Interview mit Dr. Jens-Peter Steffen

Deutsche Rüstungsexporte in die gesamte Region stoppen

Hinrichtungen in Saudi-Arabien

06.01.2016 Dr. Jens-Peter Steffen, IPPNW-Friedensreferent, hat die Hinrichtungen in Saudi-Arabien in einem Interview mit der iranischen Tasnim News Agency als kalt kalkulierte, machtpolitische Eskalation kritisiert. Schon lange moniere die Zivilgesellschaft die Haltung der deutschen, europäischen und auch der US-amerikanischen Regierungen gegenüber Saudi-Arabien. Weiter Rüstungsgüter in die Region zu exportieren, bedeute Öl ins Feuer zu gießen.

Tasnim News Agency: Die Hinrichtung des Schiiten Nimr al-Nimr in Saudi-Arabien hat zu einer weiteren Eskalation zwischen Sunniten und Schiiten geführt. Saudi-Arabien gilt als Quelle und Finanzierer des Islamischen Staates (IS). Wie kann vor diesem Hintergrund der Vorwurf des Terrorismus als  Begründung für die Hinrichtungen erhoben werden?

Dr. Jens-Peter Steffen: Aus deutscher Sicht ist die Abschaffung der Todesstrafe eine kulturelle Errungenschaft für deren Erhalt sich nicht nur die Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW), die ich hier repräsentiere, unbedingt einsetzen. Insofern kann ich keine Begründung finden, die die Vollstreckung des Todesurteils an Nimr Bāqir al-Nimr, wie auch an den anderen Personen, rechtfertigen würde.

So wie laut vieler Quellen der "sogenannte Islamische Staat" aus der saudischen Gesellschaft unterstützt wird, so politisiert die Führung Saudi-Arabiens ihrerseits die Verfolgung religiöser und menschenrechtlicher Opposition im eigenen Land. Die Verurteilung und ganz besonders natürlich der Vollzug der Todesstrafe an den 47 Menschen dienen einer kalt kalkulierten, machtpolitischen Eskalation der regionalen Konflikte.

Tasnim News Agency: Wie verändert der Konflikt die Beziehungen zum Westen? Die Lage der Menschenrechte in Saudi-Arabien sorgt seit langem für Unmut in Europa. Sollte die Bundesregierung angesichts der Massenhinrichtung von 47 Menschen die Beziehungen zu Riad grundsätzlich überdenken?

Dr. Jens-Peter Steffen: Die Haltung der deutschen, europäischen und auch der US-amerikanischen Regierungen nicht nur gegenüber Saudi-Arabien unterliegen bereits seit Jahren einer heftigen zivilgesellschaftlichen Kritik. Deutschlands Außenpolitik soll nach Aussagen der Regierung auf festen Wertegrundlagen und im Hinblick auf die Wahrung der Menschenrechte erfolgen. Diese Grundlagen gelten auch für jegliche wirtschaftliche Außenbeziehungen. Das führt nicht zur Forderung eines Abbruchs von bi- oder multilateralen Beziehungen, sondern zur Forderung eines Politikwechsels gegenüber diesen Ländern: Es geht um einen Ausbau von regionalen Strukturen des Ausgleichs und gemeinsamer Sicherheit als Ziel einer neuen deutschen Außenpolitik für die Region. Der ungebrochene Export von Rüstungsgütern kann da nicht dazu gehören.

Tasnim News Agency: Wie wirkt sich diese neue Eskalation auf die ohnehin schon sehr angespannte Lage im Nahen Osten aus?

Dr. Jens-Peter Steffen: Unter dem aktuellen Konflikt leiden besonders die gegenwärtigen Bemühungen der Staatengemeinschaft, den Krieg in Syrien durch das unbedingt notwendige Mitwirken aller beteiligten Staaten in der Region diplomatisch zu deeskalieren oder sogar zu befrieden. Es ist zudem zu befürchten, dass sich auch der Krieg im Jemen aufgrund der Entwicklung der kritischen Lage in der Region weiter verschärft. Nicht zuletzt belastet die kritische Lage den jahrzehntealten Konflikt zwischen den Palästinensern und Israel.

Tasnim News Agency: Wie soll der Westen auf die jüngste Eskalation reagieren? Soll Deutschland weiterhin Waffen nach Saudi-Arabien exportieren?

Dr. Jens-Peter Steffen: Wie die IPPNW hat sich die deutsche Friedensbewegung und zudem ein erheblicher Anteil der deutschen Bevölkerung immer wieder gegen Waffenlieferungen an Saudi-Arabien ausgesprochen. Es gibt eine aktuelle zivilgesellschaftliche Kampagne, deutsche Rüstungsexporte in die Gesamtregion sofort zu stoppen und sich auch für den Stopp entsprechender Exporte unserer Bündnispartner in Europa und der NATO einzusetzen. Weiter Rüstungsgüter zu exportieren, bedeutet Öl ins Feuer zu gießen. Deshalb unterstützen wir alle Ansätze der Politik, die die die bisherige Außen- und Exportpolitik in die Region hinterfragt.  

Interview der Tasnim News Agency mit Dr. Jens-Peter Steffen, Friedensreferent der IPPNW am 6. Januar 2016.

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Ansprechpartner*in

Angelika Wilmen

Angelika Wilmen
Referentin für Friedenspolitik
Tel. 030 / 698074 - 13
Email: wilmen[at]ippnw.de


Dr. Jens-Peter Steffen

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