Krieg in der Ukraine, und die deutsche Öffentlichkeit

Beitrag von Matthias Jochheim bei der Berliner Antikriegskonferenz (03.-05.10.2014)


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Nach den Jugoslawienkriegen ist die Ukrainekrise seit dem 2.Weltkrieg der zweite Großkonflikt in Europa, der mit militärischen Mitteln ausgetragen wird und in den überregionale, nuklear bewaffnete Mächte involviert sind.
Es wird von einer Rückkehr in den „Kalten Krieg“ gesprochen, also einer hochgerüsteten Blockkonfrontation. 

Ich will zunächst einen Abriss der Entwicklung dieser Krise geben, und Absichten und Motive der beteiligten externen Akteure skizzieren.
Dann will ich auf das mediale Echo der Vorgänge in Deutschland und die Resonanz in politisch wachen Teilen der deutschen Öffentlichkeit eingehen.
In der Diskussion würde ich gerne mit Ihnen und Euch unsere zivilgesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten erörtern, und freue mich, dass wir bei weiteren Vorträgen zum Thema die Debatte vertiefen können.

A - Chronik der laufenden Ereignisse
Ausgangspunkt des aktuellen Ukrainekonflikts ist die schwere ökonomische Krise des Landes, die bereits zu einer erheblichen Auswanderung und entsprechendem Bevölkerungsrückgang geführt hat. Die rabiate private Aneignung der vormals staatlichen Produktionsmittel durch die sogenannten „Oligarchen“ haben offenbar zumindest im industriellen Sektor eher Stagnation und Rückschritt bewirkt, außerdem eine allseits beklagte ausgeprägte Korruption. Ein an natürlichen Ressourcen reiches Land ist so im europäischen Vergleich weit zurückgefallen, auch deutlich hinter Russland. Die öffentlichen Finanzen weisen eine desolate Verschuldungsquote auf, der ukrainische Staat ist ohne massive Subventionierung von außen schlicht pleite.
Die Regierung Janukowitsch suchte in dieser Situation verzweifelt nach Rettung durch externe Mächte. Bei der Wahl zwischen Hilfen der EU, die dafür aber die bekannt rabiaten wirtschaftlichen Einschnitte á la Spanien und Griechenland verlangte, und dem russischen Angebot eines signifikanten Rabatts auf die Energiekosten für russisches Gas entschied sich der 2010 durch international anerkannten Wahlen ins Amt gelangte Präsident Janukowitsch für die russische Option, und die Ablehnung des bereits in wesentlichen Teilen ausgehandelten Assoziierungsvertrags mit der EU.
Dies führte zu heftigen Unruhen in den westlichen Landesteilen und Kiew, bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen; die EU-Regierungen, allen voran Außenminister Steinmeier, mischten sich massiv in diese ukrainische Krise ein, am 21.2.14 wurde dann unter deren Mitwirkung ein Abkommen über eine politische Öffnung der ukrainischen Regierung und vorgezogene Präsidentschaftswahlen im Herbst 2014 geschlossen.   Bereits einen Tag später aber, am 22.2., eskalierten die Straßenkämpfe in Kiew hin zu massiven Schusswechseln mit mehr als 50 Todesopfern, Janukowitsch wurde in einem mit der Verfassung nicht kompatiblen Verfahren abgewählt und musste fluchtartig Kiew verlassen. Die Verantwortung für die Schüsse auf dem Maidan wurde nicht untersucht, der neu installierte Generalstaatsanwalt, ein Mitglied der faschistischen Svoboda-Partei, sah hierzu offenbar keinen Anlass.
Die auf diese Weise putschartig installierte neue Regierung unter Ministerpräsident Arseni Yatsenyuk, einem ausgewiesenen Lobbyisten von NATO und Westmächten, wurde umgehend in die Regierungsrunde der europäischen Union, den „Europäischen Rat“ eingeladen, und als neues Assoziierungsmitglied warm begrüßt.
In der Ukraine führte der Putsch zur Wiederbelebung einer schon lange virulenten Spaltung des Landes, mit Konfrontation der westukrainischen Bevölkerung einerseits, der zum großen Teil russischsprachigen Menschen in den östlichen und südlichen Landesteilen auf der anderen Seite. Am 2.Mai fand in Odessa ein veritables Massaker an regimekritischen Demonstranten statt, die vor der Gewalt des faschistischen „Rechten Sektors“ in das dortige Gewerkschaftshaus geflohen waren, welches dann von den Angreifern in Brand gesteckt wurde. Verletzte Überlebende wurden nach Aussage von Zeugen nach dem Sprung aus dem brennenden Gebäude durch die wartenden Schläger zu Tode gebracht. Mindestens 47 Menschen starben, Schätzungen sprechen von bis zu hundert Todesopfern. Eine staatliche Untersuchung über die Verantwortung für diese Taten: erneut bis heute Fehlanzeige.
Im Donbass, Bergbau- und Industrieregion des Landes, entwickelte sich ein heftiger, mit schweren Waffen ausgetragener Bürgerkrieg, der bis August nach UN-Angaben bereits mehr als 2000 Todesopfer unter der Zivilbevölkerung gefordert hat. Auf Seiten Kiews sollen 400 Söldner des US-Unternehmens „Academi“ - früher „Blackwater“ - beteiligt sein. Die regulären ukrainischen Truppen werden außerdem von faschistischen Freiwilligenverbänden unterstützt, unter anderem das Bataillons „Asow“. Auf Seiten der Aufständischen sollen auch Freiwillige aus Russland mitkämpfen.
 Strom- und Wasserversorgung in den Großstädten Lugansk und Donezk sind unterbrochen, die Ernährungssituation ist prekär. Hunderttausende sind auf der Flucht.  
Parallel fanden im September unter Mitwirkung ukrainischer Flottenverbände NATO-Marinemanöver im Schwarzen Meer statt. Für diesen Herbst ist in der Ukraine ein gemeinsames Manöver der ukrainischen Armee mit US-Truppen vorgesehen, die Bundeswehr wird mit einem eher symbolischen Kontingent teilnehmen.
Die für Oktober vorgesehenen Parlamentswahlen werden von der „Partei der Regionen“ angesichts der Bedrohung von Kandidatinnen und Kandidaten boykottiert; gegen die kommunistische Partei läuft ein Verbotsverfahren. Tätliche Angriffe auf Abgeordnete und Journalisten sind an der Tagesordnung.
Die ökonomische Lage wird gleichzeitig immer desolater: Russland stellte wegen unbezahlter Gas-Rechnungen in Milliardenhöhe seine Lieferungen ein. Nun sollen mitteleuropäische EU-Länder per Rücktransport einspringen.
Der Weltwährungsfonds hat einen Milliardenkredit zugesagt, der an gravierende Einschnitte in die ukrainische Ökonomie geknüpft ist: Beispiele: der Mindest-Stundenlohn muss bei 45 Cent eingefroren werden- Erhöhung der Gas-Preise für die Verbraucher –Freigabe des Finanzmarktes. Voraussehbar wird die örtliche Schwerindustrie durch die EU-Anbindung ökonomisch erheblich verlieren.

Zum Verständnis der aktuellen Lage muss man sich mit dem Historischen Hintergrund befassen, mit der Spaltung zwischen West- und Ost-Ukraine, der Vorherrschaft Österreich-Ungarns auf der einen, Russlands auf der anderen Seite; mit dem Sprachenstreit: 40% der Bevölkerung sprechen nicht ukrainisch, sondern russisch. Wichtig ist die Rolle ukrainischer Nationalisten und Faschisten im zweiten Weltkrieg unter Stephan Bandera, die sich an Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung massiv beteiligt haben und heute wieder zu ideologischen Vorbildern geworden sind.  Die an der Regierung beteiligte Svoboda-Partei installierte ein “Joseph-Goebbels-Forschungszentrum für Politik”, umbenannt dann in Ernst-Jünger-Zentrum, was auch keine wirkliche ideologische Umkehr bedeutet.*
Welche imperialen Strategien wirken in der Ukraine, und was ist die Rolle Deutschlands?
Die deutsche Außenpolitik, aktuell vertreten vom Sozialdemokraten Steinmeier, weist gespenstische Kontinuitäten auf: von der Spaltung Jugoslawiens, dem Krieg gegen Serbien bis hin zum Bündnis mit ukrainischen Faschisten. Deutschland geriert sich als westeuropäische Vormacht in Osteuropa. Aber es gibt auch enge ökonomische Verbindungen mit Russland, für die zum Beispiel der Siemens-Vorstandschef ebenso Zeugnis ablegt, wie Ex-Kanzler Schröder.
       Eindeutiger scheint die Position der westlichen Supermacht: die USA streben eine Konfrontation und Isolierung Russlands insbesondere von Westeuropa an, und betreiben mit ihren Sanktionsforderungen offensichtlich eine Rückkehr in den Kalten Krieg. Sie fürchten (mit ihrem Vordenker Zbigniew Brzezinski) einen eng kooperierenden eurasischen Wirtschaftsraum, der die USA in ihrer globalen Macht weiter reduzieren würde. „Divide et impera“, teile und herrsche ist seit Julius Caesar ein probates Mittel der Herrschaftssicherung. Der globale sogenannte „Krieg gegen den Terror“ ist ein äußerst destruktives Instrument dieser Strategien.
Aber auch in den USA gibt es andere, an humaner Vernunft orientierte Stimmen, so der Politologe Mearsheimer, der in der renommierten Zeitschrift „Foreign Affairs“ die Wurzeln des internationalen Konflikts in der NATO-Osterweiterung sieht, und die Reaktionen der russischen Regierung als defensiv, nicht offensiv beschreibt.


B - Mediales Echo in Deutschland; Resonanz der Öffentlichkeit
Überwiegend unisono lasteten die deutschen Leit-Medien die Verantwortung für die Krise und Gewalteskalation in der Ukraine der russischen Regierung an, und verhöhnten differenzierte Stimmen als sogenannte „Putin-Versteher“. In den letzten Wochen ist aber eine geradezu verblüffende Entwicklung der öffentlichen Debatte eingetreten. Parallel zur Parole israelischer Friedensaktivisten - „Wir weigern uns Feinde zu sein“- nahmen relevante Teile der informierten Öffentlichkeit mit einer Flut von Briefen bzw. mails eine scharf kritische Haltung zu den Manipulationsversuchen in den Medien ein, die dann auch reagieren mussten: Stimmen wie die der früheren ARD-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz kamen zu Wort, die auf die militärischen Inhalte des geplanten Assoziierungsvertrags hinwies und das deutsche Fernsehen kritisierte; und scharfsinnige Kabarettisten in der ZDF-„Anstalt“, letztere in der Tradition des Hofnarren, der als einziger am Hof ungestraft die Wahrheit sagen darf.
      Ein erhellender Beitrag kam auch aus der politischen Wissenschaft: Uwe Krüger präsentierte seiner Dissertation:  „Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten - eine kritische Netzwerkanalyse“. Die Resultate sind so erhellend wie erschütternd. Hier nur ein einzelnes Beispiel:
 „bei vier Außenpolitik-Journalisten Stefan Kornelius (SZ), Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ), Michael Stürmer (WELT) und Josef Joffe (ZEIT) finden sich dichte Netzwerke im US- und Nato-affinen Elitenmilieu.“
Und auch in den Institutionen regt sich kritische Reflexion: der ARD-Programmbeirat hat, ein bisher einmaliger Akt, die Ukraine-Berichterstattung unter die Lupe genommen, und eine ausführliche, scharfe Stellungnahme verfasst, die die Mängel an journalistischer Analyse und die grobe Propaganda gegen Russland anprangert. Für mich ein ermutigendes Zeichen, dass es immer noch potentielle Bündnispartner auch in den offiziellen Strukturen gibt, wenn aktive BürgerInnen sich nicht einlullen lassen, sondern die Ereignisse wach verfolgen und sich mutig zu Wort melden – genau das, was diese Veranstaltung heute hier auch leisten will.
Darin liegt ein erster Schritt des Widerstands – umso wirkungsvoller, wenn engagierte Wissenschaftler wie Andreas Buro auch konkrete Vorschläge zu gewaltfreien Lösungen präsentieren, zum Beispiel für die Frage der Krim: dauerhafte Überlassung der Flottenbasis Sebastopol an Russland, und Wiederholung des Referendums der Krim-Bevölkerung über ihre staatliche Zugehörigkeit, diesmal unter Kontrolle der OSZE, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
     Nicht Handelskriege und Militäraktionen können die Sicherheit und die Zusammenarbeit in Europa bewahren, sondern nur die Abkehr vom gewaltsamen Machtkalkül.

Matthias Jochheim


Quellen:
Tageszeitung junge Welt seit 22./23.2.14, insbesondere Berichte des Korrespondenten Reinhard Lauterbach www.jungewelt.de
Mathias Bröckers/Paul Schreyer: Wir sind die Guten; Westend-Verlag Frankfurt Juli 2014 ISBN 978-3-86489-080-2
Uwe Krüger: Meinungsmacht
www.halem-verlag.de/2013/meinungsmacht-und-elite-journalismus/
ARD Programmbeirat zur Ukraine-Berichterstattung
www.heise.de/tp/artikel/42/42784/42784_1.pdf
Andreas Buro, Karl Grobe: Dossier VII- Der Ukrainekonflikt – Kooperation statt Konfrontation
www.koop-frieden.de/fileadmin/Dossiers/dossierVII_ukraine_15sept.pdf

* wurfbude.wordpress.com/2014/07/13/ukraine-swoboda-benennt-forschungszentrum-um-alles-andere-wie-gehabt/


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