Jutta Seidel

Persönlichkeiten der IPPNW

Zahnärztin in Berlin, Gründungs-Mitglied des "Neuen Forum" und Ärzte für den Frieden (Berlin-Ost) und Vorstandsmitglied der gesamtdeutschen IPPNW.

Jutta erblickte in Brandenburg/Havel, Eberhard in Leipzig das Licht der Welt. Sie studierten Medizin bzw. Zahnmedizin in Berlin. Politisch war Eberhard Seidel geprägt durch die Distanz zum DDR-Staat und die Nähe zu evangelisch-kirchlicher Wertevermittlung. Jutta war in der politisierten Evangelischen Studentengemeinde Berlins aktiv. Jutta und Eberhard heirateten 1975.

Ab Anfang der 80er Jahre engagierte sich Jutta Seidel bei den "Frauen für den Frieden" (zusammen mit Bärbel Bohley, Katja Havemann u.a.). 1983 gründeten Jutta und Eberhard Seidel mit Kolleginnen und Kollegen in Berlin die Gruppe "Ärzte für den Frieden" als Gegenstück zu der staatstragenden SED-hörigen DDR-Sektion der IPPNW. Die "Ärzte für den Frieden", ähnliche Gruppen waren auch in anderen Teilen der DDR entstanden, wollten aus ärztlichem Ethos und christlichem Bekenntnis heraus einen eigenständigen Beitrag für die Friedenssicherung leisten.

Sie hielten Fühlung zur bundesdeutschen Sektion der IPPNW und bauten Verbindungen zu den internationalen IPPNW Sektionen auf. Durch persönliche Beziehungen und kirchliche Wege konnten Informationen ungefiltert von West nach Ost und umgekehrt gelangen. Die kritischen "Ärzte für den Frieden" mit Jutta und Eberhard Seidel engagierten sich im Sinne der internationalen IPPNW.

Im Rahmen und im Schutz der Evangelischen Kirche in der DDR wurden Vorträge, Gespräche auf Friedenswerkstätten und Gemeindeabende organisiert. "Innerkirchliche" Publikationen (Die "Pechblende" von Michael Beleites war die bekannteste) wurden herausgegeben. Dadurch und z.B. durch die Tagung "Ich weiß von der Schuld der Gleichgültigkeit" (November 1988) im Rahmen der Evangelischen Akademie -hier nahmen namhafte Mitglieder der westdeutschen und westeuropäischen IPPNW teil- wurde die Unvereinbarkeit der offiziellen DDR-IPPNW Position mit dem Diskussionsstand in den unabhängigen Gruppen und der internationalen IPPNW überdeutlich. Das Ministerium für Staatssicherheit hatte in diese Gruppen informelle Mitarbeiter eingeschleust. Eine Beeinflussung der Arbeit der unabhängigen Ärztegruppen gelang dem MfS nicht.

Durch massiven Druck der internationalen IPPNW, der bundes-deutschen und besonders der holländischen Sektion und der Evangelischen Kirche in der DDR konnten ab 1986 je ein Vertreter der unabhängigen Ärztegruppen in der offiziellen Delegation der IPPNW in der DDR zu den internationalen Kongressen und Symposien mitfahren. Dabei fanden innerhalb der Delegation der offiziellen DDR Sektion massive Disziplinierungs-Versuche durch die Delegationsleitung statt.

So nahm Jutta Seidel 1987 am 7. Medizinischen Kongress der bundesdeutschen IPPNW in Essen und am internationalen Weltkongress in Moskau teil. Auf dem 3. IPPNW Europa Symposium 1987 in Prag kamen Jutta und Eberhard und andere unabhängige Ärztinnen und Ärzte aus der DDR mit west- und osteuropäische Medizinerinnen und Mediziner zusammen. Eberhard Seidel war im Oktober 1988 Teilnehmer am 8. Medizinischen Kongress und 4. Europäischen IPPNW Symposium. Beide beteiligten sich auch 1990 mit "Ärzte für den Frieden" an der IPPNW Tagung "Psychologische Abrüstung und Friedens-Erziehung" in Berlin.

Auf Grund der Reformunwilligkeit der offiziellen IPPNW-Sektion der DDR, die der Reformunwilligkeit des DDR Staates entsprach, war eine Umgestaltung der DDR IPPNW über eine inhaltliche Neubestimmung nicht möglich. Die erste Mitgliederversammlung der IPPNW Sektion in der DDR überhaupt wurde von den unabhängigen Ärztegruppen und kritischen Einzelnen im Juni 1990! erzwungen. In einer Kampfabstimmung wurde die bisherige SED-hörige IPPNW Sektionsleitung abgewählt. Der neu votierte Vorstand setzte sich aus bisher unterdrückten Mitgliedern zusammen, darunter Eberhard Seidel. Zum Vorsitzenden wurde Prof. Dr. Jens Reich gewählt. Die Mitgliederversammlung beschließt unter diesem neuen Vorstand eine Satzungsänderung, eine Themenerweiterung und die Namensänderung in "Ärzte in sozialer Verantwortung – IPPNW Sektion der DDR".

Ab August 1990 treffen sich dann die Vorstände der beiden deutschen Sektionen regelmäßig, um über die Modalitäten und Inhalte des Zusammengehens zu diskutieren. Durch die Neubestimmung der DDR IPPNW als "Ärzte in sozialer Verantwortung" wird ein gleicher Schritt für die bundesdeutsche Sektion notwendig.

Im Januar 1991 findet in Burgscheidungen nahe Naumburg unter Federführung des neuen Vorstandes der "Ärzte in sozialer Verantwortung – IPPNW Sektion der DDR" die erste gemeinsame Tagung der beiden IPPNW Sektionen statt. Das Zusammengehen der beiden deutschen Sektionen wird unter der Voraussetzung bekräftigt, dass die westdeutsche Sektion ihre Satzung der ostdeutschen anpasst. Im März 1991 vereinigen sich die beiden Sektionen auf einer gemeinsamen Mitgliederversammlung in Kassel. Der erste gemeinsame Vorstand wird von den Mitgliedern aus Ost und West gewählt. Jutta und Eberhard Seidel sowie Jens Reich gehören ihm, wie später auch weiteren, an. Ohne den menschlichen und politischen Einsatz von Jutta und Eberhard Seidel wäre die Vereinigung der beiden deutschen IPPNW Sektionen nicht so solidarisch und problemlos vonstatten gegangen.

Neben der engagierten Arbeit bei den unabhängigen "Ärzten für den Frieden" gründeten 1989 Jutta und Eberhard Seidel mit Bärbel Bohley und anderen das spektakuläre "NEUE FORUM", das den Niedergang der DDR beschleunigte. Jutta und Eberhard waren eine Kontaktadresse des "Neuen Forum" in Berlin. Sie arbeiteten beide zur Wendezeit am zentralen Runden Tisch der DDR mit. Eberhard war dann Abgeordneter der ersten frei gewählten Berliner Stadtverordnetenversammlung, Jutta engagierte sich in der Arbeitsgruppe Sicherheit (Auflösung der Staatssicherheit). Jutta und Eberhard Seidel waren aktive und führende Teilnehmer der einzig erfolgreichen Revolution der deutschen Geschichte und wurden im Jahre 2000 als Mitbegründer des NEUEN FORUM mit dem Nationalpreis 2000 der Deutschen Nationalstiftung ausgezeichnet.

Ab 1991/1992 engagierten sich beide neben der ärztlich-friedenspolitischen Arbeit und dem nicht leichten und ungewohnten Aufbau ihrer Praxen auch noch berufspolitisch. Eberhard im Vorstand der Berliner Ärztekammer, Jutta als Delegierte der Berliner Zahnärztekammer und der Bundeszahnärztekammer.

Jutta und Eberhard Seidel haben sich große Verdienste für die deutsche IPPNW und die Vereinigung Deutschlands erworben.

zurück

Navigation