Milchzähne und 90-Strontium in Japan

Von Martin Walter

20.10.2016 Louise Marie Zibold Reiss (geboren am 23. Februar 1920 in Queens, New York City, gestorben am 1. Januar 2011 in Pinecrest, Florida) war eine amerikanische Ärztin, die für die so genannte „Milchzahn-Untersuchung“ bekannt wurde, in der die Zähne von Kindern, die in den 1950ern und 1960ern geboren wurden, aus dem Gebiet von St. Louis untersucht wurden, um die Auswirkungen von Atomtests zu erforschen. Die Resultate zeigten, dass bei Kindern, die nach 1963 geboren wurden, um bis zu 50fach höhere Werte von 90-Strontium gefunden wurden als bei Kindern, die vor dem Start regelmäßiger Atomtests geboren wurden. Vorläufige Ergebnisse von Ende 1961 trugen dazu bei, U.S.-Präsident John F. Kennedy davon zu überzeugen, den Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser zu unterzeichnen, um die oberirdischen Atomtests zu beenden.

Nicht nur beim Zünden einer Atombombe entsteht durch die Kernspaltung 90-Strontium, sondern auch bei der Kernspaltung in Atomkraftwerken. Bei der Kernschmelze in Atomkraftwerken wird - unter anderem - in grosser Menge 90-Strontium in die Biosphäre freigesetzt und dann in Knochen und Zähne eingebaut. So zum Beispiel beim Supergau von Tschernobyl und bei dem von Fukushima Daiichi.

 

Japan

Im Dezember 2011 begleite ich Susan Boos auf ihrer zweiten Reise nach Japan. Sie schreibt ein Buch über den Reaktorunfall von Fukushima und ihre Reisen nach Japan dienen der Recherche zu diesem Buch. Wir sind begleitet von Tomoyuki Takada, der in Tokyo aufgewachsen ist und nun als Japaner in Deutschland lebt. Takada kommt als Uebersetzer mit nach Japan.

In einem eng geplanten Programm bereisen wir vorwiegend den Norden von Japan. Kyoto, Tokyo, Fukushima, Minamisoma, Iitate Mura und Koryama sind die Hauptdestinationen der Reise. Am 5.12.2011 besuchen wir eine kleine Kolonie von japanischen Familien, die freiwillg aus der Stadt und der Umgebung Fukushima geflohen sind. Yuko Nishiyama repräsentiert eine von diesen Familien, sie ist die Mutter eines damals zweijährigen Kindes und sie betreut 45 Familien, meist junge Frauen und ihre Kinder, die in Kyoto eine Zuflucht gesucht und erhalten haben. Frau Nishiyama ist mit ihrer Tochter am 13.3.2011, zwei Tage nach dem Unfall im AKW Daiichi in der Präfektur Fukushima weggereist nach Kyoto. Wir haben von ihr die Situation der freiwillig Evakuierten erzählt bekommen, was im Buch von Susan Boos "Fukushima lässt grüssen" dokumentiert ist.

Am 23.2.2012 habe ich mit Yuko Nishiyama, ihrer Tochter, ihrer Mutter und einem Begleiter in Bern ein Mittagessen eingenommen. Yuko Nishiyama war von Greenpeace Schweiz zu einer Vortragsreise eingeladen worden. Während dieses Essens kam ich auf Milchzähne zu sprechen. Bald war man sich einig, dass Frau Nishiyama nach ihrer Rückkehr nach Kyoto beginnen wolle, Milchzähne zu sammeln, die wir in der Schweiz auf ihren 90-Strontium-Gehalt untersuchen würden.

Am 3. September 2012 übergab mir Frau Nishyiama Im Hotel Palace Side in Kyoto 43 Milchzähne, die ich dem Kantonalen Labor von Basel Stadt übergab, wo Dr. Markus Zehringer in seinem Labor die Zähne analysierte auf ihren
90-Strontium-gehalt.

Im Mai 2013 suchte Dr. Eisuke Matsui und seine Frau Kazuko über Yves Lenoir nach einer Möglichkeit, weitere japanische Milchzähne zu analysieren und erhielt vom zuerst angefragten Alexey Nesterenko von Belrad in Belarus einen negativen Bescheid. Prof. Andreas Nidecker führte Dr. Matsui zu mir. Ich nahm Verbindung auf zu Dr. Markus Zehringer vom Kantonalen Laboratorium von Basel-Stadt, der in weitere Untersuchungen einwilligte. Am 30. Mai 2013 übergaben die Matsuis und ein japanischer Zahnarzt im Kantonslabor weitere Zähne. Weitere Zähne aus Japan erhielten wir anlässlich Besuchen der Japaner am 5.6.2014 und am 29.10.2015.

Eine Zusammenfassung der Messungen konnten wir im Strahlentelex am 2.6.2016 publizieren.

Bis dato sind 226 Milchzähne aus Japan untersucht. Diese Zähne stammen von Kindern die ihre Milchzähne nach dem Unfall von Fukushima verloren haben. Das 90-Strontium dieser Zähne stammt nicht aus den havarierten Reaktoren, sondern wohl von den oberirdischen Atombombentests der
1960-er Jahre. Die von Dr. Markus Zehringer erhobenen Daten stellen eine gute Basis für weitere Untersuchungen in Japan dar. Ein Projekt von Dr. Eisuke Matsui und seinen Leuten sieht vor, weitere Milchzähne zu untersuchen und so zu eruieren, wie gross die 90-Strontium Belastung für kommende Gruppen von Kindern ist. Das Projekt "Preserving Deciduous Teeth Network", das von Dr. Eisuke Matsui und Dr. Takemasa Fujino angestossen wurde, sieht vor, ein eigenes japanisches Labor zu gründen und die Zahnuntersuchungen in Japan selber durchzuführen. Dr. Markus Zehringer wird die japanischen Freunde beim Aufbau des Labors unterstützen.

Ich unterstütze Eisuke und Kazuko und ihre Leute in Japan in ihren Bemühungen. Nur so können wir der Verharmlosung der Atomunfälle in Fukushima Daiichi, wie sie derzeit von der japanischen Regierung zusammen mit dem "Nuclear Village" betrieben wird, entgegenhalten. Die derzeitige japanische Regierung ist selber Mitglied des "Nuclear Village.

 

Woher in Japan stammen die Milchzähne?

Wohnorte der Kinder, denen Milchzähne extrahiert wurden finden Sie auf dieser Karte. Die Wohnorte der 43 Kinder, von denen die ersten Zähne stammen, die von Frau Yuko Nishiyama gesammelt wurden, sind auf der Karte mit roten Signeten eingetragen, Die Wohnorte der Kinder der 2. Sammlung (Zähne von 57 Individuen), die von Dr. Eisuke Matsui und seinen Begleitern übergeben wurden, sind blau markiert. Beim Klick auf die Sammelorte auf der Googlekarte wird links in einem Fenster der Google-Karte der 90-Strontiumgehalt der Zähne mit mehreren Angaben angezeigt: (Anzahl Zähne für diesen Ort, bei Werten unterhalb der Messgrenze (<LOD=limit of detection) die Anzahl der nicht messbaren Werte, der Mittelwert aller gemessenen Zähne an diesem Ort und der Medianwert der gemessenen Zähne an diesem Ort angezeigt, wenn letztere Angaben sinnvoll sind. Es sind bis dato nur die ersten 2 Milchzahnsammlungen kartographiert.

 

Hinweis: Dieser Beitrag wurde zuerst in Martin Walters Blog veröffentlicht.

 

 

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