Bericht von Merav Datan

Israels Debatte über Atomwaffen

Das Tabu lockern

Weder die Debatte noch ihr Verlauf kann als offizielle Bestätigung der israelischen Regierung gewertet werden, dass sie Atomwaffen besitze. Makhoul selbst bezog sich in seinem Redebeitrag ausschließlich auf ausländische Quellen. Doch das Eis ist gebrochen: Israels «Geheimnis» des Atomwaffenbesitzes ist offener als je zuvor.

Hintergründe ...
Im November 1999 veröffentlichte die populäre Tageszeitung «Yediot Ahronot» Auszüge aus mehr als 1.200 Seiten von Abschriften von Mordechai Vanunu, einem ehemaligen Techniker in Israels Atomreaktor in Dimona. 1986 hatte Vanunu Photos und Informationen über Israels Atomprogramme enthüllt. Kurz bevor die englische «Sunday Times» die Story abdruckte, wurde Vanunu in Rom vom israelischen Geheimdienst entführt und nach Israel gebracht, wo er wegen Spionage zu 18 Jahren Isolationshaft verurteilt wurde. Einzelheiten der Verhandlungen wurden «aus Gründen der nationalen Sicherheit» als Geheimsache eingestuft.

Die nun erst veröffentlichten Details aus der Vanunu-Verhandlung wurden in der israelischen Presse umfangreich kommentiert. Es gab auch Argumente, dass die Veröffentlichungen Vanunus Israels Abschreckungspolitik unterstützt hätten. Dies meinten die Befürworter von Israels ambivalenter Atomwaffenpolitik. Israel hatte wiederholt versprochen, dass man «nicht das erste Land sein werde, das Atomwaffen in den Mittleren Osten einführt». Ein bekannter Militär-Kenner hält diese Haltung für die Grundlage, auf der die USA und die NATO-Alliierten von Russland und China fordern, keine Unterstützung für Atomprogramme im Iran oder Irak zu leisten, ohne dass dies im Hinblick auf Israel als zweierlei Maß gesehen werden könnte.

In der Debatte machte Makhoul, arabischer Parlamentarier aus der Kommunistischen Partei, unter anderem folgende Bemerkungen: Nach ausländischen Angaben umfasse Israels Atomwaffenarsenal 200 bis 300 Waffen. Israel verfüge «über eine große Zahl an atomaren, biologischen und chemischen Waffen und ist damit ein Antreiber des Rüstungswettlaufs im Nahen Osten».

Minister Ramon hob in seiner zehnminütigen Antwort hervor, dass die ursprünglichen Bedenken gegen eine solche Debatte gerechtfertigt waren. Er machte geltend, dass die Atompolitik durch die Wahlen den gewählten Repräsentanten der Knesset übertragen worden seien und das Makhouls Forderungen und Behauptungen unbegründet seien. Zu berichten, «was wir haben und was wir nicht haben», könnte die nationale Sicherheit unterminieren.

Ramons Erklärung beinhaltete die bereits genannte Regierungsposition über die Einführung von Atomwaffen im Nahen Osten. Ramon wiederholte diese vier Mal und musste sich dabei mehrfach Unterbrechungen gefallen lassen. Vier arabische Abgeordnete wurden während seiner Rede des Saales verwiesen. Er erklärte, dass Israel den Atomwaffensperrvertrag unterstütze, aber «zugleich bietet der Atomwaffensperrvertrag mit all seiner globalen Bedeutung nicht die passende Lösung für den Mittleren Osten, wie die Fälle Iran und Irak zeigen».

... und Folgen der Debatte
Israels mangelndes Interesse an einer Debatte über die Atomwaffen ist keine Überraschung. Und es wäre sicherlich zu einfach, dieses Desinteresse auf Feindseligkeiten zwischen Arabern und Juden oder Patrioten und Nicht-Patrioten zu reduzieren. Diese Erklärung lässt die freigesetzten Emotionen außer Acht und gibt keine Begründung für die tieferen inneren Konflikte, die in der Knesset-Debatte ausbrachen. Das Schweigen um dieses Thema hält Israel von einer tieferen Analyse über die Sicherheitsinteressen des Landes ab. Die legitime Kritik an Israels übermilitarisiertem Sicherheitsansatz und die Konsequenzen dieser Politik - regional und international - werden von Israel oft ignoriert. Eine ehrliche und offene Debatte benötigt beides: die Stille zu durchbrechen und auszubrechen aus den simplifizierenden Argumentationen der Vergangenheit.

«Die Tatsache, dass die Debatte von einem arabischen Abgeordneten gestartet wurde, bewog die Medien sofort dazu, mit alten Stereotypen zu arbeiten», stellte ein Beobachter fest. Die neurotische Reaktion der Parlamentarier jeder Couleur ist typisch für die Einstellung der israelischen Öffentlichkeit und der Medien dort. Alles wird diskutiert, nur die Atomwaffenfrage bleibt ein Mysterium.

Sehr wenige Journalisten verfügen über zuverlässige Informationen über atomare Aktivitäten in Israel. Was also als Erfolg im Bereich der Sicherheit gilt, ist ein kontinuierliches Versagen der Medien, die vorgeben, absolut frei zu sein.

Das mangelnde Interesse der Knesset, der Medien und der Öffentlichkeit, eine substantielle Diskussion zu führen, spiegelt das Unvermögen wider, zwischen Transparenz und Kontrolle zu unterscheiden. Zudem ist diese Geheimniskrämerei erleichtert worden durch die ständige Beschäftigung mit stärker wahrnehmbaren Sicherheitsfragen für Israel.

Vanunu ist ein Symbol geworden für jene, die mehr Öffentlichkeit ablehnen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wie der « Kampagne für Mordechai Vanunu» oder «Für einen Mittleren Osten frei von atomaren, biologischen und chemischen Waffen», einer kleinen marginalisierten Gruppe, hat Vanunu sehr wenig Unterstützung innerhalb Israels. Öffentlich wird er als Verräter - an seinem Land und an seiner Religion - betrachtet. Dies hat in der Vergangenheit die Diskussion über die Atompolitik überschattet. Dennoch ist anzunehmen, dass das öffentliche Interesse an diesen Fragen ansteigen wird. Wenn die Atomwaffen-Fragen in voller Breite diskutiert werden, dann werden Vanunus Enthüllungen endlich auch als ein Akt des Gewissens und nicht mehr als Verrat eingeschätzt werden können.

Ein Aspekt der Atomfrage jedoch hat größeres öffentliches Interesse erregt - die Umwelt. In einer Titel-Geschichte der Zeitung «Yediot Ahronot» wird ein Wissenschaftler der Atomanlage aus Dimona mit den Worten zitiert, der Reaktor sei gefährlich und unsicher und sollte geschlossen werden.

Die bewusste Unklarheit insbesondere über den Besitz von Atomwaffen kann nicht ewig aufrecht erhalten werden, ohne Reaktionen, Kritik und Druck hervorzurufen, sowohl auf Israel als auch auf die USA. Israels Politik des «Abwarten- und-Tee-trinkens» im Hinblick auf die Erwartungen der USA, dass Israel den Atomwaffensperrvertrag (NPT) unterzeichne, war erfolgreich, denn der US-Druck verschwand 1970. Zu jener Zeit hatte Israel deutlich gemacht, dass die begleitenden Verpflichtungen des NPT inakzeptabel für Israel wären, insbesondere internationale Inspektionen von Atomanlagen. Israel machte in dieser Zeit erstmals sein Versprechen öffentlich, nicht als erstes Land im Nahen Osten Atomwaffen einzuführen. Aufzeichnungen von Diskussionen zwischen den USA und Israel belegen jedoch unterschiedliche Interpretationen der Begrifflichkeiten des Wortes «einführen».

Argumente für eine Offenlegung der Atompolitik Israels sind schon früher aufgebracht worden. Es ist aber nicht überraschend, dass das Konzept größerer Offenheit psychologisch verknüpft ist mit einer offenen Abschreckungsstrategie - und eben nicht mit Abrüstung. Dieses Thema ist noch nicht öffentlich debattiert worden, und die Israelis verbinden daher Atomwaffen mit Sicherheit. Bislang gab es keine Möglichkeit, die Sicherheits- und moralischen Dilemmata zu untersuchen, die sich aus Atomwaffenbesitz ergeben. Die Haltung in Israel, dass Atomwaffen schützen, wird sich kaum schnell ändern. Dennoch bleibt die jüngste Debatte Beginn und wichtiges Element eines Wandels, der unumkehrbar sein dürfte.


Merav Datan ist Programm-Direktorin der IPPNW in Boston. Sie hat die israelische und die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Übersetzung und Bearbeitung: Lars Pohlmeier.
Der vollständige Artikel in englischer Sprache ist veröffentlicht worden in: Disarmament Diplomacy
Mit Dank für die Unterstützung der israelischen IPPNW-Sektion

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