4.-6. November 2011 in Dresden

IPPNW-Studierendentreffen 2011 in Dresden

"Mensch, Arzt!"

Rund 90 Medizinstudierende aus ganz Deutschland trafen sich vom 4. bis 6. November 2011 im Medizinisch-Technischen Zentrum des Uniklinikums Dresdens zum IPPNW Studierendentreffen, um sich mit aktuellen Themen zu beschäftigen und über eigene Initiativen in Deutschland austauschen zu können. Acht Monate liegt die Reaktorkatastophe in Fukushima zurück und scheint schon jetzt das Interesse der tagesaktuellen Berichterstattung verloren zu haben. Gleichzeitig werden die gravierenden gesundheitlichen Langzeitfolgen für die Menschen der Regionen immer absehbarer.

Der Nahe und Mittlere Osten sowie Nordafrika sind nicht zuletzt durch einen drohenden Militärschlag Israels gegen den Iran, den Libyenkrieg und die arabischen Revolutionen destabilisiert und durch wartende traumatisierte Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen gezeichnet.

Neben diesen und anderen aktuellen Themen bat das Studierendentreffen auch Gelegenheit sich über eigene Initiativen in Deutschland auszutauschen. Verschiedene IPPNW Hochschulgruppen stellten ihre aktuellen Projekte: Medical Peace Work als neues Wahlfach im Medizinstudium, Lunchvortäge zu friedenspolitischen Themen und Engagement in einem Medinetz, das an papierlosen Menschen in Deutschland medizinische Hilfe vermittelt. Dr. Sebastian Pflugbeil, Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz e.V., sprach zum Thema der gesundheitlichen Folgen der Strahlenexposition am Beispiel von Tschernobyl und rückte dabei die Nicht-Krebserkrankungen und die zu erwartenden gewaltigen gesundheitlichen Folgen für die Menschen in der Region um Fukushima in den Fokus des Workshops. IPPNW Vorstandsmitglied Christoph Krämer stellte die zivilgesellschaftliche Initiative KSZMNO, Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten, vor, die ein neuer Ansatz werden soll, einen länderübergreifenden Dialog für Sicherheit und Frieden in der Region zu ermöglichen. Katrin de Boer von der Philipps-Universität Marburg hielt einen Workshop zur EU-Grenzschutzagentur Frontex und der Online-Petition Keine Grenzen für Menschenrechte mit ihren Einwänden gegen die aktuelle sicherheitspolitische Gestaltung der Migrations- und Flüchtlingspolitik. Weitere Referenten sprachen zu den Themen Uranabbau, Sterbehilfe, Medikamentenzugang global und die mediale Einflussnahme der Pharmaindustrie.

Der Hauptvortrag von Dr. phil. Dipl.-Phys. Sabine Müller von der Charité Berlin beschäftigte sich mit der medizinethischen Debatte um Hirntod. Moderiert wurde die anschließende Diskussion von Ulrich Braun, Medizinethiker am Uniklinkum Dresden. Schon beim letzten Studierendentreffen in Jena hatte das Thema für eine erhitzte Diskussion gesorgt, weshalb wir uns im Organisationsteam entschieden es erneut aufzugreifen. Auch dieses Mal setzten sich die Gespräche unter den Teilnehmern bis in den späten Abend fort, denn in Sabine Müller fanden wir eine kompetente Referentin, die uns verschiedene in der Debatte vertretene Todesdefinitionen, die weltweit existierende unterschiedlichen Rechtslagen um Organtransplantation und Hirntod und zahlreiche Studien und Fallbeispiele transparent darlegte. Auch von IPPNW Vorstandsmitglied Christoph Krämer kam großes Lob für Sabine Müllers Vortrag.

Wie zuverlässig ist eine Hirntoddiagnostik überhaupt und welche Aussagen über den betreffenden Patienten lässt sie zu? Nach einem vom US-amerikanischen President's Council on Bioethics 2008 veröffentlichen Paper ist das Gehirn nicht für eine somatische Integration eines hirntoten Patienten notwendig. Das organisierte Zusammenspiel der Körperfunktionen ist in diesem Sinne als nicht gestört; hirntote Patienten haben einen funktionierenden Stoffwechsel, sie scheiden Exkremente aus und produzieren Harn. Schwangere Frauen können ihr Kind trotz Hirntod austragen und hirntote Kinder wachsen weiterhin. Außerdem stellt der President's Council fest, dass es keinen zeitlichen und kausalen Zusammenhang zwischen Hirntod und Organismustod gibt. Welche Konsequenzen ziehen wir aus diesem Wissen? Welche Forderungen nach einer Überarbeitung des deutschen Transplantationsgesetzes lassen sich stellen? Würde es uns ausreichen mehr apparative Diagnostik zu verlangen und den Körper der hirntoten Patienten während der Explantationsoperation immer unter Vollnarkose zu wissen? Könnte man das japanische Modell, in dem eine Wahl bei der persönlichen Todestheorie zwischen Organismustod und Hirntod besteht, in Deutschland einführen?

Kampagnen für Organspende suggerieren uns, dass jeder kranke Mensch ein Recht auf Organe anderer Menschen nach deren Hirntod hat, dass die Spende die letzte gute Tat im Leben eines Menschen ist. Dieses Bild wird auch den Angehörigen der hirntoten PatientInnen vermittelt, die häufig den mutmaßlichen Willen desselben äußern sollen. Eine Teilnehmerin des Studierendentreffens bemerkt, es sei ist nicht der Akt der Verweigerung einer Organspende, der einem kranken Menschen das Leben nimmt, kranke Menschen sterben, weil sie krank sind.

12000 Menschen warten in Deutschland auf Spenderorgane. Angesichts der Zunahme der Zivilisationskrankheiten werden sich diese Zahlen sicher nicht verringern. Eine Neudefinition des juristischen Todeszeitpunkts in Deutschland hin zum Organismustod würde zum Beispiel die Transplantation von Herzen unmöglich machen. Die Weiterentwicklung von vollimplantierbaren Kunstherzen und Tissue Engineering könnten den Organbedarf vielleicht in naher Zukunft besser abdecken, sodass auch eine Gesetzesänderung mit einer Verankeurng der Organismustoddefinition von Befürwortern der Organspender angenommen werden könnte. Gleichzeitig könnte eine verstärkte Gesundheitsprävention dem Organversagen entgegenwirken.

Abschluss des Studierendentreffens bildeten eine Demonstration durch die Dresdner Altstadt für einen sofortigen Atomausstieg und die Wahl der IPPNW Studierendenvertretung; die Dresdner Medizinstudentin Carlotta Conrad wurde zur neuen Studierendensprecherin gewählt.

Das Studierentreffen brachte eine Vielfalt von Anregungen, es warf Fragen auf und wies mit einer Deutlichkeit auf Problemfelder in Deutschland, aber auch in unserer globalisierten Welt hin. Es gilt Lösungen zu finden, in der Öffentlichkeit Bewusstsein zu schaffen und so ein Umdenken anzuregen – ein Prozess an dem wir als werdende MedizinerInnen auch eine Position beziehen und Verantwortung übernehmen müssen, um eine friedliche, atomtechnologiefreie und menschenwürdige Welt zu schaffen.

Gefördert wurde das Studierendentreffen durch die Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden e.V., den Fachschaftsrat Medizin / Zahnmedizin, den Marburger Bund und das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus.

Maria Held (Technische Universität Dresden, 3. Semester Humanmedizin)

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Ansprechpartner*innen

Anna Khouri
Anna Khouri
Studierendensprecherin
E-Mail: khouri[at]ippnw.de

Stella Ziegler, IPPNW-Studierendensprecherin
Stella Ziegler
Studierendensprecherin
E-Mail: ziegler[at]ippnw.de


Patrick Schukalla

Patrick Schukalla
IPPNW-Geschäftsstelle
Tel. 030-698074-0
E-Mail: schukalla[AT]ippnw.de

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