Taz, 16.04.2019

Frieden fängt im Inneren an

Kommentar vom IPPNW Vorsitzenden Dr. Alex Rosen zum Zustand der Friedensbewegung

Es ist wieder soweit: die Kirschbäume blühen, die Vögel zwitschern, der Frühling ist da. Und schon stehen auch schon wieder die alljährlichen Ostermärsche an. Zeit, sich mal wieder mit der Lage der „Friedensbewegung“ zu befassen, denken sich da viele. Die meisten Kommentare sind wenig schmeichelhaft: zu klein, zu alt, zu zerstritten, zu unprofessionell, zu naiv sei die Friedensbewegung. Die Welt versinkt in Krieg - und die Zahl der Ostermarschierer schrumpft. So wird jedes Jahr zu Ostern der Niedergang der Friedensbewegung heraufbeschworen.

Doch was ist das eigentlich – „die Friedensbewegung“? Ein Verein mit Mitgliedern in ganz Deutschland, einer Geschäftsstelle und vielen hauptamtlich Angestellten? Sicher nicht. Zu groß ist die Zahl der friedensbewegten Organisationen, zu unterschiedlich ihre Stukturen, Ziele und Arbeitsweisen. Und die meisten „Friedensbewegten“ sind oft in gar keinen Organisationen eingebunden, sondern setzen sich einfach ganz privat für Frieden und gegen Krieg ein. Carl Friedrich von Weizsäcker sagte 1967: “Friedfertig ist, wer Frieden um sich entstehen lassen kann. Das ist eine Kraft, eine der größten Kräfte des Menschen.“ Dem gegenüber setzte er jene, die von der „Krankheit Friedlosigkeit“ betroffen seien. Die „Friedensbewegung“ - das sind also Menschen, die um sich herum Frieden entstehen lassen.

Die Friedensbewegung auf die Teilnehmenden der Ostermärsche zu beschränken wird daher dem Einfluss friedensschaffender Kräfte in unserer Gesellschaft nicht gerecht wird. Der Trainer, der Geflüchteten einen Zugang zum Fußballverein öffnet, der Nachbar, der ganz alltägliche Integrationsarbeit leistet, die Menschen, die unter dem Motto #unteilbar letztes Jahr auf die Straße gingen, aber auch der Rechtsanwalt, die Beamtin, der Unternehmer, die Ärztin, der Lehrer oder die Politikerin, die sich in ihren Rollen und mit ihren Möglichkeiten für Sicherheit, Toleranz, Gesundheit, Bildung und Gerechtigkeit einsetzen – sie alle tragen dazu bei, den gesellschaftlichen Frieden zu erhalten und auszubauen. Sie lassen Frieden um sich entstehen – ganz konkret und ganz greifbar.

Dasselbe gilt für diejenige, die sich gegen die deutsche Rüstungsindustrie engagieren, ob in Kampagnen wie „Aktion Aufschrei“ oder nicht; und für jene, die einen Abzug der Atomwaffen aus Büchel fordern und sich für eine völkerrechtliche Ächtung von Atomwaffen einsetzen – ob in Kampagnen wie ICAN und atomwaffenfrei.jetzt oder ganz privat. Und es gilt auch für die vielen Menschen, die eine neue Entspannungspolitik und Dialogbereitschaft gegenüber Russland einfordern, die gegen deutsche Kriegseinsätze auf die Straße gehen, sich gegen einen stärkeren Einfluss der Bundeswehr in Schulen und Universitäten einsetzen und sich politisch für eine friedlichere Außenpolitik engagieren. Sie alle sind Friedensschaffer.

Und dann sind da ja noch die Organisationen, die ganz offiziell „Friedensarbeit“ leisten: über 30 Friedensdienste, der Zivile Friedensdienst und der Bund für Soziale Verteidigung. Sie betreiben wegweisende Projekte in Krisenregionen, bearbeiten gemeinsam mit den Betroffenen die Wurzeln von Konflikten, organisieren Versöhnunsprojekte und tragen dazu bei, dass Gewalt nicht erneut ausbricht, das Frieden entsteht und hält.

Das amorphe Wesen der Friedensbewegung macht es so schwer, pauschal über sie zu urteilen. Man sollte sie nicht daran bemessen, wie viele an einzelnen Demos teilnehmen, sondern wie die vielen Menschen und Organisationen es schaffen, auf allen möglichen Ebenen Politik, Gesellschaft und öffentlichen Diskurs zu beeinflussen und zu verändern. Wichtig ist auch, zu erkennen, dass die deutsche Friedensbewegung nur schwerlich Einfluss auf die Regierungen oder die Zivilgesellschaft anderer Ländern nehmen kann. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Es muss vielmehr darum gehen, vor der eigenen Haustüre zu kehren - Adressat ihrer Forderungen ist daher immer die deutsche Regierung, ihr Publikum die deutsche Öffentlichkeit.

Auf der Habenseite können die Friedensbewegten verbuchen, dass sich der gesellschaftliche Diskurs in den 20 Jahren seit dem Kosovokrieg deutlich von deutschen Kriegseinsätzen distanziert hat. Ob Afghanistan, Irak, Libyen oder aktuell Syrien – in der deutschen Bevölkerung finden sich für Einsätze der Bundeswehr nach mehr als 17 Jahren „Krieg gegen den Terror“ keine Mehrheiten mehr. Im Gegenteil – eine große Mehrheit der Deutschen fordert den Abzug aus Afghanistan und Syrien, möchte Rüstungsexporte in Krisenregionen vebieten und ist für eine Dialogbereitschaft gegenüber Russland. Dieser Wandel in der öffentlichen Meinung ist maßgeblich Erfolg der Aufklärungskampagnen der Friedensorganisationen.

Zivilgesellschaftliche Kampagnen stellen zudem immer wieder wenig beachtete Themen ins Rampenlicht, zeigen bessere Alternativen zum aktuellen politischen Handeln auf und fordern die Entscheidungsträger zum Handeln auf. Exemplarisch sei hier die Kampagne „Macht Frieden - Zivile Lösungen für Syrien“ zu erwähnen, die immer wieder konkrete Forderungen an die Bundesregierung erarbeitet und diese in den politischen Diskurs einbringt.

Der Einfluss auf die deutsche Außenpolitik bleibt dabei leider begrenzt. Zwar wurden Waffenexporte nach Saudi Arabien kurzfristig eingestellt und auch am Irak- und Libyenkrieg beteiligte sich die Bundeswehr nicht direkt, aber die Kriegseinsätze in Syrien und Afghanistan werden fortgesetzt. Und auch darüber hinaus sind noch zahlreiche Forderungen der Friedensbewegten unerfüllt, wie beispielsweise die Senkung des Rüstungsetats und die Aufstockung der Gelder für zivile Konfliktbearbeitung und Entwicklungszusammenarbeit.

Neben diesen außenpolitischen Themen sollte man auf keinen Fall übersehen, wie groß der Einfluss der Friedensbewegten innenpolitisch ist. Harz IV, Finanzkrise und AfD zum Trotz sind wir in den letzen 20 Jahren ein offeneres, toleranteres und friedlicheres Land geworden. PEGIDA, AfD und Co. sind ja Reaktionen – nicht nur auf die Folgen ungehemmter Globalisierung, sondern auch auf eine positive gesellschaftliche Entwicklung mit mehr Gleichberechtigung, Inklusion, Akzeptanz von Minderheiten und Willkommenskultur. Mehr als 85% der Deutschen haben bei der letzten Bundestagswahl gegen die kruden Thesen der AfD gestimmt und gegen den Versuch, auf dem Rücken gesellschaftlicher Minderheiten populistische Politik zu betreiben und sozial benachteiligte und Geflüchtete gegen einander auszuspielen. Nicht “PEGIDA“, sondern „Unteilbar“ war das Motto des letzten Jahres. Organiationen der Friedensbewegung und Millionen von Menschen, die durch ihr individuelles Engagement zum gesellschaftlichen Frieden beitragen leisten hier enorm wichtige Arbeit.

Nur eine Gesellschaft, die im Frieden mit sich selbst lebt, kann auch nach außen eine Friedenlogik vertreten, die die eigene Rolle an Konflikten kritisch reflektiert, auf kooperative Problemlösungen und Gewaltprävention setzt und Menschen- und Völkerrecht über die eigenen Interessen stellt. Gesellschaften, die unter Friedlosigkeit leiden, vertreten auch nach außen eine Sicherheitslogik, die von Feindbildern, Abschreckung, Eskalation und der Durchsetzung eigener Interessen geprägt ist.

Damit wir in Deutschland künftig in den Kategorien der Friedenslogik denken und handeln, braucht es weitere friedensbewegte Menschen, die in ihrem Umfeld und nach ihren Möglichkeiten Frieden schaffen – nicht nur zu Ostern

 

Dr. med. Alex Rosen

[eine gekürzte Version dieses Artikels erschien in der taz am 16.04.2019]

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Ansprechpartnerin

Angelika Wilmen

Angelika Wilmen
Referentin für Friedenspolitik
Tel. 030 / 698074 - 13
Email: wilmen[at]ippnw.de

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