IPPNW-Factsheet

Überprüfung der US-Atomwaffendoktrin

Atomwaffen sollen eingesetzt werden!

Die wichtigsten Punkte

Die Veröffentlichung von Auszügen des Pentagon-Berichts an das US-Repräsentantenhaus zur Überprüfung der US-Atomwaffendoktrin (NPR = Nuclear Posture Review) sorgte im März weltweit für Schlagzeilen. Besonders die Aufzählung von sieben Staaten als potentielle Ziele eines Atomwaffeneinsatzes löste weltweit Empörung aus. Die USA schrauben die Rolle der Atomwaffen in ihrem Arsenal nicht zurück, sondern geben ihr vielmehr eine neue Betonung.

Atomwaffen bleiben
Hinter einem Schleier der Abrüstung will die US-Regierung den Bestand ihrer Atomwaffen auf Dauer sichern. Nachdem die USA ihre Verpflichtung zu vollständiger Abrüstung "in redlicher Absicht" aus dem Atomwaffensperrvertrag von 1970 im Jahr 2000 - 30 Jahre später (!) - bekräftigten, wurden reale Reduzierungen erwartet. Laut Abkommen vom Mai 2002 zwischen den Präsidenten der USA und Russlands sollen die strategischen Atomwaffen bis zum Jahr 2012 zwar beidseitig auf zwischen 1700 und 2200 reduziert werden. Dieses Ziel bestätigt die NPR, dort heißt es konkret: "die geplanten Streitkräfte und Struktur für 2012 wird 14 Trident U-Boote ..., 500 Minuteman-II Interkontinentalraketen, 76 B-52H Bomber und 21 B-2 Bomber" umfassen. Aber die abgerüsteten Atomwaffen werden nicht endgültig verschrottet, sondern vielmehr in Reserve gehalten. Für die Öffentlichkeit werden nur noch die stationierten Atomwaffen gezählt, während zugleich bis zu 15.000 Atomwaffen im US-Arsenal verbleiben.

Neue Rolle in der Gesamtstrategie
Die NPR kündigt eine "große Veränderung" der Rolle der nuklearen Offensivstreitkräfte innerhalb der Strategie der Abschreckung an. Es soll eine neue Triade aus Angriffsystemen mit einer Mischung aus nuklearen und konventionellen Waffen, mit aktiven und passiven Verteidigungssystemen und einer Verteidigungs-Infrastruktur mit "neuen Fähigkeiten" (sprich Raketenabwehr) entstehen. Diese neue Triade solle "die Abhängigkeit von den Atomwaffen" reduzieren. Real weist der Bericht den Atomwaffen aber eine erweiterte Rolle zu, der ihren Einsatz in Zukunft sogar wahrscheinlicher macht. Der Bericht droht zudem an, Atomwaffen gegen Staaten einzusetzen, die selbst über keine verfügen, aber angeblich biologische oder chemische Waffen entwickeln oder besitzen. Um tief im Erdreich liegende Bunker, in denen möglicherweise solche Waffen lagern, zu bekämpfen, sollen neue Atomwaffen entstehen.

Einsatzpläne
Im Bericht werden für die Atomwaffen konkrete Szenarien und Ziele skizziert. Eine Liste von sieben Staaten - China, Russland, Irak, Nordkorea, Iran, Libyen und Syrien - werden als Ziele genannt. Weiterhin sind für die USA drei Situationen für einen atomaren Einsatz vorstellbar: gegen Ziele, die mit konventionellen Waffen nicht zu zerstören sind; als Antwort auf einen Angriff mit Massenvernichtungswaffen; oder für den Fall "überraschender militärischer Entwicklungen". Es werden Szenarien erläutert, bei denen die USA bereit sein sollten, Atomwaffen einzusetzen: im israelisch-arabischen Konflikt; bei einem Angriff des Irak auf Israel oder benachbarte Staaten; bei einem Angriff Nordkoreas auf Südkorea oder eine Konfrontation zwischen China und Taiwan.

Entwicklung neuer Atomwaffen
Der US-Kongress verabschiedete 1994 ein Gesetz, das die Entwicklung neuer Atomwaffen verbietet. Das Gesetz sollte im Zusammenspiel mit dem Atomwaffenteststoppvertrag dem Wettrüsten ein Ende setzen. Es wurde allerdings 1997 durch die Entwicklung der B-61-11-Bombe ausgehebelt. Diese Atomwaffe wurde "modifiziert", um tief in die Erde eindringen zu können. In Tests konnte sie jedoch nur eine Tiefe von sieben Metern erreichen: nicht ausreichend um den Namen "Bunker Buster" zu verdienen. Doch die Sprengkraft der B-61-Bombe ist variabel. Sie lässt sich zwischen 0,3, und 340 Kilotonnen (KT) konfigurieren. Das heißt, sie ist auch als "Mini-Nuke" einsetzbar.
Im Bericht wird von einer neuen Generation von Atomwaffen gesprochen, die tief in der Erde verborgene Ziele erreichen sollen. Es wird empfohlen, mit der Entwicklung eines "robusten nuklearen Erdpenetrators" (RNEP) umgehend zu beginnen, der z.B. gegen Höhlen oder Bunker eingesetzt werden kann. Der Forschung wurden bereits 15,5 Millionen US$ im US-Etat 2003 zugeteilt. Welche Sprengkraft die RNEP haben soll, wird noch diskutiert. Es gibt Befürworter einer Atomwaffe mit geringer Sprengkraft (Mini-Nuke = unter 5-KT) aber neuere Studien reden von einer höheren Sprengkraft. Die B-83-Bombe mit 1 bis 2 Megatonnen (MT) Sprengkraft ist auch im Gespräch.


Wiederaufnahme von Atomtests?
Durch die Entwicklung einer neuen Atomwaffe stellt sich für die US-Regierung die Frage, ob sie ihre Atomtests wiederaufnehmen sollte. Im Bericht wird empfohlen, die Vorbereitungszeit auf neue Atomtests zu reduzieren - momentan könnten auf dem Testgelände in Nevada erst in drei Jahren unterirdische Atomtests durchgeführt werden - diese Zeit soll mindestens halbiert werden. Für diese Empfehlung gibt es bereits einen Etatposten von 15 Millionen US$.
Die USA verabschieden sich mit dieser Diskussion endgültig vom Atomteststoppvertrag (CTBT). Trotz der bisherigen Ablehnung des Vertrags erhofften viele - auch die deutsche Regierung -, dass in den USA die Vernunft Oberhand gewinnen würde. Diese Hoffnung erscheint jetzt nicht mehr begründet. Die ersten Auswirkungen sind bereits zu spüren: China und der Iran haben aus Protest ihre Hilfe bei der internationalen Überwachung von Atomtests eingestellt.

Internationale Rüstungskontrollverträge ausgehöhlt
Die USA und die anderen Atomwaffenstaaten verpflichten sich laut Artikel VI des Atomwaffensperrvertrags, ihre Atomwaffen vollständig abzurüsten. Da die Zahl der Atomwaffen immer noch höher ist als zur Zeit des Entstehens dieses Abkommens, verabschiedeten die Vertragsparteien eine Liste von 13 Schritten, die zu einer systematischen Umsetzung des Artikels führen sollten. Die USA haben dieses Programm mitunterzeichnet. Die aktuelle Administration geht dazu immer mehr auf Distanz. Der US-Kongress hat bereits unter der Clinton-Administration abgelehnt, den Atomteststoppvertrag zu ratifizieren (Schritt 1). Danach hat Bush den ABM-Vertrag gekündigt (Schritt 7) und denkt an die Wiederaufnahme von Tests (Schritt 2). In den Verhandlungen mit Russland über die Reduzierungen der Atomwaffen beharren die USA darauf, ihre Atomwaffen in Zukunft wieder vollzählig stationieren zu können und nicht -wie von Russland favorisiert - zu verschrotten (Schritt 5). Und schließlich zeigt der Bericht, dass die USA Atomwaffen auf unbestimmte Zeit behalten wollen und konkrete Einsatzpläne entwickeln, die die Sicherheitsgarantie gegenüber atomwaffenfreien Staaten zunichte macht. Dieses Vorgehen untergräbt nicht nur das 13-Schritte-Programm zur Abrüstung, sondern den gesamten Vertrag zur Nichtweitergabe von Atomwaffen.

Die Pläne und Empfehlungen des NPR-Berichts summieren sich zu einer gewaltigen Gefahr für die globale Sicherheit. Die USA entwickeln kriegsbereite Atomwaffen, bereiten die Wiederaufnahme von Atomtests vor und planen den Einsatz von Atomwaffen in einem konventionellen Krieg. Dies wird mit Sicherheit dazu führen, dass sich noch mehr Staaten entsprechend verhalten werden und wir uns auf eine gefährdete Welt zu bewegen, in der unser aller Sicherheit noch bedrohter ist als zu Zeiten des Kalten Krieges.

Auswirkungen von Mini-Nukes
Atomwaffen mit wenig Sprengkraft können nicht ohne radioaktive Freisetzung eingesetzt werden. Es wird suggeriert, dass eine solche Waffe eher wie eine größere konventionelle Waffe denn wie eine Atomwaffe wirke. Die Explosion einer Atomwaffe mit geringer Sprengkraft, die sich in die Erde eingräbt, verursacht jedoch einen besonders intensiven radioaktiven Fallout. Sie schleudert eine große Menge Erde und Trümmer in die Luft. Selbst bei einer Zerstörungskraft von weniger als 5-KT erhöht die Atomexplosion die Radioaktivität des ausgeworfenen Materials. Der Fallout einer 5-KT-Explosion verseucht ein Gebiet mit einem Radius von mehr als 1,5 km so stark, dass es auf Jahrtausende unbewohnbar wäre. Nur die Hälfte der Radioaktivität bleibt im hochgradig radioaktiv verseuchten Krater zurück. Die andere Hälfte verstrahlt Umwelt und Menschen.
Eine 5-KT-Atomexplosion bleibt erst ab einer Tiefe von 200 Metern vollständig eingeschlossen. Bei einer Sprengkraft von 100-KT muss sie mehr als 400 m tief sein. Selbst dann kann es zu einer unbeabsichtigten Freisetzung kommen. Erddurchdringende Raketen können diese Tiefe bei weitem nicht erreichen.
Mehr Infos: www.fas.org/faspir/2001/v54n1/weapons.htm

Eine Information der
Internationalen Ärzte für die
Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW)

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Mai 2002

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Ansprechpartner*innen


Xanthe Hall

Abrüstungsreferentin
Expertin in Fragen zu Atomwaffen
Tel. 030 / 698074 - 12
Mobil 0177 / 475 71 94
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