Mit dem ersten Einsatz von Raketen beginnt auch die Geschichte ihrer Abwehr. Am 8. September 1944 zerstörte das nationalsozialistische Deutschland Teile Londons mit dem Einsatz der V2-Rakete (V=Vergeltungswaffe). Im folgenden Jahr tauchten erste Pläne zur Abwehr der V2 auf, wurden von der britische Regierung aufgrund der Unkontrollierbarkeit der Abwehrwaffen fallen gelassen.
Auch das US-Militär prüfte angesichts der Möglichkeiten zur Herstellung von Interkontinentalraketen Gegenmaßnahmen.
1955 stellten US-Forscher grundsätzlich fest, dass es entgegen bisherigen Hypothesen durchaus theoretisch möglich sei, eine Kugel mit einer anderen Kugel zu treffen, also eine Raketenabwehr durchaus im Bereich des Möglichen sei. Mit dem seit 1955 laufenden Nike-Zeus-Programm setzte sich das US-Militär 1958 zunächst an die Spitze der Raketenabwehr-Entwicklung. Die Sowjetunion stieg mit dem Start des ersten Satelliten Sputnik in den Wettbewerb um die Entwicklung von Langstreckenraketen und deren Abwehr ein.
In den 60er Jahren wurden die amerikanischen und sowjetischen ABM-Systeme (Anti-Ballistic-Missile) Nike-X und Galosh weiterentwickelt. Selbst die theoretische Funktionsfähigkeit beschränkte sich nur noch auf kleine begrenzte Angriffe auf große Städte. Zur Überwindung möglicherweise funktionierender Raketenabwehrsysteme des Gegners, wurde der Startschuss zum Wettrüsten gegeben.
1969 begannen erste Gespräche zur Begrenzung von strategischen Waffen zwischen den USA und der Sowjetunion (SALT=Strategic Arms Limitation Talks). Drei Jahre später wurde der ABM-Vertrag (Anti Ballistic Missile) zwischen den beiden Supermächten geschlossen, der eine nationale Raktenabwehr ausschloss bzw. limitierte, um weiterem Wettrüsten Einhalt zu gebieten.
1975 beschloss der US-Kongress, die bereits in Betrieb genommene Raketenabwehranlage in North-Dakota wieder zu schließen. Wissenschaftliche Erkenntnisse ergaben, dass effektive Raketenabewehr zwar theoretisch, allerdings keinesfalls praktisch möglich sei.
Mit Ronald Reagan und seinem Star Wars Programm begann 1983 eine neue Ära der Raketenabwehr. In einer Fernsehansprache stellte der US-Präsident seine Pläne für die nationale Verteidigung vor: Die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) basierte vor allem auf weltraumgestützten Laser-Waffen, die heranfliegende feindliche Raketen auch in großer Zahl erfassen und zerstören sollten. Vorschläge vom sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow zur Begrenzung der SDI wurden von den USA abgelehnt. 1989 übernahm George Bush mit den Regierungsgeschäften auch die Begeisterung seines Vorgängers für das Star Wars Programm, in das bis dahin bereits 21 Milliarden US-Dollar geflossen waren.
Mit dem Ende des Kalten Krieges ließ auch das öffentliche Interesse an einer nationalen Raketenabwehr zunächst nach. Mit der Behauptung der Bedrohung durch sogenannte Schurkenstaaten seit Mitte der 90er Jahre und der Etablierung einer konservativen Mehrheit in beiden Häusern des amerikanischen Kongresses, brachte auch die Clinton-Administration die Raketenabwehr wieder auf die Agenda. Allerdings verlagerte sich der Schwerpunkt von Weltraumwaffen auf bodengestützte Abwehrsysteme.
Nachdem eine von Donald Rumsfeld geführte Kommission eine Einschätzung der realen Bedrohung der USA durch Raketenangriffe von der CIA aus dem Jahr 1995 drei Jahre später revidiert und verschärft hatte, wurden die Ausgaben für eine Nationale Raketenabwehr (NMD) erhöht. Der vorläufige Abschluss dieser Entwicklung und gleichzeitig die Grundlage für den weiteren Ausbau der NMD bildete der 1999 verabschiedete National Missile Defense Act.
Unter Clinton verlagerte das Pentagon die Struktur der Nationalen Raketenabwehr von einer Konzentration auf den Abfang von Raketen kurz vor dem Aufprall hin zu einer mehrschichtigen Abwehr, die Start- Flug- und Zielphasen feindlicher Raketen einschließt.
Bemühten sich US-Regierungen bis dato, den 1972 mit der Sowjetunion geschlossenen ABM-Vertrag noch so auszulegen, dass er durch eine wie auch immer gestaltete NMD nicht verletzt würde, bestand eine der ersten Amtshandlungen von Präsident George W. Bush 2001 darin, diesen Vertrag aufzukündigen.
Ob allerdings überhaupt je eine funktionierende Raketenabwehr installiert werden kann, steht in den Sternen. Die Funktionsfähigkeit aller geplanten und bisher getesteten Abwehrsysteme lassen zu wünschen übrig. Skeptische Einschätzungen beteiligter Wissenschaftler lassen erahnen wie es um die NMD steht: Keines der vorliegenden Konzepte ist in der absehbaren Zukunft für die Verteidigung der 50 Staaten gegen Raketen mit Festtreibstoff brauchbar." So bündig urteilt die American Physical Society (APS) über die jüngsten Pläne von Regierung und Militär die USA vor Angriffen mit Langstreckenraketen durch Nordkorea oder den Iran zu schützen.
Die Einweihung einer ersten Anlage in Alaska mit 50 Abfangraketen, die für Ende September 2004 geplant war, musste verschoben werden. Testflüge unter realistischen Bedingungen waren von technischen Pannen und steigenden Kosten geplagt. Tatsächlich waren bislang erst fünf von acht Tests erfolgreich. Und dabei war die Flugbahn der angreifenden "feindlichen" Rakete bekannt; sie wurde Wochen vorher in die Lenkelektronik des Abfanggeschosses ("kill vehicle") programmiert. Im Ernstfall müsste sich das ins Weltall geschossene "kill vehicle" bei einer Geschwindigkeit von zwölf Kilometern pro Sekunde seinen Weg selbst suchen - assistiert von Satelliten und einem weltweiten Radarsystem, dessen erste Probe ebenfalls noch bevorsteht.
Ob das Frühwarn- und Lenksystem auch bei schlechtem Wetter funktioniert, ist umstritten. Komplizierte Aufgaben wie die Abwehr von Simultanangriffen wurden nie geübt. Wegen fehlender Tests sah sich Thomas Christie, der oberste Waffen-Gutachter des Pentagon, außerstande, die Zuverlässigkeit von NMD zu bewerten. Medienberichten zufolge geht Christie von einer 20-prozentigen Chance auf einen Treffer aus.
Angesichts der enormen Kosten, die NMD bis heute und in Zukunft verursacht und der offensichtlich kläglichen Aussicht auf die eingeschränkte Funktionsfähigkeit der Systeme, drängt sich die Frage nach den wahren Hintergründen für das Betreiben der Raketenabwehr auf.
Der holländische Soziologe Karel Koster vermutet hinter NMD mehr als nur eine rein defensive Maßnahme. Vielmehr übernehme die Raketenabwehr vitale Funktionen einer militärischen Strategie, die als Verlängerung außenpolitischer Maßnahmen diene; einer Politik für die das Schwert ohne das Schild nicht zu denken ist. In diesem Sinne ist NMD als weitere militärische Abschreckung zu verstehen. Die Prinzipien, die dieser Abschreckung zugrunde lägen heißen:
1. Niemand darf für die amerikanische Bevölkerung eine Bedrohung darstellen
und
2. die USA werden niemals eine andere Macht oder andere Mächte neben sich dulden und dementsprechend aggressiv mit aktiver und defensiver militärische Macht jedem drohen, der eine ernsthafte Konkurrenz darstellen könnte.
Dass terroristische Anschläge auf die USA auch ohne Lang- oder auch Kurzstreckenraketen durchgeführt werden können, spiele dabei keine Rolle. Vielmehr eröffne ein Raketen-Schutzschild durch die amerikanische Drohung des Alleinstellungsanspruches offensiver militärischer und politischer Strategie den Raum: ...eine effektive Kombination aus Defensive und Offensive, so Koster.
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