Kommentar

London rüstet auf

Modernisierung bereits beschlossen

Gegenüber einem nicht nennbaren Feind und mit der einzigen Begründung einer "ungewissen Welt" klammert sich England weiterhin an seine Fähigkeit, Menschenmassen durch Atomwaffen zu vernichten. Trotz vieler Proteste auch aus den eigenen Reihen hat Premierminister Blair wieder nach der Devise Faustrecht statt Völkerrecht entschieden. Nur einmal zuvor hatten so viele Labour-Abgeordnete gegen die eigene regierende Partei gestimmt: bei der Abstimmung um den Irakkrieg. Diesmal stimmten 161 gegen die neuen Atomwaffenträger, darunter 95 Labour-Abgeordnete. Dafür stimmten 409. Zwei Minister sind wegen des Ergebnisses zurück getreten.

Kurz vor der Entscheidung kam ans Licht, dass bereits in diesem Jahr heimlich die Trident-Rakete modernisiert werden sollte. Obwohl immer wieder beteuert wurde, dass noch keine Modernisierung der britischen Atomwaffen statt findet, gab jedoch das britische Verteidigungsministerium diese Woche zu, dass eine neue Vorrichtung auf der Trident-Rakete montiert wird, die Sprengkraft, Auswirkung und radioaktiven Niederschlag nach Zieloption verändern kann. Das neue AF&F-System (Arming, Fusing and Firing) wurde 2005 bestellt, in den USA entwickelt und wird voraussichtlich im September 2007 geliefert. Verteidigungsminister Les Browne übt semantische Akrobatik: Dies sei keine Modernisierung des Trident-Systems, sondern nur eine Verbesserung seiner Effizienz.

Die neue Vorrichtung bedeutet, dass die Anzahl der möglichen Ziele für den Einsatz von britischen Atomwaffen deutlich erhöht werden kann, weil die Sprengkraft und tödliche Wirkung angeblich damit verringert wird. Dazu hatte bereits im letzten Jahr die IPPNW in Großbritannien eine Studie zu den Folgen von Atomwaffen mit niedriger Sprengkraft veröffentlicht: Auch eine Atomwaffe mit einer Sprengkraft von nur 1 Kilotonne (die Hiroshima-Bombe hatte 12,5 KT) würde katastrophale Auswirkungen für Mensch und Umwelt haben.

In der Debatte fokussierten Berichte auf den Ersatz der U-Boote, derer Betriebszeit in 15 Jahren ausläuft und die schon jetzt neu bestellt werden müssen, wenn England noch seegestützte Atomwaffen behalten will. Dennoch bedeutet die neueste Entscheidung in den USA, den Sprengkopf für US-Tridentraketen (W-76) im Rahmen des "Programms für zuverlässigen Sprengkopfersatz" (RRW = Reliable Replacement Warhead) durch einen Neuen zu ersetzen, dass auch in England eine Erneuerung des Sprengkopfs bevor steht. Da die britischen Atomwaffen eine fast genaue Kopie der US-Version sind, hängen diese Entscheidungen zusammen. Es läuft auf eine Modernisierung des kompletten Systems samt Atomsprengkopf hinaus.

Großbritannien ist Unterzeichnerstaat des Nichtverbreitungsvertrags (NVV) und hat sich damit verpflichtet, sein Arsenal bis auf Null abzubauen. Mit diesen Modernisierungen verstößt Großbritannien deutlich gegen diese Verpflichtung. Die oben geschilderten Entwicklungen schreiben den Besitz von Atomwaffen für die nächsten 50 Jahre fort. Gleichzeitig behauptet Außenministerin Beckett in einer Antwort an die Menschen, die die Petition gegen den Tridentersatz unterzeichneten: „Wir spielen eine Vorreiterrolle bei den Fragen der Nichtverbreitung und Abrüstung“ – eine Behauptung ohne jegliche Substanz. Weiter sagt sie: „Wir wissen, dass viele Menschen wollen, dass wir mehr machen. Aber es ist einfach nicht realistisch zu denken, dass, wenn wir unser Abschreckungspotenzial fallen lassen oder gar morgen komplett abrüsten würden, Iran oder Nordkorea dann nicht mehr Atomwaffen bauen würden...“ Scheinbar hat sie die Ergebnisse der Gespräche mit Nordkorea nicht mitbekommen und hat schon entschieden, dass der Iran schuldig ist, bevor irgend ein Beweis gegen das Land gefunden wurde.

Zu erwarten ist, dass die Schotten die Entscheidung in England nicht so leicht annehmen werden. Wenn die Scottish National Party (SNP) im schottischen Parlament bei der nächsten Wahl die Mehrheit gewinnt, was sehr wahrscheinlich ist, will sie hohe Gebühren für die Stationierung und den Transport von Atomwaffen in Schottland abnehmen. Der Atomwaffenstützpunkt bei Faslane am Fluss Clyde ist bereits seit letztem Herbst unter Dauerblockade. Am 26. März reist aus Deutschland eine Gruppe AktivistInnen nach Schottland, die bei der Faslane 365-Aktion mitmacht.

Xanthe Hall
15. März 2007

Quellen:
Guardian: Trident upgrade under way, MoD admits, 14. März 2007
Medact: Britain´s New Nuclear Weapons. Illegal, Indiscriminate, and Catastrophic for Health, Dezember 2006

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