Aus dem Atom-Energie-Newsletter Januar 2021

Keine deutsche Beihilfe zum Betrieb maroder AKW in Belgien, der Schweiz oder anderswo!

Warum alternde europäische Atomkraftwerke, besonders in Grenznähe, ein nicht hinnehmbares Risiko für die Bevölkerung darstellen

Seit mehreren Monaten gibt es einen laufenden Rechtsstreit um ein Export-Verbot von Uran-Brennstoffen zum Einsatz in maroden und gefährlichen AKWs im benachbarten Ausland. Beklagt wird der Export in das belgische Doel 1 und 2 sowie der Export in das Schweizer AKW Leibstadt, das nur wenige Kilometer von der deutschen Grenze entfernt steht. Die IPPNW ist im Bündnis mit Antiatominitiativen aus NRW, Niedersachsen und der Region Freiburg an diesen Widersprüchen bzw. Klagen beteiligt.

Vor kurzem hat nun auch der BUND Baden-Württemberg als großer Umweltverband beim BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) förmlichen Widerspruch gegen den Brennelemente-Export in das AKW Leibstadt eingereicht. Vor wenigen Tagen wurde nun zudem bekannt, dass die Brennelementefabrik ANF trotz des laufenden Widerspruchsverfahrens – entgegen geltendem Recht –  sogar schon zwei Brennelemente-Exporte nach Leibstadt durchgeführt hat. Deshalb hat IPPNW-Mitglied Claudia Richthammer als eine der Widerspruchsführerinnen nun ebenso wie der BUND Anzeige erstattet. Da bei der ANF mit einer  erheblichen Unzuverlässigkeit hinsichtlich weiter Exporte nach Leibstadt zu rechnen ist, hat Claudia Richthammer auch Widerspruch gegen die innerdeutsche Transportgenehmigung beim BASE  (Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung) eingelegt.

Auch der BUND Nordrhein-Westfalen ist inzwischen involviert und vor wenigen Tagen nun ebenso förmlichen Widerspruch gegen die Brennelemente-Exportgenehmigung des BAFA für die belgischen Atommeiler Doel 1 und 2 eingelegt. Mit diesem Schritt ist der BUND  zum wichtigen Akteur auf dem Weg der Stilllegung der Uranfabrik Lingen geworden.


Auswirkungen eines schweren Atomunfalls durch das AKW Leibstadt und das AKW Doel 1 und 2:

Im Falle eines schweren Atomunfalles im AKW Leibstadt wären laut European Nuclear Power Risk Study 2019 (unter institutbiosphere.ch) mehr als hunderttausend Strahlenopfer in der Schweiz und den umliegenden Staaten zu erwarten. In Europa wären um die 20 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner betroffen. Mehr als 40% davon in den direkt umliegenden Ländern, und bis zu 500 000 Personen müssten dauerhaft umgesiedelt werden. Bei einem schweren Unfall im Kernkraftwerk Leibstadt läge die Zahl der Strahlenopfer in Deutschland sogar je nach Wetterlage 20% bis über 100% höher als die Zahl der Opfer in der Schweiz.

Bei einem Atomunfall in Doel 1 und 2 wäre die Bevölkerung von weiten Teilen von NRW betroffen, wie die Ausbreitungssimulation der Universität Wien für den Reaktor Doel 1 zeigt.

Hintergrund:
In Deutschland stellen die Uranfabriken in Lingen und Gronau immer noch Brennstoffe für AKWs in aller Welt her. Beide Anlagen sind vom Atomausstieg ausgenommen und dürfen bislang unbefristet produzieren.

Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung eine atomrechtliche Regelung zum Exportverbot von Uranbrennstoffen schaffen, kommt damit aber seit Jahren nicht weiter. Das von der CDU geführte Bundeswirtschaftsministerium mit dem BAFA  blockiert einen Vorschlag aus dem Bundesumweltministerium, das Exporte in AKWs, die weniger als 150 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt und vor mehr als 30 Jahren in Betrieb gegangen sind, unterbinden will.

Atomkraftwerke altern wie jede Technik. Es kommt zu Versprödungen, Wanddickenschwächungen und Korrosionsprozessen –  besonders im Reaktordruckbehälter. Gegenmaßnahmen sind begrenzt. Dadurch wächst die Gefahr eines schweren Reaktorunfalls – der mit der Freisetzung von radioaktiven Substanzen die Ländergrenzen in Europa schnell überschreiten könnte.

Überalterte Atomkraftwerke gefährden Gesundheit und Leben der Bürger*innen daher besonders.

Altersprofil europäischer Reaktoren - Oda Becker 2019

Ca. 90 Prozent aller europäischen Reaktoren sind bereits älter als 30 Jahre. 17 Atomkraftwerke in Europa sind älter als 40 Jahre – dem Alter, für das sie ursprünglich gebaut wurden. Laut dem Atomphysiker und Juristen Wolfgang Renneberg ist die Sicherheit eines Atomkraftwerks spätestens nach 40 Jahren Laufzeit nicht mehr gewährleistet: Die alten Sicherheitskonzepte können dann dem aktuellsten Stand von Wissenschaft und Technik nicht mehr standhalten. Die ursprüngliche Betriebs-genehmigung hat damit ihre Legitimation verloren. Wegen der Vielzahl und der Komplexität der Alterungsprobleme müsste jedes 40 Jahre alte Atomkraftwerk stillgelegt werden. International verbindliche Regeln fehlen bisher. Das öffnet dem politischen Lobby-Druck der AKW-Betreiber Tür und Tor. Bisher existiert keine europäische Kontrollinstanz.

Deshalb ist der politische Druck von unten nötig. Rechtliche Widersprüche und Klagen können ein wirksames Mittel darstellen, um den Atomausstieg in den europäischen Ländern voranzutreiben.

Im Rahmen der aktuelle Klimadiskussion, mit welchen Mitteln das Pariser 1,5 Grad Ziel im Sinne von Nachhaltigkeit und Klimaneutralität erreicht werden kann, muss der Weiterbetrieb der AKW in Europa gestoppt werden. Atomkraft ist teuer, gefährlich und für die Klimarettung irrelevant. Das haben zahlreiche Studien nachgewiesen. Für ein zukunftsfähiges, nachhaltiges Europa können und müssen die EU-Länder innerhalb eines verbindlichen Zeitraums gleichzeitig aus Kohle und Atom aussteigen.


Dr. Med. Angelika Claussen und Claudia Richthammer

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