Frankfurter Rundschau- Hoher Besuch ließ sich auf dem kargen US-Luftwaffenstützpunkt Fort Greely am Polarkreis nicht blicken. Weder George W. Bush noch Pentagonchef Donald Rumsfeld reisten am Wochenende ins kalte Alaska. Wozu auch: Der Augenschein hätte womöglich selbst beim begeisterten High-Tech-Fan Rumsfeld Zweifel wecken können, ob die 90 Milliarden Dollar, welche die USA seit Ronald Reagans ersten Star-Wars-Plänen in die National Missile Defense (NMD) gesteckt haben, wirklich gut angelegt waren.
Mehr als zwei Dutzend Raketensilos wurden in Fort Greely in den vergangenen anderthalb Jahren in den Dauerfrostboden gegraben. Dieser Tage wurde der fünfte Betonschacht bestückt. Damit sind jene fünf Abfangraketen installiert, die in Alaska bis zum 30. September aufgestellt werden sollten. Doch die symbolische Funktionsbereitschaft der ersten NMD-Komponente verzögert sich. Erst bis Ende des Jahres, erklärt Rick Lehner, Sprecher der Missile Defense Agency, auf Anfrage, werde eine Entscheidung über die Einsatzbereitschaft fallen.
Bislang freilich galt der 30. September als Stichtag. An diesem Tag sollten die ersten Komponenten der Raketenabwehr "funktionstüchtig" sein. Massiv erweitert, soll NMD die Supermacht in Zukunft vor Langstreckenraketen von "Schurken-Staaten" schützen. Die Bush-Regierung hatte das umstrittene Projekt seit Amtsantritt 2001 mit Hochdruck betrieben. Eine wenn auch rudimentäre Raketenabwehr noch vor der Präsidentschaftswahl im November zu installieren, hätte dem obersten Heimatschützer im Weißen Haus gut zu Gesicht gestanden.
Die Opposition wirft Bush seit langem vor, mit diesem Image-Kalkül vor zwei Jahren die Stationierung des nie unter realistischen Bedingungen getesteten, von technischen Pannen und steigenden Kosten geplagten NMD-Systems angeordnet zu haben. Tatsächlich waren bislang erst fünf von acht Tests erfolgreich. Und dabei war die Flugbahn der angreifenden "feindlichen" Rakete bekannt; sie wurde Wochen vorher in die Lenkelektronik des Abfanggeschosses ("kill vehicle") programmiert. Im Ernstfall müsste sich das ins Weltall geschossene "kill vehicle" bei einer Geschwindigkeit von zwölf Kilometern pro Sekunde seinen Weg selbst suchen - assistiert von Satelliten und einem weltweiten Radarsystem, dessen erste Probe ebenfalls noch bevorsteht.
Ob das Frühwarn- und Lenksystem auch bei schlechtem Wetter funktioniert, ist umstritten. Komplizierte Aufgaben wie die Abwehr von Simultanangriffen wurden nie geübt. Wegen fehlender Tests sah sich Thomas Christie, der oberste Waffen-Gutachter des Pentagon, außerstande, die Zuverlässigkeit von NMD zu bewerten. Medienberichten zufolge geht Christie von einer 20-prozentigen Chance auf einen Treffer aus.
Auch das freilich ist reine Spekulation. Denn die jetzt in den Silos von Fort Greely bereits stationierte Abfangrakete ist überhaupt noch nie Huckepack mit dem 120 Pfund schweren "kill vehicle" geflogen, das man ihr nun aufmontiert hat. Ein erster Testflug, zuvor immer wieder abgesagt, sollte dieser Tage stattfinden. Vor zwei Wochen war er wegen technischer Probleme erneut verschoben worden, auf Ende November. Einen Fehlschuss, vermutet die Opposition, wollte die Regierung kurz vor der Präsidentschaftswahl nicht riskieren. Der hätte aller Welt signalisiert, dass auch die Raketen in Fort Greely nicht funktionstüchtig sind.
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