Aus dem Atom-Energie-Newsletter Juli 2020

Die belgische Atompolitik 2020

- eine Bestandsaufnahme -

In unserem Nachbarland Belgien gibt es zur Zeit vor allem drei besorgniserregende Projekte: Das neue Zwischenlager in Tihange, das Endlager in Belgien für hochradioaktiven und/oder langlebigen Atommüll  und die Laufzeitverlängerung der bestehenden AKWs. Was die drei Themen miteinander zu tun haben und wo sinnvolle Ansatzpunkte für die Anti-Atom-Bewegung in Belgien und im restlichen Europa liegen, erläutert Odette Klepper von der IPPNW Aachen:

Das neue Zwischenlager in Tihange

Tihange benötigt ein neues Zwischenlager, weil die Abklingbecken übervoll sind und eine deutlich größere Gefahr darstellen als ein Trockenlager. Der Plan für dieses neue Lager ist von der wallonischen Regierung mittlerweile abgesegnet und der Bau soll beginnen. Es gibt jedoch erhebliche Sicherheitsbedenken:

  • Der Bau des Trockenlagergebäudes für 120 Castoren soll nach der Entscheidung des zuständigen Ministeriums unseres Wissens eine Betriebsgenehmigung für 80 Jahre erhalten. In Deutschland sind die Genehmigungen für Standort-Zwischenlager generell auf 40 Jahre begrenzt, was der technischen Lebensdauer der dort eingelagerten Behälter (Castoren) für abgebrannte Brennelemente entspricht.

  • Nach Meinung von Experten ist davon auszugehen, dass in diesem langen Zeitraum Undichtigkeiten an den Behältern entstehen. Für die dann notwendigen Reparaturen müsste am Standort eine „heiße Zelle“ zur Verfügung stehen. Dies ist in der Planung jedoch nicht vorgesehen.

  • Auch die bautechnische Qualität des Gebäudes weicht gravierend von dem ab, was heute üblicher Standard für die Gebäudehülle eines solchen Lagers ist. Das geplante Dach soll eine Betondecke von nur 20 cm Dicke erhalten. Zum Vergleich: Das neue Zwischenlager in Lubmin soll eine Betondicke von 180 cm in den Wänden und dem Dach erhalten, um auch dem Absturz eines großen Verkehrsflugzeuges zu widerstehen. Dies führt unseres Erachtens zu einer besonderen Gefährdung, da in nur 15 km Entfernung der große Passagier- und Frachtflughafen Liège-Bierset liegt, dessen Rollbahnen genau auf das Kraftwerksgelände weisen.

  • Der Standort des Gebäudes (zwischen den Kühltürmen von Tihange 2 und 3, nahe der öffentlichen Straße entlang des Betriebsgeländes) und die Lüftungsöffnungen für die passive Kühlung der wärmeabgebenden Castoren sind so ungünstig orientiert und konstruiert, dass sie leicht zugänglich für terroristische Attacken wären. Ihnen fehlen nach der vorliegenden Planung jegliche davor gesetzte Schutzwände, wie sie zum Beispiel beim größten deutschen Zwischenlager in Gundremmingen nachgerüstet wurden.

Bei einem Neubau einer neuen kerntechnischen Anlage wie einem Zwischenlager innerhalb der EU muss gemäß der völkerrechtlichen Espoo- und Aarhus-Konventionen eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchgeführt werden.

Da das Zwischenlager Mitte März bereits ohne grenzüberschreitende UVP genehmigt wurde, haben verschiedenen Umweltorganisationen wie 3Rosen, Greenpeace Aachen, NABU Aachen und IPPNW Aachen die zuständigen Minister der betroffenen Länder Rheinland-Pfalz und NRW aufgefordert, gegen diese Genehmigung zu protestieren und eine grenzübergreifende UVP einzufordern. Bisher haben die Minister noch nicht reagiert.


Das Endlager für hochradioaktiven und/oder langlebigen Atommüll

Belgien produziert seit über 40 Jahren hochradioaktiven Atommüll und stellt jetzt fest, dass es dafür ein Endlager für Hundertausende, ja Millionen von Jahren braucht. Mitten im Lockdown hat NERAS die Nationale Einrichtung für die Entsorgung Radioaktiver Abfälle eine strategische Umweltverträglichkeitsprüfung gestartet - mit Bürgerkonsultationen vom 15.04.2020 bis 13.06.2020. Die Bürgerkonsultationen fanden ausschließlich online statt und wurden auch nicht groß öffentlich angekündigt. Die meisten Bürger haben weder von den Konsultationen noch von dem Endlagerprojekt irgend etwas gewusst bevor es zu spät war.

Gegen dieses intransparente und undemokratische Verfahren haben neben den belgischen auch die Anti-Atombewegungen in den Niederlande und Deutschland protestiert und eine Verlängerung der Konsultationszeit bis November gefordert, um eine breite öffentliche Diskussion zu einem so schwerwiegenden Thema zu ermöglichen. Dies wurde von der belgischen Regierung abgelehnt. Auch eine von 40.000 Bürgern unterschriebene Petition hatte keinen Erfolg. Vier belgische Umweltorganisationen streben jetzt eine Klage an und haben eine gewisse Hoffnung, dass das Konsultationsverfahren neu aufgerollt werden muss. Die IPPNW Gruppe Aachen hat an Bundesumweltministerin Svenja Schulze und Ministerpräsident Laschet appelliert, sich für eine Terminverschiebung einzusetzen und eine grenzüberschreitende UVP einzufordern. In seinem Antwortschreiben erklärt der Ministerpräsident , dass weder er noch das Bundesumweltministerium vorab über die Anhörung informiert wurde. Die Umweltministerin sowie der Wirtschaftsminister von NRW haben inzwischen von Belgien die Herausgabe relevanter Unterlagen und eine Verlängerung der öffentlichen Anhörung gefordert.

Belgien ist ein kleines Land und egal, welches Gestein ins Visier genommen wird, das benachbarte Ausland ist immer tangiert. Drei der in die nähere Auswahl kommenden Steinformationen finden sich in unmittelbarer Grenznähe zu Deutschland und Luxemburg. Eins, das Plateau de Herve ist sogar nur 30 km von Aachen entfernt. Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte aus der Grenzregion Belgien, Niederlande, Luxemburg und Deutschland protestieren jetzt gemeinsam und lehnen jegliche Lagerung von strahlendem Müll in der Grenzregion ab.

Die Tatsache, dass weder die lokalen Politiker*innen noch die Bundesumweltministerin oder Ministerpräsident Laschet von NERAS im Vorfeld informiert wurden, empört Poltiker*innen und die Bevölkerung in der Grenzregion und verstärkt das Misstrauen gegenüber den belgischen atomaren Kontrollgremien und der belgischen Regierung - Misstrauen schon lange genährt durch die Bagatellisierung von tausenden Rissen in den Reaktoren Tihange 2 und Doel 3.


Die Laufzeitverlängerung bestehender AKW

2025 sollen eigentlich alle belgischen Atomkraftwerke vom Netz gehen. Im Oktober 2019 phantasierte Johnny Thys, Verwaltungsratsvorsitzender vom Kraftwerksbetreiber Electrabel, über eine Laufzeitverlängerung von 2-3 Kraftwerken für 10 bis 20 Jahren.

Im Dezember 2019 hat die Nieuw-Vlaamse Alliantie (NVA), eine flämisch, nationalistische, separatistische Partei, eine Resolution im Parlament vorgestellt, die konstatiert, dass in Belgien die Bedingungen für einen kompletten Atomausstieg 2025 nicht gegeben seien. Sie schlagen deshalb eine Laufzeitverlängerung für Doel 4 und Tihange 3 vor, die 2025 beide 40 Jahre Laufzeit auf dem Buckel haben werden. Es gibt Gerüchte, dass das Parlament dazu tendieren würde, diese Resolution anzunehmen. Es besteht weiterhin die Befürchtung, dass NVA die Resolution noch vor der Sommerpause ins Parlament einbringt.

Hier scheint sich der Kreis zu schließen. Warum werden sowohl Zwischenlager als auch Endlagersuche durchgewunken ohne echte öffentliche und grenzüberschreitende Beteiligung? Ohne Zwischenlager kann Tihange nicht weiterbetrieben werden und auch eine Laufzeitverlängerung lässt sich besser umsetzen, wenn ein Endlager angedacht ist.


Odette Klepper,
IPPNW Aachen


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