Aus IPPNW-Forum 181/2025

Wir können uns die Hochrüstung nicht leisten!

Als Bundeskanzler Scholz am 27. Februar 2022 dem Bundestag in einer eilig zusammengerufenen Sondersitzungmitteilte, dass die von ihm ausgerufene „Zeitenwende“ ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr erfordere, überrumpelte er damit die anwesenden Abgeordneten. Presseberichten nach waren vor der Ankündigung dieser beispiellosen Aufrüstungsmaßnahme selbst innerhalb der Regierung nur Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner einbezogen. Das änderte aber nichts daran, dass bei der Abstimmung über die 100 Milliarden im Bundestag nur die Linke geschlossen dagegenstimmte. [1] Inzwischen ist der Verteidigungsetat nach NATO-Kriterien auf 90,6 Milliarden Euro angestiegen.

Noch 2017 argumentierte der damalige Außenminister Sigmar Gabriel von der SPD, dass das Zwei-Prozent-Ziel der NATO eine Zielrichtung vorgebe, nicht einen verbindlichen Endpunkt.[2] Aber schon im Koalitionsvertrag der Ampel, also vor dem russischen Überfall auf die Ukraine, wurde ein etwas verklausuliertes Drei-Prozent-Ziel für „internationales Handeln“ fest-

gehalten, in dem Militärausgaben, Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie zusammengemischt wurden. Inzwischen fordert NATO-Generalsekretär Rutte „viel, viel, viel mehr als zwei Prozent“, Robert Habeck 3,5 Prozent, und US-Präsident Donald Trump ist inzwischen bei fünf Prozent angekommen –[3], ein irrer Überbietungswettbewerb, bei dem es noch nicht einmal mehr um konkrete Bedrohungsanalysen und die angeblich notwendigen militärischen Antworten darauf geht. Dabei stiegen die Militärhaushalte laut SIPRI schon seit 2014 von 32,4 Milliarden Euro auf inzwischen (2024) 51,95 Milliarden Euro – ohne das Sondervermögen, das nochmal 20 Milliarden zusätzlich bedeutet.

Diese enorme Steigerung des Rüstungshaushalts wurde jahrelang vorbereitet. Jahr für Jahr wurden passend zu den Haushaltsberatungen angebliche Skandale über nicht einsatzbereites Militärgerät präsentiert. Die Antwort darauf sollte nach Ansicht der verschiedenen Regierungskoalitionen immer weitere Aufrüstung sein. Die Frage, warum es mit diesen Jahr für Jahr ausgeschütteten Milliarden nicht möglich gewesen sein soll, eine halbwegs verteidigungsfähige Armee auszurüsten, wurde selten gestellt.

Auch in der EU wird nahezu ungehemmt weiter aufgerüstet, obwohl die Verträge weiterhin ein Verbot der Finanzierung von Rüstung und Militär enthalten. Aber die Instrumente der EU-Kriegspolitik werden über die Jahre immer zahlreicher: Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO), Europäischer Verteidigungsfonds (EDF), Europäische Friedensfazilität oder die Dual-Use-Forschung in den Forschungsprogrammen der EU (bspw. Horizon 2020).

Wenn es dagegen um die Bedürfnisse der Bevölkerung geht, wird immer wieder die Haushaltsdisziplin in Anschlag gebracht. Infrastruktur, Klimawandel, Wohnungsnot, Inflation – Maßnahmen, die hier Verbesserungen gebracht hätten, werden ganz selbstverständlich mit den fehlenden Ressourcen zurückgestellt. Auch die Reformen im Gesundheitswesen wurden im Wesentlichen den Beitragszahler*innen in der GKV aufgehalst, weil angeblich kein Geld da ist. Bundeskanzler Scholz hat in der Ampelkoalition drei Jahre lang die Sparmanie von FDP-Lindner gedeckt, als es etwa um die Kindergrundsicherung ging.

Trotz dieser eigentlich klaren Sachlage regt sich weiterhin nicht genug Widerstand in der Bevölkerung, denn das Credo „Wir müssen aufrüsten, um sicher zu sein“ klingt für viele weiterhin nach einer logischen und alternativlosen Konsequenz. Dabei zeigt der Vergleich der Rüstungsausgaben der NATO mit denen Russlands und Chinas ein extremes Ungleichgewicht. Die NATO-Staaten gaben 2023 über 1.300 Milliarden US-Dollar für Rüstung aus, Russland ca. 60 Milliarden USD und China ca. 215 Milliarden USD. Die Militärhaushalte allein der europäischen NATO-Mitglieder übersteigen mit insgesamt über 400 Milliarden also bereits die zusammengenommenen Ausgaben Russlands und Chinas. Aus diesen Zahlen lässt sich eigentlich kein Aufrüstungserfordernis ableiten. [4]

Die Rüstungskonzerne jubeln

Von der jahrelang vorbereiteten, aber nach der Annexion der Krim 2014 und besonders nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 explodierenden Aufrüstung hat die Rüstungsindustrie beispiellos profitiert, insbesondere Rheinmetall, der zweitgrößte deutsche Rüstungskonzern. Dies spiegelt sich nicht nur in erhöhten Auftragseingängen, sondern auch in erheblichen Umsatzsteigerungen wider. Für das Jahr 2025 wird ein Umsatzanstieg von über 25 Prozent prognostiziert. Entsprechend haben auch die Aktienkurse des Unternehmens (Aufstieg in den DAX im März 2023) stark zugelegt. Die Aktie hat kürzlich ein neues Allzeithoch erreicht. Lag die Aktie vor dem Krieg gegen die Ukraine noch unter 100 Euro, lag sie Ende Januar bei weit über 700 Euro.[5]  Der Gewinn explodiert ebenfalls, 2024 meldet das Unternehmen vor Steuern und Zinsen einen Zuwachs des Erlöses um 19 Prozent gegenüber dem auch Rekordwert des Vorjahres auf insgesamt 918 Millionen Euro.

Die explodierenden Rüstungsausgaben bieten eine politische Angriffsfläche, die die Friedensbewegung bisher viel zu wenig nutzt. Zum einen ist es ein Thema, bei dem es in der Friedensbewegung große Einigkeit gibt. Zudem bietet das Thema Potential zur Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Bewegungen. Allein die Gegenüberstellung der Beschaffungskosten der F-35-Jets für die völkerrechtswidrige nukleare Teilhabe und der Kosten der von der Ampel aus Kostengründen nicht eingeführten Kindergrundsicherung macht deutlich, was in diesem Land schief läuft. Die Atombomber sollten bei Beschlussfassung 2022 fast zehn Milliarden Euro kosten, die Kindergrundsicherung hätte nach monatelangem Gefeilsche im ersten Jahr ihrer Einführung nicht einmal 2,4 Milliarden Euro gekostet. Das ließe sich für viele Themen umrechnen: Kosten einer Flugstunde eines Kampfjets in Personalkosten im Bildungswesen, Anstieg des Verteidigungshaushalts für ein Kalenderjahr im Vergleich zu den notwendigen Investitionskosten für die Krankenhäuser oder der Verzicht auf nur eine Fregatte im Vergleich zu den Kosten für eine Rücknahme der Verteuerung des Deutschlandtickets. Sozialverbände, Gewerkschaften, Klimabewegung, Frauen- und Queerbewegung, flucht- und migrationspolitische Gruppen – alle könnten auf die Finanzierungsprobleme verweisen und für ihren Bereich erklären: „Wir können uns die Hochrüstung nicht leisten!“

Hier öffnet sich das Tor bzw. eher die Chance einer fortschrittlichen außerparlamentarischen Organisation von zivilgesellschaftlichen Kräften. Die immensen Ausgaben im Rahmen der Hochrüstung sind schon lange kein eigenständiges Thema der Friedensbewegung mehr. Es betrifft uns alle. Und wenn wir in die Organisationsstrukturen der Verbände schauen, sehen wir, dass alle in irgendeiner Form von Kürzungen in den Bereichen Mobilität, Klima oder Soziales betroffen sind.

Die turnusmäßige Haushaltsverabschiedung mit ihren feststehenden Terminen – Regierungsentwurf vor der Sommerpause, erste Lesung in der ersten Sitzungswoche des Bundestags nach der Sommerpause, Beschlussfassung im November – bietet gut planbare Ansatzpunkte für eine Mobilisierung. Das Thema liegt eigentlich auf dem Tisch, und nicht nur die Friedensbewegung muss dies aufgreifen.

Marek Voigt ist Pressereferent der IPPNW. Yannick Kiesel ist Referent für Friedenspolitik bei der DFG-VK.


[1] Auch viele AfD-Abgeordnete stimmten nicht zu, aber aus Kritik an zu wenig Aufrüstung oder der Schuldenfinanzierung. (Alexander Kleiß, Merle Weber: Warum die AfD keine Friedenspartei ist. https://www.imi-online.de/download/afd_2024.pdf)

[2] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/170331-bm-nato-288896

[3] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/robert-habeck-nennt-nato-wuensche-von-donald-trump-unrealistisch-a-94d450dc-3c0a-4296-8072-3dd408720da2

[4] https://www.sipri.org/media/press-release/2024/global-military-spending-surges-amid-war-rising-tensions-and-insecurity

[5] https://www.onvista.de/aktien/Rheinmetall-Aktie-DE0007030009

 

 

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Ansprechpartner*in

Angelika Wilmen

Angelika Wilmen
Referentin für Friedenspolitik
Tel. 030 / 698074 - 13
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Dr. Jens-Peter Steffen

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