Fall-Kontrollstudie. Dadurch wird sich der zunächst auf Mitte 2002 vorgesehene Zeitplan der geplanten Veröffentlichung verzögern.
Die Ergebnisse der erfolgreichen Kasseler Verhandlungen im Juli 2001 fanden eine breite öffentliche Resonanz und Zustimmung. Allerdings wurde im weiteren Verlauf auf verschiedenen Ebenen und Kanälen versucht, die Ergebnisse wieder klein zureden und sogar inhaltlich in das Gegenteil zu verkehren. Zum Beispiel fallen die Antworten der rot- grünen Bundesregierung im August 2001 (5) auf eine kleine Anfrage zu diesem Thema weit hinter die Gesprächsergebnisse der eigenen Ausführungsbehörde, dem BfS zurück. Auch bleiben Veröffentlichungen des Mainzer Kinderkrebsregisters sowohl im Deutschen Ärzteblatt (6), als auch auf deren Homepage (7) in Form und Wortwahl deutlich bemüht, Körbleins Arbeiten weiterhin zu diskreditieren. In noch markanterer Weise beharrt auch die Bayerische Staatsregierung und das Bayerische Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen (8) - ungeachtet der Kasseler Gesprächsergebnisse und deren Umsetzung - auf alten Einschätzungen und Diktionen, die von Wissenschaftlern, die an den o.g. Studienentwürfen arbeiten, nicht geteilt werden. Nicht zuletzt lassen auch die an den bayerischen AKW beteiligten Atomenergiekonzerne nichts unversucht, um Körbleins Arbeiten in Mißkredit zu bringen.
Es erscheint mir deshalb an dieser Stelle sinnvoll, mit Hilfe von Ergebnissen und Methoden anderer und früherer Arbeiten, die sich mit diesen oder ähnlich gelagerten Problemen beschäftigten, einen Einblick über die Gesamtproblematik zu vermitteln. Dies geschieht allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Internationale Untersuchungen
In den USA wurde für den Zeitraum 1982-85 in der Umgebung des Siedewasserreaktors Pilgrim, Massachusetts mittels einer ökologischen Studie eine höhere Inzidenz für Leukämien und maligne Lymphome nachgewiesen. Auffällig war hier eine höhere Erkrankungsrate bei den Erwachsenen über 25 Jahre (9).
1988 wurde in den USA anlässlich einer Untersuchung in der Umgebung der Atomanlage von Hanford festgestellt, dass Kinder mit Neuralrohrdefekten vermehrt von Eltern abstammen, die vor der Zeugung erhöhten Strahlendosen ausgesetzt waren. Bei der folgenden Untersuchung weiterer Fehlbildungsarten waren die angeborene Hüftgelenksluxationen und tracheoösophageale Fisteln bei den Kindern erhöht, deren Eltern in der Anlage von Hanford beschäftigt waren (10).
Eine internationale Diskussion über potentielle biologische Wirkungen niedriger Strahlendosen lösten Fall-Kontrollstudien in der Umgebung der britischen Atomanlage Sellafield (früher Windscale) aus.
Als erste sei hier die Untersuchung von Gardner et al. aus dem Jahr 1990 genannt. Dabei wurde als Fragestellung sowohl die Nähe zur Atomanlage, als auch die Beschäftigung von Mutter / Vater in der Anlage untersucht. Es zeigte sich eine erhöhtes Risiko an Leukämie oder Non Hodgin Lymphom zu erkranken, wenn man als Kind dort in der Nähe geboren wurde und wenn der Vater vor oder bei der Konzeption dort gearbeitet hatte (11).
In einer 1993 veröffentlichten Folgestudie konnten Kinlen et al. aufzeigen, dass das Risiko nicht nur bei den dort geborenen Kindern und Jugendlichen erhöht ist, sondern auch bei Kindern, die ausserhalb geboren wurden und erst später dorthin gezogen waren (12).
Untersuchungen in Deutschland
Für den Zeitraum 1968-79 wurde in den Landkreisen Emsland und Benntheim, Nachbarlandkreise zum AKW Lingen (Siedewasserreaktor, Betriebszeit 1968-77, also einer der ersten kommerziellen Atommeiler der Bundesrepublik) eine ökologische Untersuchung durchgeführt. Grundlage davon waren Meldungen zur Mortalität an Krebs und Leukämien bei Kindern, zur Totgeburtenrate und zur perinatalen Mortalität. Ergebnis: Statistische Zusammenhänge mit den jährlichen Radionuklid- Emissionen des Reaktors (13), aber erschwerte Interpretationsmöglichkeiten der Daten durch wenig exakte Wohnortangaben.
1977 gab es weitere Untersuchungen am AKW- Standort Lingen. Auf Grund von auffälligen Ergebnissen, die vorher von verschiedenen lokalen Gruppen erhoben wurden, erfolgte eine Analyse der Krebserkrankungen und Leukämien im Auftrag der Landesregierung Niedersachsen. Ergebnis: Keine beobachteten statistisch auffälligen Unterschiede zwischen exponierten und nicht exponierten Landkreisen im Untersuchungszeitraum 1970-77 (14), wobei die Definition "exponiert und nicht exponiert" bei der anschliessenden Diskussion umstritten blieb.
1980 sammelte ein Kasseler Kinderarzt Erkrankungsfälle bösartiger Erkrankungen aus seinem Krankengut. In das Blickfeld kam so die Umgebung des Siedewasserreaktors Würgassen (Betriebszeit 1971-96). Die dort erhobenen Fälle wurden mit den Informationen des Deutschen Kinderkrebsregisters verglichen. Dabei fand sich (bis auf einen Fall) eine völlige Übereinstimmung. Deshalb erfolgten weitere systematische Untersuchungen in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen. Es zeigten sich statistisch signifikant erhöhte Erkrankungsraten im Abstand von 15 - 20 km um den Reaktor ( nicht aber für den 0-10 km, bzw. 0-15 km Radius). Als mögliche Erklärung dafür wurden gasförmige Emissionen aus dem Schornstein des Reaktors diskutiert (15).
1981 führte das Institut für Strahlenhygiene (ISH) im Auftrag des Bayerischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen eine Studie zu Leukämien aller Altersgruppen um die Standorte von bayerischen Nuklearanlagen für den Zeitraum 1976-81 durch. Dabei wurden neben den 3 damaligen kommerziellen Leistungsreaktoren (Gundremmingen, Isar I, Niederaichbach) der Versuchsreaktor in Kahl und die zwei Forschungsreaktoren Neuherberg und Garching in die Untersuchung einbezogen.
Hauptergebnis: Überwiegend keine statistisch signifikanten Auffälligkeiten, allerdings Auffälligkeiten bei den beiden Forschungsreaktoren, insbesonders bei Jungen unter 15 Jahren in der Umgebung von Neuherberg, wobei sich die Abstandsregionen von Garching und Neuherberg weit überlappen (16).
1992 veröffentlichte das Instituts für Medizinische Statistik und Dokumentation (IMSD) der Universität Mainz eine Untersuchung zur Häufigkeit von Krebserkrankungen im Kindesalter (bis 14 Jahre) in der Umgebung westdeutscher kerntechnischer Anlagen im Untersuchungszeitraum 1980-1990 (KKW-1 Studie). Im Hauptergebnis der Studie waren alle malignen Erkrankungen bei Kindern in den 0-15 km-Regionen um alle Standorte unauffällig.
Auffälligkeiten zeigten sich jedoch bei einer Subgruppe ausgewählter Diagnosen, den malignen Lymphomen, Leukämien, Neuroblastomen und Nephroblastomen. Am auffälligsten war, dass die als besonders strahleninduzierbar geltenden akuten Leukämien bei Kindern unter 5 Jahren, sowohl im 0-5 km-Umkreis als auch im 0-15 km-Umkreis um alle Standorte statistisch signifikant erhöht waren. Auch zeigten in dieser Untersuchung die ältesten Atomanlagen, die schon vor 1970 in Betrieb genommen worden waren, die auffälligsten Ergebnisse (17).
1993 waren die Ergebnisse der o.g. Untersuchung um den Standort Würgassen11 Anregung für erweiterte Untersuchungen, durchgeführt an der Universitätsklinik Göttingen (Untersuchungszeitraum 1980-88). Dabei fielen erhöhte, aber statistisch nicht signifikante Erkrankungsraten bei Leukämien und malignen Tumoren auf (18).
Fast zeitgleich mit dieser westdeutschen Göttinger Studie wurde 1993 in Ostdeutschland eine Untersuchung der Umgebung von DDR- Atomanlagen (Untersuchungszeitraum 1979-88) durchgeführt. Im Gegensatz zur BRD stand dort als Grundlage ein umfangreiches Krebsregisters zur Verfügung. Untersucht wurden die Standorte Greifswald , Rheinsberg und Rossendorf.
Es zeigten sich erhöhte, allerdings statistisch nicht signifikante Erkrankungsraten bei allen Krebserkrankungen und Leukämien im Nahbereich um alle drei Standorte. Signifikant waren die Ergebnisse bei gemeinsamer Auswertung aller Standorte und Betrachtung von allen Krebserkrankungen im Umkreis von 0-10 km (19).
Das Bremer Institut für Präventionsforschung, Sozialmedizin und Epidemiologie (BIPSE) untersuchte für den Zeitraum 1993-95 retrospektiv die Region Elbmarsch. Ursache dafür waren vermehrte Leukämierekrankungen in der Umgebung des Siedewasserreaktors Krümmel (südöstlich von Hamburg). Zwischen 2/90 und 5/91 erkrankten dort fünf Kinder und ein Jugendlicher an akuter Leukämie. Von 5/91-10/01 traten fünf weitere Leukämieerkrankungen auf. Durch die Untersuchung wurde dies als statistisch hochsignifikante räumlich-zeitliche Häufung bestätigt. Zusätzlich zeigte sich auch eine Erhöhung bei der Erkrankungsrate der Erwachsenen. Die Ursachen dafür sind bis zum heutigen Tag noch nicht aufgeklärt (20).
1997 wurde vom IMSD eine Nachfolgestudie (KKW-2 Studie) zur o.g. KKW-1 Studie von 1992 veröffentlicht. Untersucht wurden wiederum alle Standorte von kerntechnischen Anlagen in Westdeutschland (alle Kernkraftwerke, alle Forschungsreaktoren, alle Reaktoren, auch mit nur kurzer Laufzeit) mit einer Auswertung für den Zeitraum von 1980-1995. In ihrer Zusammenfassung schreiben die Autoren, dass die in derr KKW-1 Studie auffälligen Beobachtungen in der KKW-2 Studie keine statistisch signifikanten Ergebnisse brachten. Dies gelte "insbesondere auch (...) für die viel diskutierte Beobachtung einer Häufung von Leukämieerkrankungen bei Kindern unter 5 Jahren in der Nahumgebung von kerntechnischen Anlagen (<5 km)" (21).
Eine 1999 durchgeführte Reanalyse der KKW-2- Studie, die sich mit dem selben Zahlenmaterial auf die Untersuchung der Standorte nur der Kernkraftwerke konzentriert, weist eine um 53% erhöhte Leukämierate von Kleinkindern im Nahbereich der Kernkraftwerke nach (22).
Ähnliche Effekte zeigen sich bei einer Neuauswertung von Daten durch Körblein aus einer Studie von 1995 des Instituts für Strahlenhygiene (ISH), einer Unterabteilung des BfS. Darin wurde keine erhöhte Krebsrate bei Kindern um die 5 bayerischen Standorte von kerntechnischen Anlagen gefunden. Körbleins Reanalyse brachte eine signifikante 35%-ige Erhöhung der Kinderkrebsrate, wenn nur die drei Standorte von bayerischen Atomkraftwerken in die Untersuchung einbezogen werden, also der Forschungsreaktor Garching und der stillgelegte Versuchsreaktor Kahl ausgenommen werden (23).
Die Anfang 2001 veröffentlichte Untersuchung zu Kinderkrebserkrankungen in der Umgebung bayerischer Atomkraftwerke Zeitraum (1983-93) wurde bereits am Anfang des Artikels beschrieben.
Jüngste mysteriöse Funde von radioaktiven Partikeln in der Elbmarsch erinnern erneut an die dortige erhöhte Leukämieraten in der Umgebung des AKW Krümmel (s.o.). In unmittelbarer Nachbarschaft des AKW wird auch eine atomare Forschungseinrichtung betrieben. Wissenschaftler der Arbeitsgemeinschaft Physikalische Analytik und Messtechnik (ARGE PhAM) haben in einer am 5.7.2001 veröffentlichten Studie das Vorkommen von sogenannten PAC-Kernbrennstoff- Kügelchen im Nahbereich der Geesthachter Atomanlagen (Elbmarsch- und Elbgeest) wiederholt bestätigt. In Untersuchungen an den Universitäten Gießen und Marburg wurde angereichertes Uran in 15 von insgesamt 16 Bodenproben rund um die Anlagen nachgewiesen. Ein Einfluss durch Bombenfallout oder Tschernobyl kann zweifelsfrei ausgeschlossen werden. Die Forscher gehen nach derzeitigen Erkenntnissen davon aus, dass die radioaktiven Partikel bei einem vertuschten Atomunfall in einer Forschungseinrichtung freigesetzt worden sind. Die Studie der ARGE PhAM wurde von der IPPNW in Auftrag gegeben. Der IPPNW ist bekannt, dass am 12.9.86 innerhalb und außerhalb des Atomkraftwerks eine radioaktive Kontamination aufgetreten war.
Es wurden Kontrolleure mit Strahlenschutzanzügen beobachtet. Die Erklärung der Atomaufsicht, es habe sich um einen Aufstau von natürlicher Radioaktivität durch Radon gehandelt, dass von außen in das Gebäude angesaugt worden sei, ist erkennbar unsinnig. Die Meßgeräte im Atomkraftwerk zeigten am 12.9.86 für jeweils eine knappe Stunde einen zeitversetzten Anstieg um mehrere Größenordnungen, bei denen es sich um "signifikante Prüfpeaks" handeln soll. Hierzu Gutachter Gabriel: "Die Behauptung der Behörden ist Volksverdummung. Selbst wenn die gesamte Geest aus Uran bestünde, könnte sich keine entsprechende Radon-Aktivität aufbauen."
Die IPPNW forderte im Juli 2001 die Atomaufsichtsbehörde in Kiel auf, ihr Wissen um Störfälle und Atomunfälle in den Geesthachter Atomanlagen endlich offenzulegen. Die Staatsanwaltschaft in Lübeck ermittelt zur Zeit. Ein Ergebnis dieser Ermittlungen liegt noch nicht vor (24).
Fazit
Die Geschichte der Untersuchungen über Erkrankungen in der Umgebung von Atomanlagen erinnert teilweise an einen Kriminalroman mit vielen, zunächst unübersichtlichen Indizien. Auch in vielen anderen Untersuchungen finden sich Hinweise und Beweise von Gesundheitsschäden in der Umgebung von Atomanlagen. Es liegt allerdings in der Natur der Sache, dass sich eine direkte und ursächliche Beweisführung immer schwierig gestaltet. Eine solche ist durch die gegebenen Umstände (Kleine Fallzahlen, Gesetze der Statistik, Multivariabilität der Tumorauslösung, Latenz der Erkrankungen, etc.) nahezu unmöglich.
Auch wenn die Betreiber und die Befürworter der Kernenergienutzung nicht müde werden, immer wieder zu betonen, dass es keine Beweise gäbe, dass die Kernenergienutzung als Krankheitsursache in Frage käme, darf dabei nicht übersehen werden, dass es gerade die AKW- Betreiber sind, die den Beweis ihrer Unschuld nicht führen können.
Von niemanden ist bisher schlüssig und ursächlich nachgewiesen worden, dass Kernenergienutzung für Mensch und Tier in der Umgebung der betriebenen Anlagen wirklich ungefährlich sei. Es ist überfällig, die Beweislast endlich umzukehren. Es ist nun Sache der AKW-Betreiber, die Unbedenklichkeit des Betriebes ihrer Anlagen zu beweisen.
Von Reinhold Thiel
Weitere Informationen: www.ippnw-ulm.de
Quellen:
1 Vortragsveranstaltung 22.6.98 im Stadthaus Ulm mit Dr. Körblein "Doch vermehrt Krebserkrankungen und Mißbildungen bei Kindern im Bereich des AKW Gundremmingen? - Neue Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien", anschließend mehrjähriger Schriftverkehr mit dem Bundesamt für Strahlenschutz und den Umweltministerien, diverse Presseveröffentlichungen (www.ippnw-ulm.de)
2 z.Zt. veröffentlicht auf der Homepage des Umweltinstitutes München e.V. (www.umweltinstitut.org)
3 Offener Brief der IPPNW an das Bundesamt für Strahlenschutz vom 30.März 2001, dokumentiert unter (www.ippnw-ulm.de)
4 Ergebnisprotokoll des Treffens zwischen BfS, IPPNW und dem Umweltinstitut München am 11.07.2001 in Kassel (Original beim Verfasser)
5 Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Abgeordneten Eva Bulling-Schröter (Bundes-Drucksache 14/6773)
6 Kaatsch P, Spix C, Michaelis J, "Datenfischen" Deutsches Ärzteblatt (DÄ), Jg.98, Heft 38 vom 21.9.01, S. 2405 und Leserbriefe dazu im DÄ Heft 45 vom 9.11.01 S. 2945, 2946
7 (www.kinderkrebsregister.de)
8 Bericht der Bayerischen Staatsregierung an den Bayerischen Landtag, Konsequenzen aus der Studie der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) in Ulm über gehäufte Kinderkrebsrat im Umkreis der bayerischen Atomkraftwerke, Drs.14/7034 mit Begleitschreiben des Staatsminsisters Dr. Werner Schnappauf vom 11.0.2002
9 Clapp R, Cobb S, chan C, Walker B, Leukemia near Massachusetts nuclear power plant (letter), Lancet 1987, 2: S. 1324-1325
10 Sever LE, Gilbert ES, Hessol NA, McIntyre JM, A case-control study of congenital malformations and occupational exposure to low-level ionizing radiation. Am J Epidemiol 1988;127:226-242
11 Gardner MJ, Snee MP, Hall AJ, Powell CA, Downes S, Terell JD, Results of a case-control study of leukemia and lymphoma among young people near Sellafield nuclear plant in West Cumbria, BMJ 1990, 300, S. 423-442 - auch: Gardner MJ, Hall AJ, Snee MP, Powell CA, Downes S, Terell JD, Methods and basic data of case-control study of leukemia and lympoma among young people near Sellafield nuclear plant in West Cumbria, BMJ 1990, 300, S.429-434
12 Kinlen LJ, Can paternal preconceptionel radiation account for the increase of leukaemia and non-Hodgkin`s lymphoma in seascale? (ss comments), BMJ 1993, 306, S.1718-1721
13 Stein B, Krebsmortalität von Kindern unter 15 jahren, Säuglingssterblichkeit und Totgeburtenrate in der Umgebung des AKW Lingen, Berlin: Arbeitsgruppe Umweltschutz, Berlin e.V., Eigenverlag 1988
14 Kater H, Erhöhte Leukämie- und Krebsgefahr durch Kernkraftwerke? Niedersächsisches Ärzteblatt Heft 20, 1978, S. 658, 659
15 Demuth M, Leukämiemorbidität bei Kindern und Jugendlichen in der Umgebung des Kernkraftwerkes Würgassen, Eigenverlag 1989 - und DemuthM, Leukämiemorbidität bei Kindern in der direkten Umgebung des Kernkraftwerkes Krümmel, in: Gesellschaft für Strahlenschutz GSS(Hrg.), Neue Bewertung des Strahlenrisikos, München, MMV Medizin Verlag, 1993, S. 167-173
16 Grosche B, Hinz G, Tsachavidis C, Kaul A, Analyse der Leukämiemorbidität in Bayern in den Jahren 1976-1981, Teil I und Teil II, Neuherberg: Bayerisches Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen (Hrg), Institut für Strahlenhygiene des Bundesamtes für Strahlenschutz, 1987
17 Keller B, Haaf G, Kaatsch P, Michaelis J, Untersuchungen zur Häufigkeit von Krebserkrankungen im Kindesalter in der Umgebung westdeutscher kerntechnischer Anlagen 1980-1990, IMSD, technischer Bericht, Mainz, Institut für Medizinische Statistik und Dokumentation der Universität Mainz, 1992 - auch: Michaelis J, Haaf G, Kaatsch P, Keller B, Krebserkrankungen im Kindesalter, DÄ, Heft 30 vom 24.7.92 S. 1386-1390
18 Prindull G,Demuth M, Wehinger H, Cancer morbidity rates of children from the vicinity of the nuclear power plant of Würgassen (FRG), Acta Haematol No.90, 1993, S.90-93
19 Möhner M, Stabenow R, Childhood malignancies around nuclear installations in the former GDR, Medizinische Forschung 1993, 6:59-67
20 Dieckmann H, Häufung von Leukämieerkrankungen in der Elbmarsch, Gesundheitswesen 1992, Heft 10, S.592-596 - auch: Hoffmann W, Dieckmann H, Schmitz-Feuerhake I, A cluster of childhood leukemia near a nuclear reactor in Northern Germany, Arch environ Health 1997, 52 (4), S. 275-280 - auch: Hoffmann W, Greiser E, Beitrag der Epidemiologie zur Untersuchung von Erkrankungshäufungen in der Umgebung von sogenannten Punktquellen, In: PublicHealth-Forschungsverbünde in der Deutschen Gesellschaft für Public Health e.V. (Hrg), Public-Health Forschung in Deutschland, Bern, Göttingen, Toronto, Seattle, Verlag Hans Huber, 1999, S. 119-123
21 Kaletsch U, Meinert R, Miesner A, Hoisl M, Kaatsch P, Michaelis J, Epidemiologische Studien zum Auftreten von Leukämieerkrankungen bei Kindern in Deutschland, Bonn, Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, 1997
22 Körblein A, Hoffmann W, Childhood Cancer in the Vicinity of German Nuclear Power Plants, Medicine+Global Survival, 1999,6 No.1, S.18-23
23 Körblein A, Erhöhte Krebsrate bei Kindern im Umkreis von deutschen Kernkraftwerken, Arzt und Umwelt 11, 1998, S. 109-110 - auch: Körblein A, In der Umgebung von Kernkraftwerken lässt sich doch vermehrt Krebs bei Kindern nachweisen, Strahlentelex, Mai 1992, S. 3-4, - auch; Körblein A, Erhöhte Krebsraten in der Umgebung deutscher Atomkraftwerke, Umweltnachrichten 77/98 des Umweltinstitutes München e.V.
24 Radioaktivität in Elbmarsch und Elbgeest, Untersuchung der ARGE PhAM im Auftrag der IPPNW, Akzente, Schriftenreihe der IPPNW, Berlin, Juli 2001
zurück