Jens Reich

Ehem. Vorsitzender der ostdeutschen Sektion der IPPNW

Arzt, Biochemiker und Essayist; Mitbegründer des Neuen Forums, der Bürgerrechts-Bewegung in den Tagen des Zerfalls der DDR; Mitglied der letzten - freigewählten - Volkskammer der DDR, Vorsitzender der ostdeutschen Sektion der IPPNW nach der Wende.

Jens Reich wurde am 26. März 1939 als Sohn eines Arztes und einer Heilgymnastin in Göttingen geboren und verbrachte seine Kindheit in Halberstadt. Nach seinem Medizinstudium an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin wurde er Assistenzarzt am Salvator-Krankenhaus Halberstadt. Reich absolviert zusätzlich eine biochemische Fachausbildung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, wo er ab 1964 als Wissenschaftler tätig wird. Seit 1968 war er am Institut für Molekularbiologie der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Buch tätig.

Opposition
Bereits in den frühen achtziger Jahren schloss er sich der Oppositionsbewegung an und hielt Kontakt zu Oppositionsgruppen in Polen, der CSSR und der Sowjetunion. Er wird Mitbegründer und Teilnehmer des privaten "Freitagskreises", der aus rund 30 Oppositionellen bestand. Der Kreis wird ab den 80er Jahren systematisch vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) abgehört und protokolliert. Er wurde zurückgestuft zum wissenschaftlichen Mitarbeiter wegen der Weigerung, Kontakt zu Bundesbürgern abzubrechen. Ihm werden Reisen in die westlichen Länder verweigert. Seit 1985 arbeitete Reich in oppositionellen Kreisen mit, tritt in der Gethsemanekirche auf und nahm an Veranstaltungen in der Umweltbibliothekin Ost-Berlin teil. Er war Mitarbeiter im Kreis "Ärzte in sozialer Verantwortung". 1988 veröffentlicht Reich eine Artikelserie in "Lettre International" (Pseudonym: Thomas Asperger), die DDR-kritisch war. September 1989 verfasst er zusammen mit anderen den Aufruf "Aufbruch 89 - Neues Forum".

"So jung wie ich auf diesem Schnappschuss aussehe, war ich Anfang 1990 in Wirklichkeit nicht mehr. Das Bild stammt von der ersten öffentlich zugelassenen DDR-weiten Konferenz des "Neuen Forums", Anfang 1990, und ich stehe offensichtlich unter Adrenalin- und Endorphin-Wirkung. Das Wort "Hoffnung" im Hintergrund ("Neues Forum - neue Hoffnung!") drückt die euphorische Aufbruchsstimmung jener Tage aus. Wir waren pausenlos unterwegs, schliefen viel zu wenig. Ein ganzes Volk war in erwartungsvoller Aufregung."

Spitzenkandidat und Politiker
Als Spitzenkandidat des "Bündnis 90" wurde er im März 1990 Abgeordneter der letzten, bereits frei gewählten, Volkskammer der DDR und gehörte ihr bis zur Vereinigung am 3. Oktober 1990 an. Nach der Wieder-Vereinigung arbeitete Reich wieder als Abteilungsleiter für Biomathematik am Zentralinstitut für Molekularbiologie in Berlin. Reich bekam die Auszeichnung mit dem Theodor-Heuss-Preis 1991, stellvertretend für die vielen Bürger-RechtlerInnen in der ehemaligen DDR. Im Mai 1994 stellt er sich als unabhängiger Kandidat zur Wahl des Bundespräsidenten. 1997 wird er Mitbegründer den "Willy-Brandt-Kreis" in Berlin, der von Günter Grass und Egon Bahr initiiert wird.

IPPNW-Arbeit
Von 1990 bis 1991 war Reich der erste freigewählte Vorsitzender der DDR-Sektion der Internationale Ärzte für die Verhütung eines Atomkriegs - Intiative "Ärzte in sozialer Verantwortung". 1991 schloss die beiden deutschen Sektion zusammen.

Bei dem großen IPPNW-Kongress in Berlin 1992, der das 10-jähriges Bestehen der bundesdeutschen IPPNW feierte, hielt Reich das Grusswort:
"10 Jahre IPPNW: Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges. Wir erinnern uns noch, dass das lange Zeit ein Synonym für kommunistische Unterwanderung war. Wir erinnern uns an den Vorwurf, dass wir den Atomkrieg nicht verhüten können, das sei naiv von den Menschenrechts-Verletzern in Moskau und anderswo über den Tisch ziehen lassen. Wir erinnern uns, dass es Proteste gab, als wir den UNESCO-Friedenspreis und den Nobel-Friedenspreis bekamen. Als Bernard Lown sich im Zeitalter des Bösen mit Michail Gorbatschov getroffen hat."

Veröffentlichungen

"Rückkehr nach Europa. Zur neuen Lage der Deutschen Nation" (1991)

"Abschied von den Lebenslügen. Die Intelligenz und die Macht" (1992)

"Deutschland - Chance und Risiko" (1994).
Jens Reich im Gespräch mit Mathias Greffrath und Konrad Adam, 1994


Quellen

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