Atomenergie-Newsletter vom 2. November 2022

Schweizer Atomklo soll ins Grenzgebiet Schweiz/Deutschland

Am 10. September 22 verkündete die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) die Festlegung auf den zukünftigen Endlager-Standort „Nördlich Lägern“, der unweit der baden-württembergischen Gemeinde Hohentengen liegt.

Genau dieser Standort wurde jahrelang allenfalls als untergeordnet geeignet bezeichnet, da es sich um Opalinuston, einem Sedimentgestein, handelt – und die Schweiz bisher auf Granit als Endlager-Gestein setzte. Diese auch wissenschaftliche Kehrtwende kritisierte A. Mayer (ehemaliger BUND-Geschäftsführer in Freiburg) und sprach davon, dass die Frage der politischen Durchsetzbarkeit des Lagers im Kern die Standortwahl bestimmt hat - nicht die Geologie1. Die Bevölkerung dies- und jenseits der Grenze könnte diese Entscheidung möglicherweise teuer mit verstrahltem Trinkwasser bezahlen.  

Kritische Wissenschaftler*innen unterstützen diese Sichtweise: M. Buser, A. Lambert und W. Wildi weisen auf die nur relativ dünne Schicht an Opalinuston hin, welche die Nagra größer rechne, indem sie darunterliegende Tonschichten addiere. Zudem liege unterhalb der Opalinusschicht ein sog. Permo-Karbon-Trog (PKT), deren Risikobewertung noch nicht ausreichend geführt sei. Zudem sei abzuklären, inwieweit Gasvorkommen in den Speichergesteinen des PKT vorliegen würden. Sie kommen zu dem Schluss, dieser Suchprozess wurde alles andere als offen und transparent geführt.  Insgesamt sehen sie die Auswahlentscheidung als schwer beschädigt („kontaminiert“) an2

In der Schweiz sind von ursprünglich 5 AKWs noch 4 Reaktoren am Netz (Gösgen, Beznau 1 und 2, Leibstadt) – allesamt Altreaktoren, wobei Beznau 1 und 2 die weltweit ältesten noch in Betrieb befindlichen AKWs sind. Und gerade deren Laufzeit wurde, trotz Fukushima, bis heute nicht begrenzt, sondern auf unbestimmte Zeit vertagt. Anvisiert ist eine Reaktor-Gesamtlaufzeit von jeweils 60-ig Jahren.      

Die Schweizer Ärzt*innen für soziale Verantwortung und zur Verhütung des Atomkrieges (PSR/IPPNW) sagen aus gesundheitlichen Erwägungen „Nein“ zum Atomendlager-Standort Nördlich Lägern. Die Nagra blende neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu den gesundheitlichen Wirkungen ionisierender Niedrigstrahlung aus, warnt Dr. med. Claudio Knüsli, Die Grossregionen Zürich und Nordwestschweiz – mit über 2.7 Millionen Einwohnern die bevölkerungsdichteste Gegend der Schweiz – sowie die grenznahen Regionen Deutschlands dürften nicht durch Emissionen einer weiteren Nuklearanlage belastet werden3

Auch die Schweizerische Energie-Stiftung (SES), in Kooperation mit lokalen Anti-Atom-Initiativen, halten die jetzige Standort-Festlegung für übereilt. Sie listen zahlreiche, noch nicht geklärte, standortsunabhängige Fragen auf (z.B. zur möglichen Rückholung des Atommülls, Benennung von Abbruchkriterien im Bauverlauf, Schutz des Tiefengrundwassers). Insgesamt kritisieren sie das Demokratie-Defizit mit mangelnder Einflussnahme durch die betroffene Bevölkerung. Für den notwendigen gesellschaftlichen Konsens müssen erst die Abschaltdaten der noch laufenden Atomreaktoren festgelegt sein4.

Dr. Jörg Schmid

1 www.mitwelt.org/atom-muell-ifo-schweiz-nagra.html

2 www.nuclerawaste.info/der-kontaminierte-prozess

3 www.ippnw.ch/2022/09/12/die-bevoelkerungsdichteste-region-darf-nicht-miteiner-weiteren-nuklearanlage-belastet-werden-la-region-la-plus-peuplee-ne-doit-pas-etre-exposee-a-une-nouvelle-installation-nucleaire/

4 https://energiestiftung.ch/news/standortentscheid-mit-vielen-fragezeichen-und-zum-falschen-zeitpunkt

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