Einführung
Schlagzeilen wie "Al-Qaida Atomwaffen könnten in den USA sein: UN-Vollversammlung mögliches Ziel" oder "Bin Ladens Atomgeheimnisse ent-deckt" erhöhen die Angst vor einem Einsatz von Atomwaffen durch Terroristen. Dennoch wurde offiziell auf die Behauptung Osama Bin Ladens, er sei im Besitz von Atomwaffen eher skeptisch reagiert. Trotzdem ist es aber möglich, dass Atommaterialien und Technologie an terroristische Gruppen weitergegeben wurden. Zudem gibt es eine andere Frage, die eher selten gestellt wird: Ist die Gefahr eines Einsatzes von Atomwaffen nur von terroristischer Seite zu befürchten? Dieses Papier analysiert die bekannten Fakten, skizziert den aktuellen atomaren Ausrüstungsstand möglicher Akteure - staatlich oder nicht-staatlich -und präsentiert einige Schlussfolgerungen.
Primitive Atomwaffen
IPPNW-Deutschland veröffentlichte 1997 eine Studie über primitive Atomwaffen und die verhee-renden Folgen im Falle ihres Einsatzes. Sowohl politische Förderung als auch unverantwortlicher Umgang mit atomaren Materialien und den notwendigen Technologien in Ländern mit Atomener-gie ermöglichte es u.a. Indien, Pakistan und Israel Atomwaffen zu bauen. Bin Ladens Behauptung, er habe die Möglichkeit auf einen atomaren Einsatz der USA selbst nuklear zu reagieren, sollte man daher ernst nehmen.
Es reichen ca. 8 kg Plutonium-239 oder 40 kg hochangereichertes Uran, um eine kleine und primitive Atombombe etwa in der Wirkungsgröße der Hiroshima-Bombe mit 10 bis 20 Kilotonnen Explosivkraft zu basteln. 100.000 Menschen sind an den Direktfolgen der Hiroshima-Bombe gestorben, rund weitere 100.000 an den Spätfolgen, ganz zu schweigen von den Verletzten und den Genschäden, die folgende Generationen belasten. Viel mehr Menschen würden sterben, wenn eine Stadt mit einer hohen Bevölkerungsdichte wie z.B. New York angegriffen würde. Eine solche Bombe könnte von einem Kleinflugzeug abgeworfen oder in einem LKW, jedoch nicht in einem Rücksack oder Koffer, transportiert werden.
Frank Barnaby schreibt in der IPPNW-Studie "Primitive Atomwaffen": "Nur selten wird begriffen, wie leicht eine subnationale Gruppe einen atomaren Sprengsatz herstellen könnte. Oft wird der Typ einer erörterten Atomwaffe nicht genauer definiert, was zu unzutreffenden oder irreführen-den Aussagen führt. Es liegt auf der Hand, dass vergleichsweise unkomplizierte Sprengsätze, die den Zwecken einer Terroristengruppe genügen würden, viel einfacher zu konstruieren und zu bauen sind als die hoch komplexen Atomwaffen, derer das Militär für seine Zwecke bedarf."
Ob Al-Quaida über Atomwaffen oder Atommaterialien verfügt wird widersprüchlich bewertet. Der Wert der Entdeckung einer Blaupause einer Plutonium-Bombe und teilweise verbrannter Dokumente in einem Al-Quaida-Versteck in Kabul durch die britische Zeitung The Times wurde in Frage gestellt, als die Zeitschrift New Scientist aufdeckte, dass eines der Dokumente nur ein Witz war . Der Terrorismus-Experte Yosef Bodansky behauptet wiederum, Osama Bin Laden verfüge über bis zu 20 Atomwaffen, darunter taktischen Bomben geringer Sprengkraft, bekannt als "Kofferbomben". Laut Bodansky habe Pakistan die Waffen an Bin Laden verkauft . Andererseits versichert die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO), dass weder Bin Laden noch andere Terroristen über Atomwaffen verfügen. Aber in einem Interview mit CNN äußerte sich Mohamed El-Baradei von der IAEO sowohl über Terrorangriffe auf Atomkraftwerke als auch über den illegalen Transfer von spaltbaren Materialien besorgt . Auch wenn die meisten Experten es für unwahrscheinlich halten, dass eine terroristische Gruppe eine solche Bombe bisher erfolgreich bauen konnte, die Möglichkeit besteht gerade für die Zukunft. Weiterhin gibt es Berichte, das Osama Bin Laden zumindest mit pakistanischen Atomwissenschaftlern Gespräche über Atomwaffen, wie auch über chemische und biologische Waffen, geführt hat.
Leichter kann eine Gruppe zu einer "Dispersions-Bombe" kommen, wenn sie radioaktiver Materialien, wie z.B. Atommüll, habhaft werden kann. Dieser Bombentyp enthält normale Explosivstoff (TNT) und radioaktives Material. Bei der Zündung wird eine größere Fläche durch Radioaktivität verseucht, mit entsprechend vielen Toten je dichter die Bevölkerungszahl pro qm2 ist. Die Meldungen aus Italien, dass Brennelementen aus einem AKW verschwunden sind, und aus der Türkei, wo im Dezember zwei Männer beim Verkauf von 1.16 kg hochangereichertem Uran gefasst wurden, sind jüngste Beispiele illegaler Transfers. Selbst wenn es noch nicht passiert ist, ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine terroristische Gruppe eine Dispersionsbombe bauen kann.
Zur Eindämmung der Gefahr terroristischer Nutzung wäre die Einführung eines zügigen Produktionsstopps für militärische oder zivile Spaltmaterialien konsequent. Zudem muss die Kontrolle des durch den Abbau der Atomwaffenarsenale obsoleten Waffenmaterials international geregelt werden.
Die Verwendung von hochangereichertem Uran (HEU) im Garchinger Forschungsreaktor (FRM-II) ist ein gutes Beispiel eines unnötigen Weitergaberisikos. Dabei wäre die Verwendung von niedrig-angereichertem Uran (LEU), das weniger geeignet ist als Waffenmaterial, genauso gut. Mit dem Bau dieses Reaktors durch Siemens untergräbt die deutsche Regierung ein seit 1978 international laufendes Programm, dass sich zum Ziel gesetzt hat, Forschungs- und Testreaktoren statt mit HEU mit LEU zu betreiben. Durch den Betrieb von Forschungsreaktoren mit HEU ist z.B. Irak an genügend Materialien für zwei atomare Sprengköpfe gelangt.
Dennoch dürften Terroristen heute und in unmittelbarer Zukunft an Plutonium ziviler Herkunft einfacher als an HEU gelangen. Die Menge des getrennten Plutoniums aus zivilen Wiederaufarbeitungsanlagen nimmt mit jedem Jahr zu. Plutonium kann in jeder Zusammensetzung ohne weitere Aufbereitung für nukleare Sprengsätze verwendet werden. Nach der Trennung aus aufgebrauchten Reaktor-Brennelementen wird das Plutonium in der Regel als Plutoniumoxid gelagert, aber die Umwandlung in metallisches Plutonium ist ein einfacher chemischer Vorgang. Für die Konstruktion eines Atomsprengsatzes aus Plutoniumoxid bedarf es mehr Materials (ca. 35kg) und dieser hat weniger Sprengkraft als aus metallischem Plutonium, dennoch ist er wesentlich einfacher herzustellen. Das Oxid ist gefahrloser zu handhaben. Ein durch eine Terroristengruppe konstruierter primitiver Atomsprengsatz könnte ohne weiteres in einem Kleintransporter Platz finden. Dieser könnte so aufgestellt werden, dass die Explosion des chemischen Sprengstoffs das Plutonium selbst dann weitflächig verstreut, wenn es nach der Zündung nicht zu einer nennenswerten atomaren Kettenreaktion kommen sollte.
Die Möglichkeit weiträumiger radioaktiver Kontaminierung macht einen aus Plutonium hergestellten Sprengsatz für Atomterroristen besonders attraktiv. Auch wenn ein Angriff mit chemischen oder biologischen Waffen verheerend ist, seine Auswirkung wäre mit einem atomaren Angriff nicht zu vergleichen. Eine einzige kleine Atomwaffe hat viel mehr Zerstörungskraft und verseucht große Flächen für Tausende von Jahren. Medizinische Hilfe kann die Gesundheitsfolgen durch die radioaktive Strahlung kaum lindern und die Umwelt kann nicht wiederhergestellt werden. Für uns als Menschen ist ein Atomwaffeneinsatz das Endgültigste, was es gibt. Auch die bloße Verteilung großer Plutoniummengen über das Gebiet einer Großstadt könnte diese über längere Zeit unbewohnbar machen. Ihre Dekontaminierung würde enorme Zeit- und Geldressourcen verschlingen. Die verständliche Furcht der Bevölkerung vor den Gefahren der Radioaktivität trägt beträchtlich zu dem attraktiven Drohpotential dieser Waffe für Terroristen bei. Eine solche Waffe wäre ein Angriff mit fortwährendem Terror, weil die Strahlungsfolgen auf lange Zeit bleiben und die Menschen sich nie wieder sicher fühlen können.
Die Abschreckung mit Atomwaffen
Die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen ist gültige Doktrin aller Atomwaffenstaaten und der NATO, um einen Feind von ihrem Einsatz dieser Waffe abzuschrecken. Die Doktrin haben die USA und Russland dahingehend erweitert, dass der Einsatz von Atomwaffen auch gegen andere Massenvernichtungswaffen (USA) oder zur Rettung aus einem festgefahrenen Konflikt (Russland) denkbar ist. Osama Bin Laden nützte seinerseits die Abschreckung als er in einem Interview am 7. November drohte, atomare oder chemische Waffen gegen die USA einzusetzen, falls diese ihn mit den selben Mitteln angreifen sollte. Er sagte: "Wir haben diese Waffen zur Abschreckung".
Alleine durch die behauptete Möglichkeit des Einsatzes einer Massenvernichtungswaffe, setzt Bin Laden die Atomwaffen seiner Gegner quasi außer Kraft. Diesen Effekt wollte er wahrscheinlich erreichen. Seit einigen Jahren pokern die USA in diesem Stil mit ihrer Atomwaffenpolitik: Der Gegner soll unsicher bleiben, ob die USA Atomwaffen einsetzen werden oder nicht, was ihn von einem eigenen Massenvernichtungswaffeneinsatz abschrecken soll. Es wird behauptet, dass diese Politik während des Golfkrieges erfolgreich funktionierte und den Chemiewaffen-Einsatz gegen Israel verhindert habe. Bin Ladens Schachzug zeigt uns auch, wie nutzlos Atomwaffen werden, selbst wenn man einfach nur behauptet, man habe sie auch. Dann gilt die Abschreckung genauso. Die USA wird von einem Atomwaffeneinsatz abgehalten, da sie nicht sicher sein kann, ob sie sich gegen einen terroristischen Angriff schützen könnte. Auch das Milliardenprogramm für Raketenabwehr kann nicht vor primitiven Atomwaffen oder Dispersionsbomben schützen.
Einsatz von US-Atomwaffen?
Seit dem 11. September ist die Hemmschwelle der US-amerikanischen Bevölkerung offensichtlich gesunken, Atomwaffen einzusetzen. Nach einer Umfrage des Zogby-Instituts erklärten 54% der US-Bevölkerung, Atomwaffen wären im Krieg gegen den Terrorismus ein effektives Mittel . Mehrmals wurde berichtet, das Pentagon erwäge den Einsatz von Atomwaffen gegen bin Laden. US-Verteidigungsminister Rumsfeld sagte, ihr Einsatz wäre nicht auszuschließen, falls es zu einem Angriff mit Massenvernichtungswaffen komme. Diese Haltung entspricht der geltenden US-Doktrin, 1997 durch Präsidenten Clinton geändert, nach der Atomwaffen gegen Staaten mit Massenvernichtungswaffen, oder jene, die ihre Herstellung anstreben, eingesetzt werden können. Der Einsatz einer US-Atomwaffe ist zu diesem Zeitpunkt eher unwahrscheinlich. Doch die neuesten Entwicklungen in den USA zeigen, dass die Entwicklung einer Atomwaffe mit sehr niedriger Atomsprengkraft und der Möglichkeit tief in die Erde einzudringen, bereits weit vorangeschritten ist. Gerade eine solche Waffe würde sich nach Ansicht mancher US-Politiker und Militärs bei einem Krieg gegen den Terrorismus in Afghanistan oder Irak, wo mutmaßliche Massenvernichtungswaffen im Bunker begraben sein sollen, bestens eignen.
Diese Atomwaffen mit geringer Sprengkraft bergen ein enormes Risiko: Die eindeutige Trennlinie zwischen nuklearer und konventioneller Kriegsführung beginnt sich zu verwischen. Das könnte dazu führen, dass andere Staaten sich gerechtfertigt sehen, in regionalen Kriegen selbst auch Atomwaffen einzusetzen. Das US-Militär setzt bereits eine konventionelle Waffe in Afghanistan ein, die verbunkerte Ziele in gut 15m Tiefe zerstören kann (GBU-28). Sie wurde bereits im Golfkrieg verwendet, aber seitdem sind Zielgenauigkeit, Durchdringungsfähigkeit und Zerstörungskraft dramatisch verbessert worden. Die Entwicklung wird zweifellos weitergehen. Eine ähnliche Waffe mit einem Atomsprengkopf (B61-11) wurde entwickelt; sie kann aber nur in begrenztem Maße Erdschichten durchdringen. Tests haben ergeben, dass sie aus einer Höhe von gut 13.000 m nur knapp 7 m tief in trockenes Erdreich eindringen kann.
Ein Bericht des Pentagon an das US-Repräsentantenhaus schlägt die Entwicklung einer neuen Atomwaffe mit niedriger Sprengkraft vor, die tief in der Erde liegende Bunker oder Lager treffen kann. Konventionelle Waffen können die bestens geschützten unterirdischen Anlagen nicht zerstören, fürchtet das Ministerium, nur Atomwaffen wären geeignet. Die Atomwaffe soll weniger als 5 Kilotonnen Sprengkraft haben und durch Modifikationen des älteren Atomwaffentyps B61-11 entstehen. Der Bericht zeigt, das die Bush-Regierung den Einsatz von Atomwaffen als we-sentlich für die Kriegsführung gegen einen Feind mit unterirdischer militärischer Infrastruktur sieht. Wenn das Repräsentantenhaus die Entwicklung einer solchen Mini-Nuke bewilligt, wird dies den Beschluss von 1994 über das Verbot der Entwicklung neuer Atomwaffen aufheben.
Die Auswirkungen einer erdeindringenden Atomwaffe mit geringer Sprengkraft
Beim Einsatz einer Atomwaffe die sich in die Erde eingräbt, wird im Vergleich zu einem oberirdischen Einsatz ein viel größerer Anteil der Explosionsenergie als Druckwelle auf den Erdboden freigesetzt. Ein Einsatz im besiedelten Gebiet würde allerdings viele Zivilisten töten. Selbst bei einer Zerstörungskraft am unteren Ende der Skala zwischen 0,3 und 300 KT würde die Atomexplosion einen riesigen Krater erzeugen, und das radioaktiv verseuchte Material würde ein großes Gebiet mit tödlicher Gammastrahlung überziehen .
Außer den unmittelbaren Folgen wie Explosion, Druckwelle und Hitzestrahlung bewirken sogenannte "flache" - dicht unter der Erdoberfläche ausgeführte - Atomexplosionen einen besonders intensiven lokalen radioaktiven Fallout. Der Feuerball bricht durch die Erdoberfläche und schleudert große Mengen Erde und Trümmer in die Luft. Dieses Material wird bei der Atomexplosion einem starken Neutronenfluß ausgesetzt und erhöht so die Radioaktivität der Spaltprodukte. Die schmale Staubwolke weitet sich bei einer 5 KT-Explosion auf einen Radius von mehr als 1,5 km aus. Etwa 50% der gesamten Radioaktivität geht als lokaler Fallout nieder. Die andere Hälfte bleibt im hochgradig radioaktiv verseuchten Krater eingeschlossen .
Eine Atomexplosion ist erst vollständig einge-schlossen, wenn eine 5 KT-Sprengladung mehr als 200 m tief vergraben wird, variierend je nach Erdgestein. Bei 100 KT Sprengkraft muss die Explosion sogar mehr als 400 m tief unter der Erdoberfläche stattfinden. Dennoch ist es bei vielen Atomversuchen in solchen Tiefen zu Freisetzungen gekommen .
Atomwaffen in der südasiatischen Region
Bereits vor dem 11. September fanden sich in Südasien alle Zutaten für einen Atomkrieg: Hier gab es den Besitz und die Weiterentwicklung von Atombomben und Trägerraketen, sowie eine bevorstehende Stationierung von Atomwaffen; es mangelte an Sicherheitsmaßnahmen, ihren nicht autorisierten Einsatz zu verhindern; es schwelt ein andauernder Konflikt um Kaschmir, der mehrmals zu einem Krieg eskalierte; militaristische und extremistische Bewegungen finden sich in den meis-ten Ländern. Ganz zu schweigen von Entscheidungsträgern, die vollmundig über einen Atomkrieg schwadronieren.
Seit dem Anschlag auf das indische Parlament hat sich die Situation enorm verschlechtert. "Wir wollen keinen Krieg, aber er wird uns aufgezwungen. Dem werden wir uns stellen müssen", sagte der indische Ministerpräsident Atal Behari Vajpayee am 26. Dezember. Man habe seine Mittelstreckenraketen in Position gebraucht, hieß es in Delhi. Beide Seiten verlegten erhebliche Truppenkontingenten an die Grenze zu Kaschmir .
Das indische Militär hat sich schon auf einen Atomkrieg vorbereitet. Im Mai 2001 hatte eine große Übung mit zehntausenden Soldaten, Panzern, Kampfflugzeugen und -hubschraubern das Ziel die Streitkräfte für den Fall eines chemischen, biologischen und atomaren Angriffs auszubilden. Und weiter: "dem Feind ein und für alle Mal eine Lektion erteilen". Die Prozedur der Stationierung von Atomwaffen hat bereits begonnen: Nach dem zweiten Test der Agni-II-Rakete am 17. Januar 2001 wurde sie offiziell für "kriegsbereit" erklärt und am 25. Januar sagte der wissenschaftliche Mitarbeiter des Verteidigungsministers, dass die Agni samt Atomsprengkopf bis Ende des Jahres von der Luftwaffe übernommen würde .
Allgemein wird davon ausgegangen, dass Indien 60 Atomsprengköpfe besitzt. Der indische Atom-forscher G. Balachandran schätzte jedoch im Mai 1998 die Zahl der Atomwaffen, die zum Einsatz auf Flugzeugträgern oder Raketen bereit sind, auf weniger als zehn Stück . Laut dem Institut für Wissenschaft und Internationale Sicherheit hat Indien ausreichend waffentaugliches Plutonium für zwischen 45 und 95 Bomben (310 kg) Ende 1999. Rechnet man das Plutonium aus der zivilen Nutzung der Atomenergie dazu, könnte diese Zahl bis auf 1000 ansteigen .
Die aktuelle Zahl der pakistanischen Atomwaffen wird auf Grund der zur Verfügung stehenden Menge an HEU und waffentauglichem Plutonium auf 30 bis 52 Systeme geschätzt. Dabei nimmt man an, dass pro Bombe rund 20 kg Spaltmaterial verwendet werden .
Mit Flugzeiten von drei bis fünf Minuten ist die Gefahr eines aus Versehen ausgelösten Atomkrieges zwischen Indien und Pakistan sehr hoch. Auch die Neigung zum Erstschlag wird durch diese kurze Zeitspanne und die kleine Menge des Arsenals, das möglicherweise in einem Schlag zerstört werden könnte, erhöht. Ein Frühwarnsystem gibt es nicht. Die Regierungen würde erst von einem Angriff erfahren, wenn die Atompilze aufsteigen. Daher bleiben die Verantwortlichen immer mit dem Finger "auf dem Knopf" - stets bereit, den Befehl für einen Raketenstart zu geben.
IPPNW hat 1997 eine wissenschaftliche Studie "Bombing Bombay" vorgelegt. Danach würden zwischen 150.000 und 850.000 Menschen innerhalb einiger Monaten nach dem Abwurf einer 15 KT Atombombe über Bombay sterben. Tote durch Spätfolgen schließen diese Zahlen nicht mit ein .
Die Sicherheit der Arsenale in Indien und Pakistan sollte, insbesondere wegen des Kriegs in Afghanistan und der Unterstützung für die Taliban aus der pakistanischen Bevölkerung, der Welt große Sorgen bereiten. Die Atomsprengköpfe haben kein elektronisches Kodesicherungssystem zur Schärfung der Gefechtsköpfe, wie man es von den US-amerikanischen und russischen Atomwaffen kennt. Im Prinzip kann jeder, der die Atomwaffen gerade kontrolliert, diese ungehindert einsetzen. Die Kernladungen aus Uran sind zwar in "Friedenszeiten" nicht in den Sprengköpfen montiert, und Bombengehäuse und Kernladungen werden an zwei voneinander getrennten Orten aufbewahrt, aber dieser Minimalschutz ist in kurzer Zeit überwunden. Am 7. Oktober wurden diese Komponenten in Pakistan an neuen Orten gelagert und die militärische Befehlsstruktur überarbeitet. Nach Berichten des New Yorker Magazin und der Times of India planen der CIA und die US-Streitkräfte, Pakistans Atomwaffen außer Gefecht zu setzen, falls das Regime zusammenbrechen sollte. Eine US-Sondereinsatzgruppe trainiere zusammen mit einer israelischen Truppe, die für solche geheime Operationen bekannt sei.
Pakistanischen Wissenschaftlern wird vorgeworfen, bereits Atomgeheimnisse und -Material an Terroristen weiter gegeben zu haben. Zwei hochrangige Wissenschaftler, die früher in der PAEC arbeiteten, wurden verhaftet und über ihre Verbindungen zu Al Qaida verhört. Sie sind angeblich Taliban-Sympathisanten und gelten beide als Experten für Plutoniumtechnologie. Einer von ihnen wurde in den sechziger Jahren in Belgien ausgebildet. Diese beiden und inzwischen ein dritter Wissenschaftler wurden angeblich den US-Geheimdiensten übergeben.
Schlussfolgerungen
Die Existenz spaltbaren Materials ist als solches eine Bedrohung.
Bereits die Lagerung und Herstellung spaltbaren Materials im militärischen Sektor in Frankreich, Großbritannien, USA, Russland, China, Indien, Pakistan und Israel und aus der zivilen Atomstromerzeugung untergräbt alle Bemühungen, den Bau eines Atomsprengsatzes durch Terroristen zu verhindern. Das ständige Hin- und Hertransportieren von Atommaterialien ist geradezu provozierend. Es ist einfach nicht möglich, jedes Kilo atomaren Stoffes in der Welt zu kontrollieren, zumal nicht alle Länder kontrolliert werden, weil sie (Indien, Pakistan und Israel) dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten sind.
Kurzfristige Lösungen reichen nicht aus.
Den Entscheidungsträgern in den westlichen Ländern scheint bislang die Dringlichkeit der Situation entgangen zu sein, trotz aller Warnungen unsererseits. Der Krieg gegen Terror droht die Gewaltanwendung eher zu eskalieren, so dass ein Einsatz von Atomwaffen immer wahrscheinlicher wird. Man muss mit längerfristiger Perspektive an den Ursachen des Problems arbeiten, so dass Vertrauen und Frieden für alle Seiten wiederhergestellt werden kann.
Das Problem muss in all seinen Aspekten gesehen werden.
Nicht nur der Schwarzmarkt und illegales Handeln ist ein Problem, sondern der tagtägliche Betrieb von Atomkraftwerken, die Weitergabe von technischem Wissen im Atombereich und die Weiterentwicklung von Atomwaffen in den Atomwaffenstaaten, insbesondere in den USA.
Internationale Problem bedürfen internationaler Lösungen.
Die Nationalinteressen der USA verstellen den Blick für die fundamentale Einsicht, dass wir es mit einem Problem internationalen Ausmaßes zu tun haben. Die Sicherung von atomaren Materialien muss alle Staaten betreffen, überall, wo spaltbares Material, egal ob ziviler oder militärischer Herkunft, beschafft werden kann, existiert die Gefahr, dass es abgezweigt wird.
Die Atomwaffen müssen abgeschafft werden.
Solange die Atomwaffenstaaten ihre Atomwaffen behalten und meinen, sie brauchen sie für ihre Sicherheit, werden andere Staaten und subnationale Gruppen dazu angehalten ebenfalls Atomwaffen erwerben zu wollen. Alleine der Besitz der Atomwaffen bietet eine ganze Reihe von Möglichkeiten, an denen das Wissen, das Material, die Testdaten, Entwürfe und die Waffen selbst abgezweigt werden können.
Es muss einen weltweiten Ausstieg aus der Atomenergie geben.
Aber auch wenn die Atomwaffen abgeschafft, kein Plutonium für militärische Zwecke mehr herge-stellt und kein Uran mehr angereichert werden, bleibt das Problem der Dispersionsbombe mit Atomabfall. Atomkraftwerke sind nicht einmal gegen den Absturz eines Flugzeuges genügend gesichert. Es gibt viele andere Gründe, die nichts mit Terrorismus zu tun haben und die für einen Ausstieg aus der Atomenergie sprechen: das ungelöste Problem des Atommülls, die ständige Gefahr eines Super-GAUs sind nur zwei davon. Aber wir müssen erkennen, dass die Atomenergie stets die Technologie und das Material bereit hält, aus der eine Atom- oder Dispersionsbombe entstehen kann. Und so lange Atomkraft Strom erbrütet, wird die Gefahr des Terrors mit Atomwaffen bestehen bleiben.
Die wichtigsten Forderungen der IPPNW, die umgehend umgesetzt werden müssen, sind:
- Militärische sowie zivile Herstellung und Wiederaufarbeitung aller waffenfähigen radioaktiven Materialien ist zu verbieten.
- Alle waffentauglichen radioaktiven Materialien und nuklearen Anlagen sämtlicher Staaten sind internationaler Rechenschaftspflicht, Beobachtung und Sicherstellung zu unterstellen.
- Eine internationale öffentliche Registrierung mit allen Atomwaffen und sämtlichem spaltbarem Material weltweit, beginnend mit der Anzahl und der Menge der USA und Russlands, sollte aufgebaut und bewahrt werden.
- Diese Auflistung sollte die Sicherheit und die Beseitigung von Atomwaffen und spaltbarem Material stärken, damit diese nicht in unerlaubte Hände geraten.
- Eine internationale Energieagentur ist aufzubauen, die die Entwicklung nachhaltiger und ökologisch sicherer Energieträger vorantreibt und unterstützt.
- Unverzügliche Zusicherung aller Atomwaffenstaaten, unter keinen Bedingungen Atomwaffen einzusetzen oder mit dem Einsatz zu drohen. Der Einsatz von Atomwaffen oder seine Androhung ist öffentlich und vor dem Weltgerichtshof als ungesetzlich anzuerkennen und zu erklären.
Xanthe Hall, Januar 2002
zurück