Begegnungsreise nach Palästina und Israel 2019

Aus dem Bremer Raum beteiligten sich 8 Personen an der IPPNW-Begegnungsreise

Am 31. März traten 31 gespannte Menschen eine Begegnungsreise nach Palästina an, die schon mehrmals unter der Leitung von Sabine Farrouh stattgefunden hatte. Durch unsere Vorbereitung war uns klar, dass wir möglicherweise sehr gemischte Eindrücke mitbringen würden.

Leider begann es für uns schockierend: die Einreise wurde Sabine verwehrt, sie wurde unter strenger Kontrolle festgehalten und am nächsten Morgen nach Deutschland abgeschoben. Als Begründung wurden Ihr Aktivitäten gegen Israel und für die Palästinenser vorgeworfen. 9 weitere Mitglieder der Reisegruppe mussten ein für sie nicht lesbares Dokument in hebräischer Sprache unterschreiben, in dem sie zur Kenntnis nehmen, dass sie die „autonomen Palästinensergebiete“ nicht bereisen dürfen.

In der ersten Woche lebten wir in palästinensischen Familien, vom Glauben Moslems und Christen, die im „Arab Educational Institut“ Bethlehem zusammenarbeiten. In Bethlehem leben traditionell die meisten Christen Palästinas und Israels. Mit den muslimischen Familien stehen sie im Austausch über tägliche und besondere Probleme, die die Menschen in Israel lösen müssen. Die Familien hatten unterschiedliche Traditionen und unterschiedlichen gesellschaftlichen Status. Alle waren sehr um uns bemüht.

Wir bekamen einen Eindruck von den Städten Jerusalem, Bethlehem, Hebron, Jericho, Jaffa, Tel Aviv, aber der Schwerpunkt lag im Kennenlernen der NGO‘s.

Die „WALLS“ (Mauern)

Nach einem ersten Besuch Jerusalems (Altstadt Ostjerusalem, Tempelberg, Klagemauer) führte uns ein junger Israeli jüdischen Glaubens von der ICAHD (Vereinigung gegen Häuserzerstörung) durch die Umgebung Jerusalems.

Er demonstrierte uns den Bau der Siedlungen um Jerusalem herum, die mehrere 10-tausend Einwohner beherbergen, z.B. Maale Adumim. Inzwischen leben 215.000 Siedler um Ost-Jerusalem herum. Nach seinen Darstellungen handelt es sich um gezielte Ansiedlungen im Westjordanland, auf palästinensischem Boden. Zum „Schutz der Siedler“ werden sie von „walls“ umgeben, die so gezogen werden, dass sie den Zugang von der Westbank zu den großen, auch muslimischen Heiligtümerm – dem Felsendom und der Al-Aqsa-Moschee – verhindern sollen. Er zeigte uns den Unterschied zwischen neuen palästinensischen Dörfern und israelischen Siedlungen: letztere haben Zugang zum Wasser über Wasserleitungen, wie wir sie kennen; palästinensische Häuser haben auf dem Dach Zisternen, um das Regenwasser zu sammeln – da den Palästinensern nur 15% der Wasservorräte ihres eignen Landes zustehen.

Auch in Bethlehem, unmittelbar am Sumud-Haus, wird uns die Auswirkung der willkürlich gezogenen „walls“ deutlich. Früher die Hauptstraße zwischen Jerusalem und Hebron, ist sie jetzt zu einem trostlosen Ort verkommen, der einerseits an der Mauer, andererseits an einem Checkpoint endet. Dazwischen geschlossene Geschäfte, ein paar Lebensmittelläden, die erst im Morgengrauen zum Leben erwachen, wenn die palästinensischen Arbeiter am Checkpoint in Schlangen anstehen, um zu ihren Arbeitsplätzen nach Israel zu kommen. Warum hier eine „wall“? Um eine neue Siedlung zu schützen und „Rachels Grab“ nur für israelischen Besuch zu sichern.

Einen anderen Eindruck von den Auswirkungen der Mauer zeigt uns Jamal der von der NGO „Stop the Wall“. Wir fahren mit nach Kalkilya (Qalqilia). Die Stadt liegt an der westlichen Grenze des Westjordangebietes, fast auf der „green line“. 1997 hatte die Stadt 22.168 Einwohner, 2007 durch Aufnahme der Flüchtlinge aus anderen Landesteilen 41.739 Einwohner. Das Umfeld von Kalkilyas ist sehr fruchtbar, wurde der Obstgarten der Region genannt. Die Hauptstraße von Nablus zu den Städten am Mittelmeer führte durch Kalkilya, was zur Prosperität der Stadt beitrug. Hier lagen die Geschäfte, Restaurants, alles, was einen Handelsplatz ausmacht.

Östlich der Greenline, also auf palästinensischem Gebiet, verläuft jetzt eine ca. 8 m hohe Mauer. Sie quert die Hauptstraße und trennt den Ort von dem landwirtschaftlich genutzten Hinterland, das für seine Eigentümer nun nicht mehr erreichbar ist. Die Mauer umschließt die Stadt von 3 Seiten völlig, lässt nur im Osten einen schmalen Korridor zu kleineren Gemeinden. 

Am Ortseingang führt uns Jamal zu einer kleineren Straße. Eine Trümmerlandschaft! Hier standen neuere Häuser – angeblich illegal von Palästinensern auf palästinensischem Land gebaut und deshalb zerstört. Es sieht dort wie nach einem Bombeneinschlag aus, Trümmerhalden, geschmiedete Türen, die Rosen in den Gärten blühen.

Gegenüber ein 2-stöckiges, neues Haus im Landesstil mit Rundbogenfenstern, Balkonen, alles mit dem typischen hellockerfarbenen Kalkstein der Region gebaut. Ein gepflegter Garten. Eine verschleierte Frau und ihre Kinder winken uns zu. Auch sie ist von dem bevorstehenden Abriss ihres Hauses informiert worden. Im Hintergrund die Mauer. 

Da wir nicht die für israelischen Siedler gebaute Straßen benutzen dürfen, geht unsere Fahrt unterhalb dieser Straße durch einen Tunnel zum ehemaligen Zentrum Kalkilyas.

Wir wanderten auf der ehemaligen Hauptstraße durch eine Geisterstadt. Die Hauptstraße verfällt, aber noch gut als solche erkennbar. Die Häuser rechts und links verschlossen, teils auch zerstört, menschenleer. Die Bewohner sind fortgezogen. Wovon sollten Sie auch hier leben? Die Hauptstraße endet an der Mauer. Ich sehe mich in einer Szene eines Wildwestfilmes.

Sehr beeindruckend war ein Vortrag von Helga Baumgarten an der BirZeit Universität nahe Ramallah. Sie schildert uns die derzeitige politische Situation in Palästina, die Rolle der palästinensischen Führung, die Rolle des palästinensischen Geheimdienstes und die Situation auf dem Campus. Wir bekommen eine Ahnung der unterschiedlichen Ebenen der palästinensischen Gesellschaft, auch ihre Zerrissenheit, es fehlt eine organisierende Kraft.

Medizinische Versorgung in der Westbank

Als medizinische Organisation war uns wichtig, etwas über die Gesundheitspolitik und die medizinische Versorgung zu erfahren. Wir besuchten ein Zentrum der Health Work Committees (HWC) in der Nähe Hebrons und das Brustkrebszentrum der HWC in Ramallah.

Es gibt 20 HWC-Zentren im Westjordanland. Sie sind in der Regel durch einen Arzt/Ärztin für Allgemeinmedizin, gelegentlich einen Arzt/Ä. für „Frauengesundheit“ besetzt. Sie arbeiten in 24h-Schichten. Es fehlen die Spezialisten, die wegen der hier geringen Bezahlung meist nach Europa, nach Saudi-Arabien oder in Privatkliniken in Jerusalem abgewandert sind. Deshalb setzt man auf die Vernetzung aller Zentren. Freiwillige Einsätze aus aller Welt sind sehr willkommen.

Von den HWC aus werden auch Dörfer mit mobilen clinics versorgt, wenn die Patienten nicht kommen können. Für die Dörfer zwischen den Mauern muss erst eine Erlaubnis von Israel eingeholt werden. Es gibt eine Versicherung (300 Dollar pro Familie und Jahr); daher sind die medizinischen Leistungen nur beschränkt finanzierbar. Private Versicherungen sind möglich. Das größte Einkommen der HWCs erfolgt über Spenden. Jetzt fehlen die Spenden aus den USA. Die Angestellten bekamen bei unserem Besuch nur das halbe Gehalt. Medikamente werden bar bezahlt. Bei den meist armen Familien werden ca. 20 Schekel kassiert. Wer kein Geld hat, bekommt sie gratis. Die Familie wird durch einen Sozialarbeiter weiter betreut.

Notfallfahrten nach Israel werden angeboten, sind aber praktisch kaum möglich. Die Abfertigung an den Checkpoints unterliegt keiner Regel. Wartezeiten sind üblich. Palästinensische Krankenwagen dürfen nicht nach Israel fahren. Die Patienten müssen in israelische Krankenwagen umgeladen werden (Sicherheitsgründe).

„Hier kann man nur leben, um anderen zu helfen. Man verdient wenig“, sagt der Kollege.

Im Dunja Breast Center können Mammografien und Ultraschalluntersuchungen sowie Biopsien gemacht werden, zur Behandlung mit Operation, Chemotherapie oder Bestrahlung bedarf es aber der Erlaubnis, nach Israel einreisen zu dürfen. Dort wird dann die Therapie von der Autonomiebehörde bezahlt.

Schwerpunkt liegt in der Anleitung zur Selbstuntersuchung und der Nachsorge nach Mamma-CA. sowie der Beratung in der Familienplanung. Jährlich, im Oktober, werden Fund-Raising-Aktionen gemacht. So konnte das Zentrum seit Bestehen schon 1 Mio. Dollar auftreiben. Dieses Geld wurde u.a. in eine mobile Klinik, einen Kindergarten und in Gruppen für Alte investiert. Auch hier fehlen die Gelder aus den USA. (siehe auch den Blog IPPNW Palästinareise, Ärzte für Menschenrechte, eine Organisation, die wir in Jaffa besuchten.)

Andere NGOs‘s:

Bei unserem Besuch in Yad Vashem (siehe auch auch gesonderten Bericht im Blog IPPNW-Palästinareise) berichtete uns die Historikerin Tamar Avraham, dass sie bei ihren Studien um die Shoah festgestellt habe, dass das Thema „Nakba“ in den israelischen Schulbüchern nicht vorkomme. Das habe ihre Forschungstätigkeit hierzu angeregt.

Umso mehr freute ich mich auf den Besuch bei „Zochrot“, einer NGO mit Sitz in Tel Aviv, deren Aufgaben uns von einer Israelin und einer Palästinenserin anschaulich dargestellt wurden. „Zochrot“ heißt auf Hebräisch: wir erinnern uns und möchte eine selbstkritische Erinnerung an die Vertreibung der Palästinenser 1948/49 als Wahrnehmung des I-P-Konfliktes erwecken und zur Diskussion um die Möglichkeit der Rückkehr und der Flüchtlingsfrage vorantreiben. Karten, Dokumente, Fotos werden für hebräisch-sprachige Menschen aufbereitet. Die Frauen bestätigen, dass dieses Thema in der israelischen Gesellschaft vermieden werde, aber dennoch kämen Lehrer mit ihren Schulklassen in dieses Büro. Mit Künstlern werden z.B. Aktionen in den ehemaligen Dörfern gemacht, um den Gedanken der Rückkehr der ehemaligen Besitzer und des Zusammenlebens möglich zu machen. Unterstützung durch medico und andere Spender, 6 Mitarbeiter und 6 Freiwillige.

In Beit Sahour, einer palästinensischen Stadt mit viel Erfahrung in der politischen, auch tätlichen Auseinandersetzung mit Israel besuchten wir die YMCA-Niederlassung, die sich der Hilfe für traumatisierte Jugendliche verschrieben hat.

Unser Gesprächspartner berichtet über die Auseinandersetzungen seit der ersten Intifada mit Steine werfenden, zornigen Jugendlichen und israelischen Soldaten, die den Befehl hatten, nur im Notfall zu schießen. Sie schossen dann überwiegend in Füße und Knie oder Hände. Daraus resultierten Behinderungen, mit denen die Familien allein zurechtkommen mussten. Die Arbeit des YMCA konzentrierte sich zunächst auf Reha-Arbeit und Familienberatung zur Integration der Behinderten, Beschulung und mögliche Berufsausbildung. Später wurden auch Menschen mit angeborenen Behinderungen in die Arbeit aufgenommen.  Nach Angaben des Gesprächspartners werden ca. 1.200 Jugendliche (ab 12 Jahren) aus der Westbank wegen Steinwürfen und Fahne verbrennen inhaftiert. In den Gefängnissen verbleiben sie für eine unklar lange Zeit unter ungünstiger, traumatisierender Behandlung. Um sozial-destruktiven Verhaltensstörungen entgegenzuwirken, werden sie psychotherapeutisch behandelt. Die „Councilers“ werden nach internationalen Standards ausgebildet. Die Arbeit werde ohne religiöse Beeinflussung der Jugendlichen gemacht. (siehe auch  auch unsere Blogs „Karussell aus Macht und Ohnmacht“ und „Tent of Nations“).

Wir konnten weitere Organisationen kennenlernen, z.B. die katholische Society of St. Yves, einen Vertreter der Rabbies for Human Rights, und Journalisten des Palestine Israel Journals. Viele Organisationen bemühen sich, die Folgen der Konflikte zu bearbeiten, Menschenrechte auch für Palästinenser zu erkämpfen und die ungleichen Bedingungen der beiden Völker im „gelobten Land“ für die ganze Welt kenntlich zu machen.

WAS MUSS NOCH GESCHEHEN, DAMIT EINE POSITIVE POLITISCHE REAKTION ERFOLGT?

Dr. Ursula Haun-Jünger

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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