Aus dem IPPNW-Forum 87/88

Hilfstransporte, Delegationen, Behandlung

13 Jahre "IPPNW-Kinderhilfe Irak"

Im August 1990 überfiel der trotz Giftgaseinsatzes im letzten Krieg weiterhin mit den USA befreundete Saddam Hussein das Ölscheichtum Kuweit, um durch erhöhten Ölverkauf die riesigen Kriegsschulden tilgen zu können. Die Erwartung US-amerikanischer Akzeptanz erfüllte sich nicht. Saddam Hussein hatte sich getäuscht - oder täuschen lassen - und wurde ultimativ von den UN zum Rückzug aufgefordert. Arabischer Stolz und Größenwahn des irakischen Präsidenten lehnten ab. Sofortiges totales Embargo war die Folge.

Da der zuvor reich gewesene Irak zu fast 100% aller Medikamente und Hospitalbedarfs im Ausland gekauft hatte, und nun die Lieferungen schlagartig sistierten, trat sofort eine große Not im Gesundheitswesen ein, und wieder waren es die Kinder, die zuerst und am schlimmsten zu leiden hatten.

Eine Abordnung des internationalen IPPNW-Direktoriums, unter Leitung des Co-Präsidenten Prof. Bernard Lown, versuchte im Dezember 1990, also einen Monat vor Ausbruch des 2. Golfkriegs, zur Vernunft zu mahnen - vergeblich. In unseren Gesprächen mit dem Präsidenten des Roten Halbmonds und den Chefärzten des Universitäts-Klinikums erfuhren wir, dass nur 3 Monate Embargo ausgereicht hatten, um eine große Zahl von Kindern sterben zu lassen: Dazu zählten vor allem die insulinpflichtigen Diabetiker und die fieberhaften Infekte, da Insuline und Antibiotika fehlten.

Im Januar 1991 begannen die USA den gegen die Genfer Konventionen verstoßenden Bomben- und Raketenkrieg, mit den bekannten massiven Zerstörungen der Elektrizitäts-, Wasser- und Wasserreinigungswerke, fast aller Fabrikationsgebäude und der gesamten Infrastruktur. Davon konnten wir uns mit eigenen Augen überzeugen, als wir wenige Wochen nach Kriegsende wieder in den Irak reisten.

Bei meinen Besuchen in den Kliniken und dem Büro der WHO erfuhr ich von dem massenhaften Sterben der Kleinkinder durch Unterernährung, fehlende Milch und Babynahrung, Cholera, Typhus, Brechdurchfall und weitere durch die Wasserverunreinigung verursachten Erkrankungen. Den Kliniken fehlten Infusionslösungen, Spritzen und Kanülen, Antibiotika, Elektrolyte etc. Eine Masernepidemie brach aus (Impfungen hatten nicht mehr stattfinden können) mit einer Letalität von 30%.

Im gleichen Jahr 1991 gründeten wir die "IPPNW-Kinderhilfe Irak" und fuhren schon im Mai 1991 mit einem großen Hilfstransport in den Irak. Wir verteilten Milchpulver, Babynahrung, Infusionen, Antibiotika, Hospitalbedarf, Desinfizientien u.a. in den Kliniken Bagdads, sowie Nord- (Mossul, Arbil ), Zentral- und Südiraks (Basrah u.a.). Die notwendigen Geld- und Sachspenden hatten wir von dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche, der Stadt Frankfurt, der Pharmaindustrie und Privatpersonen erhalten. Wir berichteten von unseren Erfahrungen in Zeitungen, Radio- und Fernsehinterviews und vielen Vorträgen. Durch die große Hilfsbereitschaft aus der IPPNW, der Ärzteschaft und Bevölkerung konnten wir bis 1995 weitere große Hilfstransporte, z.T. mit bis zu 5 LKW-Transportern, in den Irak begleiten, mit einem Warenwert von insgesamt fast 2 Millionen DM.

1996/97 trat das "Öl für Nahrungsmittelprogramm" der UN in Funktion, woraufhin die Versorgungs- und Gesundheitslage sich geringfügig besserte. Die Sterblichkeit der Kleinkinder unter 5 Jahren, die bisher etwa 5.000 pro Monat infolge des Embargos betragen hatte, nahm nun ab, aber nach wie vor fehlten in den Kliniken viele benötigte Medikamente, insbesondere gegen Leukämie- und Krebserkrankungen, Infektionskrankheiten, Kala Azar u.a. Jegliche moderne Diagnostik war nahezu ausgeschlossen, weil infolge der von den USA durchgesetzten "dual-use"- Bestimmungen die meisten technischen Apparate von der Lieferung in den Irak ausgeschlossen wurden.
Bis Ende des Jahres 2001 waren laut Veröffentlichung von WHO und UNICEF embargobedingt 674.780 Kleinkinder und 954.859 größere Kinder und Erwachsene embargobedingt gestorben.

Im Mai 2003, also etwa sechs Wochen nach Präsident Bushs gemeldetem "Sieg", fuhren wir (Dr. Angelika Claussen, Dr. Khannak Zuheir und ich) wieder nach Bagdad (ich nun schon zum 9. Mal), um Medikamente in den besonders notleidenden Nordosten Bagdads zu bringen, wo die deutsche humanitäre Organisation "apn" (Architekten für Menschen in Not) Ambulanzen einrichtete und Kinder und Mütter gratis durch irakische Ärzte untersuchen und behandeln ließ. Außerdem wollten wir die befreundeten irakischen Arztfamilien und mehrere Kliniken aufsuchen, um unser Mitgefühl und Solidarität zu beweisen und aus eigener Anschauung sowie von den Kliniksärzten direkt Auskunft über die Versorgungslage zu erhalten.

Über unsere Erfahrungen haben wir in den Medien, im FORUM sowie in vielen Vorträgen berichtet. Nur so viel sei hier wiederholt: Nach Aufhebung des Embargos haben nicht die Besatzungsmächte, sondern zahlreiche NGOs sowohl aus westlichen Ländern, als auch Organisationen aus Saudi Arabien und den Emiraten großzügig Medikamenten-Hilfe geliefert, sodass die Versorgungslage deutlich verbessert wurde. Dennoch aber bestanden und bestehen weiterhin immer wieder Engpässe sowohl bei einfachen Medikamenten und Artikeln, als auch besonders bei speziellen Medikamenten, wie z.B. zur Behandlung von Leukämien und anderen Krebserkrankungen.

Unsere "Kinderhilfe Irak" konnte das Kinderkrankenhaus Al-Mansour mit acht Medikamentenkühlschränken, mit einer Gefriertruhe, einer Klimaanlage, drei Neugeboreneninkubatoren, zehntausend Bluttransfusionsbeuteln und - bestecken sowie zehntausend Injektionsspritzen versorgen, und für die Onkologie des Mutter-Kind-Krankenhauses in Basrah ein Blutkörperchenzählgerät stiften. Wir konnten ferner Bagdader Einrichtungen für geistig behinderte Kinder finanziell unterstützen.

Von unserem Spendenkonto haben wir einen hohen Betrag unserer IPPNW-Schwesterorganisation "Children of Baghdad" zum Aufbau eines Psychotherapiezentrums für die zahllosen seelisch traumatisierten Kinder zur Verfügung gestellt. Unter der fachlichen Betreuung von Prof. Riedesser (Direktor der Hamburger Universitätsklinik für Kinder-und Jugend-Psychiatrie und Psychotherapie) werden jüngere irakische Psychiater in Hamburg ausgebildet werden, um dann in Bagdad die Therapie zu übernehmen.

Unsere soeben erfolgreich beendete große Aktion der "Kinderhilfe Irak" war die Klinikaufnahme von elf irakischen Kindern und Jugendlichen in Mannheim, Ludwigshafen und München. Mit Hilfe von deutsch-irakischen Kollegen konnten die Patienten (zwei Pulmonalstenosen, zwei Vorhofseptumdefekte, eine Fallotsche Tetralogie), zwei starke Verbrennungen mit dicken Narbenbildungen, zwei Urogenitalmissbildungen, ein Junge mit Osteomen (Ausschluss eines Sarkoms) sowie eine Colitis ulcerosa zur Behandlung nach Deutschland gebracht werden. Eine aufopferungsvolle IPPNW- und Unterstützergruppe in Mannheim (Leitung Kinderarzt Dr. Ulrich Schäfer) betreuten die Patienten und begleitenden Väter oder Mütter, in München der IPPNW-Facharzt Dr. Folke Hess mit Kollegen. Alle Rechnungen bezahlen wir aus unserem Spendenkonto und sind den vielen Spendern aus der deutschen Bevölkerung von Herzen dankbar, sowie den Operateuren, Klinikärzten und Verwaltungen, die auf Liquidationen verzichteten, z.T. sogar auf die Tagessätze.

Diese Aktivitäten unserer "IPPNW-Kinderhilfe Irak" haben nicht nur bei den Kindern und betroffenen Familien große Dankbarkeit ausgelöst, sondern auch in den Großfamilien, bei den Scheichs, den irakischen Behörden und der Bevölkerung in den irakischen Orten. Neben unserer ärztlich-humanitären Unterstützung leisten wir damit auch Friedens- und Versöhnungsarbeit, die nicht gering zu schätzen ist. Daher wollen wir weitermachen.

Unser Spendenkonto: IPPNW, Stadtsparkasse Gaggenau, BLZ 66551290, Kto Nr. 50264639. Verwendungszweck: Kinderhilfe Irak.

Prof. Dr. Ulrich Gottstein

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Ansprechpartnerin

Angelika Wilmen

Angelika Wilmen
Referentin für Friedenspolitik
Tel. 030 / 698074 - 13
Email: wilmen[at]ippnw.de

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