1983

IPPNW-Chronik

Trotz massiver Proteste von Millionen von Menschen, trotz der größten Demonstrationen und Versammlungen in der Geschichte dieser Republik, gegen den Willen auch einer demoskopisch deutlichen Bevölkerungsmehrheit genehmigte der Deutschen Bundestag am 22. November 1983 mit den Stimmen der Regierungsmehrheit die Stationierung von 108 Pershing II-Abschussrampen (die Zahl der Raketen wird darüber liegen) und von 96 Marshflugkörpern auf westdeutschen Boden. Bereits anderntags, am 23. November 1983 trafen die ersten Pershing-Raketen im schwäbischen Mutlangen ein. Am selben Tage noch verließen die sowjetischen Diplomaten die Genfer INF-Verhandlungen über eurostrategische Mittelstreckenwaffen und wenig später auch die START-Verhandlungen über strategische Rüstungsbegrenzung.
Aus: "Memorandum der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) Sektion Bundesrepublik Deutschland" über die Genfer Verhandlungen und die Notwendigkeit eines Teststops in "Ärzte warnen vor dem Atomkrieg: Stellungnahmen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges", 1985

März:
In München findet der 3. Deutsche IPPNW-Kongress unter dem Motto "Wir werden Euch nicht helfen können" statt, zu dem ein ausbrechendes rotes Kreuz gewählt wurde, über dem als Hoffnungszeichen eine Friedenstaube schwebt. Das Bayerische Rote Kreuz läßt die Verwendung des Symbols gerichtlich untersagen.

Auf der Mitgliederversammlung in München wird die Satzung der bundesdeutschen IPPNW beschlossen. Die bundesdeutsche IPPNW zählt inzwischen 893 Mitglieder. Es wird zudem beschlossen, eine Demonstration von ÄrztInnen und Angehörigen des Gesundheitswesens in Bonn zu veranstalten.

Juni: Auf dem 3. Weltkongress in Amsterdam/Niederlande versammeln sich ca. 300 ÄrztInnen aus 43 Ländern. Die internationale Satzung und die Struktur der IPPNW werden verabschiedet. UN-Generalsekretär Perez de Cuéllar, Papst Johannes Paul II und zahlreiche Regierungschefs, darunter auch Reagan und Andropov, senden Grußbotschaften. Als Leitungsgremium wird der "International Council" (internationaler Rat) gegründet, in dem die damals 30 IPPNW-Sektionen mit je einem Delegierten vertreten werden. In Ergänzung zum Eid des Hippokrates wird ein neuer Eid, eine ärztliche Verpflichtungsformel, verabschiedet. Es wird ein Aufruf der Internationalen Ärzte zur Beendigung des atomaren Rüstungswettlaufs verabschiedet und einen Brief an den Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR, Jurij V. Andropov sowie an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Ronald Reagan gesendet.

Erstmals tritt das Komitee "Ärzte der DDR zur Verhütung eines Nuklearkrieges" anläßlich der Unterschriftensammlung unter den "Amsterdamer Aufruf" innerhalb der DDR in Erscheinung.

Oktober: In Bonn demonstrieren über 6000 ÄrztInnen, ArzthelferInnen, Krankenschwestern und -PflegerInnen gegen die atomare Bedrohung. Sie versammeln sich vor dem Bundesgesundheits-Ministerium, um sich gegen Aufrüstung und Militarisierung auszusprechen. Dem damaligen Bundesfamilien-Minister Geissler wird ein offener Brief überreicht. Das Medienecho ist weitreichend; die Mitgliederzahl steigt kurz darauf von ca. 900 auf über 2000 an.

November: Ganzseitige Anzeigen werden in überregionalen Zeitungen geschaltet: "Warum Ärzte vor der Atomrüstung warnen".

Parallel zur staatstragenden SED-konformen offiziellen IPPNW-Sektion in der DDR in Gestalt des Komitees "Ärzte der DDR zur Verhütung eines Nuklearkrieges" bilden sich ärztliche Gruppen in Halle, Berlin, Erfurt und Ilmenau. In Ergänzung und gegen den Widerstand der offiziellen IPPNW-Sektion arbeiten die unabhängigen Gruppen und engagierte kritische ÄrztInnen als Einzelne im Sinne der internationalen IPPNW. Besondere Bedeutung haben Themen wie Feindbildabbau, Niedrigstrahlung, Katastrophenmedizin und Medizin im Nationalsozialismus. Die Formen der Bearbeitung dieser Themen sind im Rahmen der Kirche Vorträge, Gespräche auf Friedenswerkstätten, Infostände, Gemeindeabende und Publikationen. Das Ministerium für Staatsicherheit (MfS) schleust informelle MitarbeiterInnen in diese Gruppen ein bzw. wirbt einzelne ÄrztInnen zur geheimen Arbeit an. Eine wesentliche inhaltliche Beeinflussung der Arbeit gelingt jedoch nicht. Dass auch eine Zersetzung der Gruppen versucht wird, läßt sich durch die Stasiakten belegen.

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