1986

IPPNW-Chronik

Der Reaktorbrand von Tschernobyl müßte auch dem Letzten die Augen dafür geöffnet haben, dass schon eine lokale atomare Katastrophe selbst ferne Länder notwendigerweise in Mitleidenschaft zieht. Plastischer als durch tausend Vorträge ist den Menschen vorgeführt worden, dass uns die atomare Gefahr längst über die Blockgrenzen vereint, dass also bereits ein sogenannter begrenzter Atomkrieg Luft, Wasser, Böden, Milch in weiten Gebieten für Freund und Feind verseuchen würde. Müßte sich nicht der Gedanke zwingend aufdrängen, dass in der militärischen Atomtechnologie bzw. in den vorgeschalteten Computer-Warnsystemen mindestens solche Pannenrisiken stecken wie in den zuvor als absolut sicher gepriesen zivilen Kernreaktoren?
"Der Arzt und das Umdenken zum Frieden" von Horst-Eberhard Richter in "Gemeinsam leben - nicht gemeinsam sterben!" Hrsg: IPPNW, München 1987

Mai/Juni:
Der 6. Weltkongress der IPPNW "Maintain Life on Earth/Gemeinsam leben - nicht gemeinsam sterben" wird in Köln von der bundesdeutschen Sektion organisiert. Durch die Katastrophe von Tschernobyl wird die internationale Organisation mit dem Thema der "friedlichen" Nutzung der Atomenergie konfrontiert. Aus 65 Nationen kommen über 1500 ÄrztInnen. Eine Medizinische Verordnung der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges wird einstimmig vom Internationalen Rat der IPPNW am 27. April angenommen. UN-Generalsekretär de Cuellar, Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Ronald Reagan, Michail Gorbatschov und Papst Johannes Paul II. schicken Grußbotschaften.

Das Internationale Council entschließt sich zu einer Satzungsänderung, die eine individuelle Mitgliedschaft in der DDR ermöglicht, die zum Beitritt von ca. 8.000 DDR-ÄrztInnen führt. Diese Eintrittswelle wird initiiert, um den Einfluss kritischer Ärztegruppierungen zu minimieren. Gleichzeitig gründen sich die Bezirkskomitees, die vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) vor alternativen Ärztegruppierungen gewarnt werden. Durch massiven Druck der internationalen IPPNW, der holländischen und bundesdeutschen Sektionen und der Evangelischen Kirche in der DDR können je ein/e VertreterIn der unabhängigen ärztlichen Gruppen in der offiziellen Delegation mitfahren. Innerhalb der DDR-Delegation finden massive Disziplinierungsversuche statt, denen sich die betroffenen KollegInnen nur schwer entziehen können.

Juni: Die IPPNW fordert den Rücktritt des Bundesärztekammer-Präsidenten Dr. med. Karsten Vilmar, nachdem die Bundesärztekammer eine verharmlosende Stellungnahme zu den Folgen des Reaktorbrandes von Tschernobyl abgegeben hatte, die sie obendrein in einer Anzeigenserie der "Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke", Eigentümer und Betreiber der Atomkraftwerke, hatte verbreiten und sich bezahlen lassen.

Oktober:
2. Europäisches Symposium in Madrid. Motto: "Die nukleare Bedrohung in Europa: Risiken und Verordnungen".

November: Zum Volkstrauertag demonstriert die IPPNW wieder in Stukenbrock: "Beherzigt die Erinnerung, damit ihr in der Vorbeugung nichts versäumt."

Dezember: Die Broschüre Information über die Strahlenkrankheit erreicht eine Auflage von über 3,6 Millionen.


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