Nachruf auf Michail Gorbatschow

Das „Neue Denken“ Gorbatschows – eine verpasste Chance für die nukleare Abrüstung und dauerhaften Feindbildabbau

Über einen großen Staatsmann und seine Geschichte mit der IPPNW

„Ein Frieden, der auf Abschreckung durch Atomwaffen beruht, ist brüchig und gefährlich. Der Versuch, ihn durch immer neue Aufrüstung zu stärken, sei es am Boden oder im Weltraum, geht in eine Richtung, die den Interessen des Friedens zuwiderläuft.“ (Grußbotschaft von Michail Gorbatschow zum 7. IPPNW-Weltkongress 1987 in Moskau)

Michail Gorbatschow ist am 30. August 2022 im Alter von 91 Jahren gestorben. Er war ein großer Staatsmann, der die Welt veränderte. Sein Handeln hat in großen Maßen zur Freiheit der ehemaligen sowjetischen Republiken, nuklearer Rüstungskontrolle und den Fall der Berliner Mauer beigetragen. Aber auch für die Gesundheit und das Überleben zahlreicher Menschen hat Michail Gorbatschow einen großen präventiven Beitrag geleistet. Seiner Mitverantwortung in diesem Bereich immer bewusst, setzte er sich dafür ein, Atomtests zu verbieten und Atomwaffen abzuschaffen.

Das „neue Denken“ Gorbatschows war ein Versuch, die militärische Rivalität der damaligen „Supermächte“ zu überwinden und die Idee von Imperien zu verbannen. Er setzte auf Dialog und Kompromisse, gute Nachbarschaft, Vertrauen und Verifikation sowie den Abbau von militärischen Konfrontationen und Feindbildern. Gorbatschow erkannte die zentrale Rolle der Abrüstung und schätzte die Arbeit der IPPNW: „Ich bewundere sowohl Ihre Bewegung wie Ihre Arbeit. Sie werfen wertvolle Ideen in die politische Arena einer großen Zeit. Sie haben Einfluss und Ihre Stimme findet zunehmend Gehör, weil Sie eine einleuchtende und zeitgemäße Warnung an die Menschheit richten“, sagte Gorbatschow bei einem Gespräch mit der IPPNW 1987 in Moskau. „Ich kann Ihnen sagen, dass die sowjetische Führung sehr daran interessiert ist zu hören, was Sie zu sagen haben.“

Gorbatschow bestätigte, dass die internationale IPPNW maßgeblich zur Gestaltung der sowjetischen Politik beigetragen hatte und bestärkte sie in ihrer Arbeit: „Ich bin der festen Überzeugung, dass die wichtigste Aufgabe der Gegenwart nicht ausschließlich in die Hände der Politiker gelegt werden darf. Denn das ist nicht nur deren Sache. Wir sind Zeugen, wie sich eine machtvolle gesellschaftliche Bewegung formiert und ausweitet (…) Und all das deshalb, weil die Menschen immer tiefer erfassen, dass die Welt an den Abgrund einer realen Gefahr geraten ist."

Eine der größten und wichtigsten Errungenschaften in der nuklearen Rüstungskontrolle, ist der Nähe des russischen Kardiologen und IPPNW-Gründers Jewgeni Tschasows zu Gorbatschow zu verdanken: der Atomteststopp. Die IPPNW hatte sich mehrmals im Rahmen der „Ceasfire“-Kampagne an Gorbatschow gewendet, um ihn zu bitten, die Atomtests einseitig auszusetzen. Am 29. Juli 1985 gab Gorbatschow sein Einverständnis für das erste sechsmonatige Moratorium. Später stimmte er zu, das Moratorium auszuweiten. Schließlich führten die Gespräche zwischen Gorbatschow und Reagan 1986 zu einem Gipfeltreffen in Reykjavik, wo die Idee einer „doppelten Nulllösung“ besprochen wurde – die Abschaffung aller Atomwaffen.

Einer Einigung zur Abschaffung von Atomwaffen, ist man nie wieder so nah gekommen. Die Gespräche scheiterten an Reagan, der seine Pläne, im Weltall eine Raketenabwehr zu installieren („Star Wars“), nicht aufgeben wollte. Doch es entstand der Mittelstreckenraketenvertrag (INF-Treaty) 1987, der alle landgestützten Atomwaffensystemen mit mittlerer Reichweite verbot. Unter US-Präsident Donald Trump wurde das Abkommen 2019 wieder aufgekündigt.

Trotz aller Bemühungen ist es Gorbatschow nicht gelungen, die Atomwaffen abzuschaffen. Auch sein „Neues Denken“ und die Idee von einem „Gemeinsamen europäischen Haus“, konnte er weder in seinem eigenen Land noch in der Welt durchsetzen. Das Erbe dieses Scheiterns sehen wir heute in der Ukraine. Sein Nachfolger Wladimir Putin hat eine diametrale Position zu der Gorbatschows und kritisiert diesen stark für die Auflösung der Sowjetunion. Das Feindbild und die Angst vor der ehemaligen Sowjetunion, die Gorbatschow Stück für Stück abgebaut hatte, sind mit dem Ukraine-Krieg zurück – und mit ihm die Angst vor dem Atomkrieg. Die Arbeit der IPPNW bleibt damit auf traurige Weise hochaktuell.

zurück

Ansprechpartner*in

Angelika Wilmen

Angelika Wilmen
Referentin für Friedenspolitik
Tel. 030 / 698074 - 13
Email: wilmen[at]ippnw.de


Dr. Jens-Peter Steffen

Kontakt zur Kooperation für den Frieden
Email: steffen[at]ippnw.de

Navigation