Im vergangenen Jahr hat eine Bundesregierung seit 1994 erstmals wieder ein Weißbuch vorgelegt. Das 176 Seiten starke Werk der großen Koalition untermauert erschreckend den Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer Interventionsarmee. Zu Friedens- und abrüstungspolitischen Perspektiven bietet das Weißbuch keine konkreten Anhaltspunkte.
Im Juli nahm die Bundeswehr die ersten Eurofighter in Dienst. Wenn alle Tornados ausgemustert und durch Eurofighter ersetzt sind, wird die technische nukleare Teilhabe beendet sein, denn atomwaffenfähig ist der neue Kampfjet nicht. Die Bundeswehr besitzt dann kein Trägersystem mehr, das Atomwaffen ins Ziel tragen kann. Das wird aber noch eine Weile dauern.
Um das Ende der technischen nuklearen Teilhabe ist mit dem Weißbuchentwurf in der großen Koalition ein Streit entbrannt, denn Verteidigungsminister Jung wollte auch in Zukunft die deutsche Teilhabe an den nuklearen Aufgaben der NATO einschließlich der Bereitstellung von Trägermitteln im Weißbuch festschreiben. Die SPD wollte das nicht. In diese Auseinandersetzung haben sich eine Reihe von Friedensgruppen eingemischt.
Die IPPNW startete eine Protestkartenaktion an Bundeskanzlerin Angela Merkel, denn die Bundesbürger wollen die Atomwaffen nicht! Jugendliche aus dem Umfeld der Pressehütte Mutlangen schrieben einen offenen Brief an alle Bundesminister und erhielten Unterstützung aus den verschiedensten Jugendorganisationen. Sie fragten: Wie wollen Sie in den nächsten Verhandlungen zum Atomwaffensperrvertrag rechtfertigen, dass die nukleare Teilhabe von Deutschland trotz des Abrüstungsgebotes fortgesetzt wird?.
Der gemeinsamen Erklärung von Peter Seyfried, Bürgermeister von Mutlangen (CDU) und Wolfgang Leidig, Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd (SPD) schlossen sich eine Reihe von anderen Mayors for Peace (Bürgermeister für den Frieden) an. Sie forderten die Bundestagsabgeordneten ihrer Wahlkreise auf, die Stationierung von Atomwaffen in Deutschland nicht länger zu dulden. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Barthle stellte im Anschluss an einen Besuch in der Pressehütte Mutlangen einen Alternativentwurf für die Atomwaffenfrage in der Union zur Diskussion, der forderte, dass im Sicherheitskonzept der NATO die Nuklearwaffen gemäß den völkerrechtlichen Verpflichtungen eine immer geringere Rolle spielen sollen.
Im Weißbuch, das dann im Oktober veröffentlicht wurde, hat die Koalition nun Kompromissformulierungen gefunden, die keine konkrete Festlegung bringen. Otfried Nassauer resümiert: Entschärft wurden alle Passagen, die zu Sprengsätzen für die Große Koalition hätten werden können. Im neuen Weißbuch wird nicht mehr gefordert, dass die Nukleare Teilhabe in der NATO auf Dauer beibehalten wird wie die CDU es wollte. Die SPD-Forderung, festzuhalten, dass die Nukleare Teilhabe ausläuft, fehlt natürlich ebenfalls. Geschildert wird der Ist-Zustand: Es gibt sie.
Aus den Analysen werden die falschen oder keine Schlüsse gezogen. Dass die Energiefragen künftig für die globale Sicherheit eine immer wichtigere Rolle spielen werden, führt nicht zur Forderung nach einer anderen Energiepolitik, sondern zum Umbau der Bundeswehr zur Interventionsfähigkeit. Dass in der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen die größte Bedrohung für die globale Sicherheit gesehen wird, führt nicht zur Forderung für ein Ende der zivilen Nutzung der Atomenergie.
Wer nicht will, dass die steigende Importabhängigkeit Deutschlands und Europas von fossilen Energieträgern zu weiteren Kriegen um die Energieversorgungssicherheit führt, muss für eine dezentrale Versorgung durch erneuerbare Energien eintreten. Wer nicht will, dass Atomwaffen weiterverbreitet oder in die Hände von Terroristen fallen, muss sie abschaffen. Wer nicht will, dass Atomkraftwerke Ziele für Terroristen darstellen, muss sie abschalten. Diese Konsequenzen werden im Weißbuch nicht gezogen.
Das Donnern des Eurofighters symbolisiert das Spannungsfeld des Weißbuches. Einerseits die Auf- und Umrüstung der Bundswehr für weltweite Militäreinsätze, andererseits die Chancen auf nukleare Abrüstung. Soll das Pendel in Richtung Abrüstung ausschlagen, muss die Friedensbewegung sich deutlich und vernehmbar artikulieren.
Die Gelegenheit ist günstig, denn alle Oppositionsparteien haben den Abzug der Atomwaffen gefordert. So stellte bereits in der letzten Legislaturperiode die FDP den Antrag Glaubwürdigkeit des nuklearen Nichtverbreitungsregimes stärken US-Nuklearwaffen aus Deutschland abziehen. Im neuen Bundestag preschte die Linksfraktion vor mit einer kleinen Anfrage und einem Antrag zum Abzug der Atomwaffen aus Deutschland. Die Grünen legten im März nach mit dem Antrag Abrüstung der taktischen Atomwaffen vorantreiben US-Atomwaffen aus Deutschland und Europa vollständig abziehen.
Außenminister Steinmeier will 2007 während der EU- und G8-Präsidentschaft Deutschlands die Atomwaffenfrage auf die Tagesordnung setzten. Doch die Forderung Atomwaffen abzurüsten richtet sich allgemein an die Atommächte, in Deutschland anfangen, das will er offensichtlich noch nicht. An die Forderung nach Abzug der Atomwaffen traut sich die Bundesregierung nicht heran. Man will weiter in der nuklearen Planungsgruppe mitarbeiten und es besteht auch das Interesse, dass die Amerikaner in Deutschland stationiert bleiben. Deshalb ist es schwierig, sie aufzufordern ihre Atomwaffen abzuziehen erklärt Rainer Arnold, der sicherheitspolitische Sprecher der SPD.
Doch im November verabschiedete der Bundestag zum NATO-Gipfel in Riga einen Antrag, der die Bundesregierung auffordert, sich dafür einzusetzen, dass neue Initiativen zur Rüstungskontrolle ergriffen werden, um der Proliferation von Massenvernichtungswaffen wirksam vorzubeugen. In diesem Zusammenhang wären neue Impulse zur Reduzierung substrategischer Nuklearwaffen in Europa seitens der NATO sinnvoll. Dies würde auch einen wichtigen Impuls zur Stärkung des internationalen Nichtverbreitungsregimes geben." In der Abschlusserklärung findet sich aber dazu kein Wort.
Die Politik zu den Atomwaffen ist national wie international von Widersprüchen geprägt. So ist auch das Weißbuch ein Dokument der Widersprüche und der vermiedenen inhaltlichen Auseinandersetzung. Das Weißbuch ist geschrieben, die politische Diskussion vertagt.
Wenn der Verteidigungsminister weiterhin deutsche Atombomber will, dann hätte dies nicht nur in seinem Entwurf für das Weißbuch, sondern auch in den Beschaffungsplänen für die Bundeswehr schon seinen Niederschlag finden müssen. Dies ist glücklicherweise bisher nicht der Fall. Das Donnern der ersten Eurofighter ist beileibe kein Abrüstungsschritt und keine Friedensmelodie. Es könnte aber zum Auftakt für ein atomwaffenfreies Deutschland werden.
Wolfgang Schlupp-Hauck
Kasten:
Weißbuch der Bundeswehr
Aus dem Entwurf des Verteidigungsministers: Unbegrenzte Fortsetzung der nuklearen Teilhabe
Das gemeinsame Bekenntnis der Bündnispartner zur Kriegsverhinderung, die glaubwürdige Demonstration der Bündnissolidarität und das nukleare Streitkräftepotenzial erfordern auch in Zukunft deutsche Teilhabe an den nuklearen Aufgaben. Dazu gehören die Stationierung von verbündeten Nuklearstreitkräften auf deutschem Boden, die Beteiligung an Konsultationen, Planung sowie die Bereitstellung von Trägermitteln.
Aus der verabschiedeten Endfassung der Bundesregierung: Einem Bekenntnis zur Abrüstung steht das fortgesetzte Bekenntnis zu den Atomwaffen gegenüber.
Im Bündnis hat eine Debatte über die Rolle der Abschreckung im Sicherheitsumfeld des 21. Jahrhunderts begonnen, deren Ergebnisse zu gegebenem Zeitpunkt in ein neues strategisches Konzept der NATO einfließen werden. Für die überschaubare Zukunft wird eine glaubhafte Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses neben konventioneller weiterhin auch nuklearer Mittel bedürfen. Der grundlegende Zweck der nuklearen Streitkräfte der Bündnispartner ist politischer Art: Wahrung des Friedens, Verhinderung von Zwang und jeder Art von Krieg. Das gemeinsame Bekenntnis der Bündnispartner zur Kriegsverhinderung und die glaubwürdige Demonstration von Bündnissolidarität und fairer Lastenteilung erfordern es, dass Deutschland bei der nuklearen Teilhabe einen seiner Rolle im Bündnis und der im Strategischen Konzept von 1999 vereinbarten Grundsätze entsprechenden Beitrag leistet.
Gleichzeitig hält die Bundesregierung an dem Ziel der weltweiten Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen fest, auf die Deutschland völkerrechtlich verbindlich verzichtet hat. Die Mitgliedstaaten der NATO haben seit Anfang der 90er Jahre die Anzahl der substrategischen Nuklearwaffen in Europa um mehr als 85 Prozent reduziert. Sie werden auf einem Mindestniveau gehalten, das zur Wahrung von Frieden und Stabilität ausreicht. (S.33)
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