Aus IPPNW-Forum 107/07

11 Jahre Forum Ziviler Friedensdienst

Vom Kosovo nach Oranienburg

Oft sind lange Wege nötig, um Konflikte vor der eigenen Haustür zu bearbeiten. So auch im Fall des forumZFD. Gegründet 1996 von einer breiten Palette zivilgesellschaftlicher Akteure, um die Idee eines Zivilen Friedensdienstes (ZFD) voranzutreiben, führt es seit dem Jahr 2000 Projekte auf dem Balkan, in Palästina und in Israel durch. Obwohl von Beginn an auch Projekte im Inland geplant waren, ist es erst seit Dezember 2006 in Deutschland aktiv. In einem Pilotprojekt in Oranienburg bei Berlin baut Friedensfachkraft Uli Krause ein Präventionsprojekt im Spannungsfeld von mangelnder Integration von Spätaussiedlern und Fremdenfeindlichkeit auf. Eine Reise vom Balkan, über Nahost zurück nach Deutschland.

Schon in den ersten Dokumenten des frisch gegründeten forumZFD ist die Rede davon, Projekte nicht nur in „klassischen“ Konfliktregionen durchzuführen, sondern einen Schwerpunkt auf Deutschland zu legen. Doch in den ersten Jahren steht die politische Lobbyarbeit im Vordergrund. Den im Forum organisierten Gruppen, von der Evangelischen Akademikerschaft über pax christi bis hin zu den Ärzten für die Verhütung des Atomkriegs geht es zunächst vor allem darum, politische Akteure von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass die gewaltfreie Bearbeitung von Konflikten einen ernstzunehmenden politischen Ansatz darstellt. Zweiter wichtiger Punkt ist die Forderung nach speziell geschulten Konfliktberatern. 1997 eröffnet Johannes Rau, damaliger Ministerpräsident in NRW, den ersten Qualifizierungskurs zur Friedensfachkraft. Inzwischen ist die damals so genannte „Arbeitsgemeinschaft Qualifizierung“ zur Akademie für Konflikttransformation im forumZFD gewachsen und hat 250 Menschen zu Friedensfachkräften ausgebildet.

Beginn der Projektarbeit: Kosovo
Die Forderung des forumZFD nach politischer Wahrnehmung und konkreten Maßnahmen erfüllt sich zumindest im Ansatz erstaunlich schnell. Anfang 2000 reisen die ersten beiden Friedensfachkräfte, Piet Gierke und Silke Maier-Witt in den Kosovo aus. Finanziert werden sie vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Wahl „Balkan“ ist kein Zufall. Zum einen bringen die Kooperationspartner pax christi und Ohne Rüstung Leben langjährige Projekterfahrung aus der Region mit. Zum anderen ist der „Jugoslawien-Konflikt“ einer der Konflikte, der die Friedensbewegung nachhaltig aufrüttelt. Vor der Haustür Europas spielt sich Unvorstellbares ab – der Ruf nach Einmischung und Engagement wird immer lauter.

Das forumZFD in NAHOST
Auch zur Projektregion NAHOST kommt das forumZFD durch Kontakte zu einer Mitgliedorganisation. Durch den Förderverein Willy Brandt-Zentrum entsteht eine enge Verbindung nach Jerusalem. Der Konflikt macht zunächst eher mutlos. Die verhärteten Fronten und die extrem verworrenen Konfliktlinien lassen eine Projekttätigkeit unmöglich erscheinen. Doch bald wird eine Idee konkret: junge, politisch aktive Menschen aus Palästina, Israel und Deutschland sollen ihre jeweiligen Vorstellungen kennen und respektieren lernen. Es geht darum geschichtlich gewachsene Mythen und Narrative zu verändern, die nicht nur Identität stiften, sondern auch Feindbilder. Ein Raum entsteht, so neutral wie ein Raum in der ideologisch am heißesten umkämpften Stadt der Welt nur sein kann. Das heutige Willy Brandt-Zentrum in Jerusalem, fast genau in der Mitte zwischen Ost- und West-Jerusalem gelegen, wird zum Kommunikations-Ort für Israelis und Palästinenser. Dort können sie sich treffen, gemeinsam Veranstaltungen organisieren, an Workshops teilnehmen und einen Eindruck von „der anderen Seite“ erhalten.

„Land und Identität“ – das erste Projekt in Israel, Palästina UND Jordanien
Die Projektaktivitäten in Nahost dehnen sich aus. 2005 eröffnet das forumZFD ein Regionalbüro in Jerusalem als Anlaufstelle für Kooperationspartner in der Region. Ein Ergebnis ist die Ausdehnung der Arbeit auf Jordanien. In dem Projekt „Land und Identität“ erhalten junge Israelis und Palästinenser die Gelegenheit, die unterschiedliche Geschichte ihrer Völker gemeinsam aufzuarbeiten. Im Mittelpunkt steht der Streit um Land, das beide Seiten beanspruchen, weil sie darin einen Teil ihrer Identität sehen. Räumlich treffen können sich diese jungen Menschen kaum: Palästinenser und Israelis können auf Grund einseitiger „Grenzziehungen“ und Reisebeschränkungen nirgendwo zusammen kommen. Seit Mai finden die Gruppentreffen daher mit der Unterstützung der Friedensfachkraft Anne Schober getrennt in Tel Aviv, Jerusalem, Bethlehem und Amman statt. Ihr kommt dabei eine Brückenfunktion zu, sie ermöglicht den Informationsaustausch zwischen den Gruppen.

2006: zurück nach Deutschland
Doch auch in Deutschland wird unermüdlich Lobbyarbeit gemacht. Seit 2002 arbeitet die Arbeitsgemeinschaft ZFD in Deutschland an einem möglichen innerdeutschen Projekt. Jahrelang scheint eine Finanzierung unmöglich. Als 2004 in den Niederlanden der islamkritische Regisseur Theo van Gogh ermordet wird und 2005 in Frankreich die Banlieus brennen, wird „Prävention“ zum Schlagwort. Plötzlich stehen Themen wie Einwanderungsgesellschaft, Leitkultur, Integration und die Frage „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ öffentlich zur Debatte.
Nach zahllosen Gesprächen stellt das forumZFD 2006 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen Antrag für ein Pilotprojekt in Oranienburg.

Bereits im Dezember 2006 arbeitet die Friedensfachkraft Uli Krause in Oranienburg. Die ersten Monate sind einer gründlichen Situationsanalyse vorbehalten. Praxisorientiert werden Konfliktlinien und –akteure analysiert und nach rund 50 Gesprächen mit sogenannten „Schlüsselakteuren“ zu einem Maßnahmenplan verdichtet.

Das Fazit: In vielen Gesprächen wurde dem forumZFD von Warnzeichen möglicher gesellschaftlicher Konflikte berichtet und auf ein mögliches Konfliktpotenzial hingewiesen. Denn trotz einer bemerkenswerten Zahl kompetenter Ansprechpartner und kreativer Eigeninitiativen stagniert die Integration der Spätaussiedler. Viele von ihnen suchen nach wie vor ihren Platz im Leben der Stadt. Sie leben praktisch gettoisiert in einer Plattenbausiedlung. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 80 %. Zwischen „Einheimischen“ und Spätaussiedlern bestehen nur vereinzelte Kontakte. Diese Situation ist bedenklich, besonders aufgrund der in Oranienburg feststellbaren rechtsextremen Tendenzen. Unter den Spätaussiedlern sind viele Akademiker mit keinerlei Aussichten auf eine Arbeit. Sie wollen eine bessere Zukunft, wenn schon nicht für sich, dann für ihre Kinder. Doch die Isolation macht eine Integration fast unmöglich. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen.

Wie genau der ausgearbeitete Maßnahmenplan aussieht? Die Eigenart dieses Plans besteht darin, dass er eigentlich gar keine konkreten Maßnahmen beinhaltet. Die Aufgabe bis Ende 2006: mit Meinungsführern unter den Spätaussiedlern und „Einheimischen“ über ihre Situation weiter ins Gespräch zu kommen. Herausfinden was sie brauchen und wie sie das erreichen möchten. Sie darin unterstützen, sie beraten. Raum zur Verfügung stellen, physischen und psychischen, um Konflikte konstruktiv zu bearbeiten.

Das Projekt wird genauso stark sein, wie die Menschen, die mitarbeiten und es damit inhaltlich bestimmen. Denn was Menschen für sich selbst nicht wünschen und sich damit auch nicht erarbeiten, wird keine noch so professionell organisierte Organisation für sie erreichen können.

Das ist auch der Grund, wieso man jetzt schon sagen kann, dass bei diesem Projekt zunächst nur eine Sache feststeht: es wird in kleinen Schritten voran gehen. Aber diese Veränderungen werden dafür „organisch“ gewachsen sein.
Oranienburg wird nicht das Ende der Reise sein. Das Thema Ziviler Friedensdienst verlangt noch nach vielen finanziellen und personellen Ressourcen.


Ingrid Holzmayer

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