Pressemitteilung vom 09. Juni 2023

Konsequenz aus Staudamm-Bruch in Ukraine: Internationale Schutzzone für AKW Saporischschja zwingend erforderlich

Umweltverbände fordern Ende von Atomgeschäften mit Rosatom - Bundesregierung und EU viel zu leichtsinnig im Atombereich

Die Friedensnobelpreisträgerorganisation IPPNW, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) sowie Anti-Atomkraft-Initiativen aus Niedersachsen und NRW fordern angesichts des dramatischen Staudamm-Bruchs in der Ukraine eine sofortige und entschiedene diplomatische Initiative der Bundesregierung und der EU zur Einrichtung einer internationalen und entmilitarisierten Schutzzone rund um das Atomkraftwerk Saporischschja unter Aufsicht der UNO. Die Verbände und Initiativen fürchten, dass das Auslaufen des zerstörten Dnipro-Staudamms auch zu einem dramatischen Verlust an Kühlwasser für das AKW führen kann. Zudem sind weitere Kämpfe oder Sabotageakte rund um das AKW jederzeit möglich. Die Zerstörung des Staudamms sorgt auch flussabwärts für eine enorme Umweltkatastrophe und für neues Leid.

"Die Lage rund um Saporischschja hat durch den zerstörten Staudamm eine neue Alarmstufe erreicht. Mit jedem Tag, den die Kämpfe andauern, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer nuklearen Katastrophe kommt. Wir fordern zusammen mit internationalen Reaktorexperten, dass Russland unter dem Schirm der UNO gemeinsam mit der Ukraine eine internationale Vereinbarung zum Schutz und zur Entmilitarisierung des AKW Saporischschja trifft – so wie es auch mitten im Krieg zum wegweisenden Getreideabkommen gekommen ist. Wichtigstes Ziel ist der Schutz des Reaktorkühlsystems, um eine drohende Kernschmelze zu verhindern, die ganz Europa betreffen würde. Der Vorfall zeigt erneut und in grausamer Weise, dass kein AKW unter Kriegsbedingungen sicher sein kann und jederzeit unvorhergesehene oder absichtlich herbeigeführte Unfälle zur Katastrophe führen können", erklärte die IPPNW-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen.

Zudem werfen die Verbände und Initiativen der Bundesregierung und der EU vor, in den letzten Jahren im Atombereich viel zu leichtsinnig agiert zu haben. Trotz des Ukraine-Kriegs werden vor allem auf Druck der französischen und ungarischen Regierung bis heute gemeinsame Projekte mit dem russischen Atomkonzern Rosatom vorangetrieben. Dazu zählen die Kooperation des französischen Atomkonzerns Framatome mit Russland zur Brennelementeherstellung im niedersächsischen Lingen sowie gemeinsam mit Siemens Energy zum Bau des von Rosatom projektierten AKW Paks in Ungarn. In der Ukraine ist Rosatom durch die Leitung des AKW Saporischschja direkt in die russische Besatzung eingebunden.

BUND-Vorsitzender Olaf Bandt erklärte: "Der dramatische Staudammbruch in der Ukraine zeigt abermals, dass es mit Atomkraftwerken keine Sicherheit geben kann. Auch die deutsche Bundesregierung muss die Gefahren, die von der Atomkraft ausgehen, weiter ernst nehmen und sich ihnen entgegenstellen – international und national. Sie darf sich nicht auf der Abschaltung der hiesigen AKW ausruhen, sondern muss gesetzlich dafür sorgen, dass auch alle Urananlagen in Deutschland umgehend abgeschaltet werden. Das nukleare System darf nicht weiter aus Deutschland befeuert werden."

Seit 2016 werden zudem vier der sechs Reaktorblöcke in Saporischschja mit angereichertem Uran des deutsch-niederländisch-britischen Uran-Anreicherers Urenco beliefert. Urenco betreibt auch im westfälischen Gronau eine Urananreicherungsanlage. Von Gronau wird regelmäßig Uran zur schwedischen Brennelementefabrik Västeras geliefert. Die aktuellsten Exportgenehmigungen des deutschen Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) stammen nach Angaben des Bundesumweltministeriums vom 15. und 30. November sowie 16. Dezember 2022. Entsprechende Transporte finden regelmäßig statt. Das angereicherte Uran von Urenco wird in Västeras vom US-Konzern Westinghouse zu Brennelementen verarbeitet und dann in die Ukraine exportiert.

Die Verbände und Initiativen haben diesen Uran-Deal schon 2016 scharf kritisiert, weil Saporischschja schon damals sehr nahe an der umkämpften Region im Donbass lag. Auch zwei Blöcke des AKW Süd-Ukraine werden von Urenco und Westinghouse beliefert. Sie liegen unweit der heutigen Kampfzone bei Cherson und damit eindeutig innerhalb der Reichweite russischer Raketen und Drohnen.

"Wir alle bezahlen heute einen enormen Preis für die unverantwortliche Naivität im Atomsektor. Warum wurde der Ukraine nicht beim Umstieg auf erneuerbare Energien geholfen? Warum wird an der Belieferung der AKW Saporischschja und Süd-Ukraine mit angereichertem Uran und Brennelementen aus der EU festgehalten, obwohl wir täglich mit der Gefahr eines neuen Super-GAUs konfrontiert werden? Warum bleibt Rosatom trotz seiner tiefen Verwicklung in die militärische Besetzung des AKW Saporischschja weiter ein "normaler" Handelspartner für die Bundesregierung, Frankreich und die EU? Wir brauchen endlich eine sicherheitsorientierte Kehrtwende – weg vom atomaren Irrweg," so Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen.


Weitere Informationen:

Exportliste des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) für Kernbrennstoffe: www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Nukleare_Sicherheit/ausfuhrgenehmigungen_brennelemente_bf.pdf


Kontakt:
Dr. Angelika Claußen (Vorstandsvorsitzende, IPPNW): Tel. 0172-5882786
Frederic Jage-Bowler, (Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, IPPNW): Tel. 030 / 69 80 74 15, Email: jage.bowler[at]ippnw.de
Juliane Dickel (Leiterin Atompolitik & Energiepolitik, BUND): 0176-31267936
Alexander Vent (Bündnis AgiEL): 0157-59690000
Matthias Eickhoff (Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen): 0176-64699023


Herausgeber:
IPPNW – Internationale Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkriegs / Ärzt*innen in sozialer Verantwortung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Bündnis AgiEL – Atomkraftgegner*innen im Emsland, Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen, Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, Elternverein Restrisiko Emsland, SOFA (Sofortiger Atomausstieg) Münster, Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU)

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Ansprechpartnerin

Angelika Wilmen

Angelika Wilmen
Referentin für Friedenspolitik
Tel. 030 / 698074 - 13
Email: wilmen[at]ippnw.de

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Ärzt*innen warnen vor dem Atomkrieg
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Das russische Außenministerium hat am 17. Dezember 2021 Vertragsentwürfe für gegenseitige Sicherheitsgarantien zwischen Russland und der NATO sowie zwischen Russland und den USA vorgelegt. Das Ostinstitut Wismar hat die russischen Vertragsentwürfe in einer inoffiziellen deutschen Übersetzung veröffentlich. Die Antwort der NATO an Russland wurde bisher nicht veröffentlicht.

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Reden von IPPNW-Mitgliedern*:

23.02.2024 Dr. Lars Pohlmeier, Berlin
10.04.2023 Ute Rippel-Lau, Hamburg
10.04.2023 Dr. Inga Blum, Hamburg
10.04.2023 Matthias Jochheim, Frankfurt
09.04.2023 Werner Strahl, Essen
08.04.2023 Ralf Urban, Wedel
08.04.2023 Odette Klepper, Düren
08.04.2023 Siegfried Lauinger, Kiel
08.04.2023 Angelika Claußen, Bielefeld
08.04.2023 Dr. Helmut Lohrer, Freudenstadt
01.10.2022 Ralph Urban, Hamburg
01.10.2022 Christoph Krämer, Berlin
01.10.2022 Matthias Jochheim, Frankfurt
01.10.2022 Dr. Helmut Lohrer, Stuttgart
18.04.2022 Dr. Elisabeth Heyn, Nürnberg
17.04.2022 Ernst-Ludwig Iskenius, Neuruppin
13.03.2022 Dr. Lars Pohlmeier, Berlin | Youtube
13.03.2022 Dr. Inga Blum
13.03.2022 Ralph Urban
04.03.2022 Dr. Sabine Farrouh, Offenbach
27.02.2022 Dr. Lars Pohlmeier, Berlin
26.02.2022 Ute Rippel-Lau, Hamburg

* Die Redebeiträge sind persönliche Texte der Redner*innen und spiegeln nicht unbedingt die Meinung der IPPNW bzw. des Vorstandes der IPPNW wider.

Fotos von der Kundgebung Atomkrieg verhindern in Hamburg

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