Artikel aus IPPNW-Forum 104/07

Ein Morgen in Faslane

Protest gegen britische Atomraketen

Der salzige schottische Seewind bläst uns ins Gesicht. Es ist kalt - eine feuchte Kälte, wie man sie in Deutschland so nicht kennt. Aus dem Hintergrund ertönen die eigentümlichen Melodien eines Dudelsackspielers und vor uns liegt im Morgengrauen ein gewaltiger, mit ausladendem Stacheldraht gekrönter Zaun. Alles wirkt düster und surreal. Wir stehen direkt vor dem berüchtigten Marinestützpunkt Faslane. Hier liegen die britischen Atom-U-Boote, die "Tridents" vor Anker. Durch den Stacheldraht kann man die Wartungshallen, die umfangreichen Werftanlagen und die weitläufig angelegten Gebäudekomplexe sehen. Es ist noch relativ dunkel, aber in einer der Werften meint man, den Oberbau eines U-Boots erspähen zu können. Während es langsam heller wird, erkennt man auch ein zweites U-Boot am gegenüberliegenden Dock. Die schwarzen Maste ragen wie alte Dampflokomotiven aus dem Wasser. Es ist schwer vorstellbar, dass diese beiden U-Boote genug Sprengkraft mit sich herumtragen, um ganze Kontinente auszulöschen.

Die Marinebasis in Faslane und die dort stationierten Trident Atomraketen sind spätestens seit diesem Jahr jedem Briten ein Begriff und verkörpern sowohl die gesamte britische Atomstrategie als auch den wohl teuersten Atavismus des Kalten Krieges in Europa. Mehr als 20 Milliarden Pfund sind seit 1998 in die Errichtung, Wartung und Sicherung des Trident Programms gesteckt worden: vier atomar bewaffnete U-Boote der amerikanischen Vanguard-Klasse, von denen zwei ständig um den Globus patrouillieren, jederzeit bereit, ihr tödliches Arsenal auf feindliche Staaten abzufeuern. Feindliche Staaten? Von wem fühlt sich das Vereinigte Königreich 17 Jahre nach Ende des Kalten Krieges hinreichend bedroht, um ein solches Abschreckungspotential zu rechtfertigen? Wie viel Sicherheit steckt wirklich in der atomaren Sprengkraft, die täglich den idyllischen Firth of Clyde hoch und runter fährt und "im Dienste ihrer Majestät", wie es so schön heißt, die Weltmeere bereist? Es fällt schwer, ein Szenario zu erdenken, bei dem die 48 atomaren Sprengköpfe, die im Bauch der Tridents auf ihren Einsatz warten, von tatsächlicher sicherheitspolitischer Relevanz wären. In Zeiten des globalen Terrorismus hat ein Land wie Großbritannien, welches ja bekanntlich im Irak und in Afghanistan militärisch engagiert ist, sicherlich einiges zu fürchten - welchen Nutzen die Massenvernichtungswaffen von Faslane jedoch in der Bekämpfung islamistischer Terroristen haben könnte, bleibt schleierhaft. Russland ist längst vom Erzfeind zum Verbündeten geworden, ein Angriff eines anderen Atomwaffenstaates auf Großbritannien nahezu undenkbar. Weshalb nun also geplant wird, weitere 25 Milliarden Pfund für die Generalüberholung der veralteten Sprengköpfe zu investieren, statt diese Relikte einer vergangenen Epoche ordnungsgemäß einer sinnvolleren Tätigkeit zukommen zu lassen - zum Beispiel der Endlagerung für die nächsten 100.000.000 Jahre - das vermögen einem weder die Politiker noch die Sicherheitskräfte vor dem Marinestützpunkt zu sagen.

Stattdessen passen diese penibel darauf auf, dass wir nicht zu nahe an den Eingang der Basis herankommen. Mehr als 6.000 Menschen arbeiten auf dem Stützpunkt und so sind die Sicherheitskräfte des Nordtors an diesem Morgen schwer damit beschäftigt, den ordnungsgemäßen Ablauf des Berufsverkehrs zu sichern. Eine Gruppe von 30 Ärztinnen und Ärzten, die mit ihren Sprechchören, Bannern und Plakaten gegen die Atomwaffen in Faslane protestieren scheinen da nicht sonderlich zu stören und gehören hier fast schon zum Alltag. Seit Anfang Oktober wird die Basis nämlich bereits von protestierenden Bürgern belagert. 365 Tage soll der Betrieb des Stützpunkts durch kleinere Sitzblockaden und Demonstrationen gestört werden. Und jeden Tag kommen andere: die Sozialisten waren in der vergangenen Woche hier - ihre Plakate und Banner schmücken immer noch den Zaun des Lagers. Friedensinitiativen, kirchliche und gewerkschaftliche Gruppen, Studierende, Lehrer, Politiker - alle waren bereit, ein oder zwei Tage in der unwirschen Landschaft nördlich von Glasgow dafür einzustehen, dass Großbritannien endlich zur Atomwaffenfreien Zone wird. Die britische Bevölkerung steht mehrheitlich hinter diesen Protesten. 59 Prozent der Briten wollen laut Umfragen ein Ende der atomaren Bewaffnung - in Schottland sind es über 80 Prozent.

Es ist ein zäher, aber auch ein öffentlichkeitswirksamer Protest gegen die Stationierung von Massenvernichtungswaffen hier in Faslane. Heute also sind mit der IPPNW die Ärzte an der Reihe. "Treatment not Trident" skandieren sie lautstark: "Behandlung statt Trident" - das Geld, welches für das Trident-Programm ausgegeben wird (bis zu 70 Milliarden Pfund werden in den nächsten drei Jahrzehnten wohl nötig werden, um das Abschreckungspotential der Krone aufrechtzuerhalten) soll ihrer Meinung nach lieber in sinnvollere Maßnahmen investiert werden: in den Umbau des maroden britischen Gesundheitssystems, in Bildung, Entwicklungsarbeit und somit in echte Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger Großbritanniens. Allein die sofortigen Ausgaben für die Erneuerung des Trident Programms würden die britische Zielvorgabe der Millennium Development Goals der nächsten sechs Jahre abdecken und so Hunger, Armut und Analphabetismus in den Ländern des globalen Südens lindern. Terrorismus, das ist nicht erst seit dem Debakel im Irak bekannt, lässt sich nun mal nicht mit Waffengewalt bewältigen - erst recht nicht mit atomarer - sondern nur indem dem Terror die ideologische Grundlage entzogen und potentiellen Terroristen eine Lebensperspektive gegeben wird. Es ist dieses Konzept der Prävention von Gewalt und Konflikt, welches die Herangehensweise der IPPNW ausmacht. Deshalb stehen heute die Ärzte der britischen Sektion der IPPNW (MedAct) gemeinsam mit Ärzten und Medizinstudierenden der deutschen, irischen und schwedischen Sektionen vor den Toren Faslanes und rufen den einfahrenden Marineangehörigen zu: „Atomwaffen sind Massenvernichtungswaffen. Sie sind illegal und sie gehören abgeschafft!

Die Schlange an Bussen, Lastwagen und Pkws, die durch die Tore des Stützpunkts fahren, scheint nicht abzubrechen. Plötzlich laufen die schottischen Ärztinnen und Ärzte auf die Straße und blockieren den Verkehr. Sicherheitskräfte laufen auf sie zu, doch da haben sich die Mediziner bereits flach in die Mitte der Zufahrt gelegt und bilden eine menschliche Barriere, die den Verkehr blockiert. Über Walkie-Talkies wird rasch Verstärkung gerufen, mit neongelben Schutzwesten ausgestattete Bobbies versuchen die Demonstranten dazu zu bewegen, den Weg frei zu geben. Die Mediziner in ihren weißen Kitteln bleiben jedoch wo sie sind. Im Hintergrund beginnt der Dudelsackspieler erneut eine Melodie zu blasen. Die am Straßenrand stehenden Demonstranten beginnen zu singen. Es ist das Faslane Lied. Nach wenigen Minuten rollt bereits die Verstärkung an. Fachmännisch wird jeder der Demonstranten von vier Polizisten hochgehoben und in den Arrestwagen getragen. Nach 10 Minuten kann der Verkehr weiter fließen und der Alltag in Großbritanniens umstrittenster Militärbasis weiter seinen Lauf nehmen. Gegen 10 Uhr ebbt der Strom der Fahrzeuge ab. Einige Stunden später ziehen wir uns in das nahe gelegene Peace Camp auf eine heiße Kanne Tee und etwas Wärme am Ofen zurück. Für heute ist die Blockade der Basis beendet, aber morgen steht schon die nächste Gruppe auf dem Programm. So wird es weitergehen – 365 Tage lang. Bis Anfang Oktober. Dann soll das britische Parlament darüber entscheiden, ob das Trident Programm verlängert wird oder nicht. Die IPPNW hat zu diesem Anlass bereits eine große Konferenz mit der Royal Society of Medicine in London geplant. Aus aller Welt werden Experten kommen und über die Auswirkungen atomarer Waffen auf die Gesundheit und die Sicherheit Großbritanniens referieren. Begleitend sind zahlreiche Straßenaktionen und Botschaftsbesuche geplant. Es wird ein zähes Ringen - aber am Ende sehen wir nur eine mögliche Konsequenz: ein atomwaffenfreies Großbritannien als erster großer Schritt zu einem atomwaffenfreien Europa.

Dr. Alex Rosen ist Kinderarzt an der Uniklinik Düsseldorf und  Stv. Vorsitzender des internationalen Vorstands der IPPNW Gemeinsam mit Kollegen aus Irland, Großbritannien und Schweden  nahm er an der Faslane Blockade am 24. und 25. Januar 2007 teil.

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Expertin in Fragen zu Atomwaffen
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