Pressemitteilung vom 10.09.2002

Horst-Eberhard Richter: ohne Umdenken droht Katastrophe

Erster Jahrestag des 11. September 2001

Berlin- Horst-Eberhard Richter, Psychoanalytiker, Psychosomatiker und Gründungsmitglied der IPPNW, erkennt zwei zunehmend deutlicher werdende Tendenzen in den Reaktionen auf den 11. 9. 2001.

In einer zum Jahrestag in Salzburg gehaltenen Rede erklärt Richter, er erkenne einerseits ein "egomanisches Freiheitsziel", einen Fortschrittsglauben, der sich zuallererst auf den "Bemächtigungswillen" stützt, d.h. in der Machtpolitik der USA sehe er die "Besessenheit von einem Machtwillen, der immer nur über andere und über die Naturgewalten siegen will."
Andererseits aber gebe es eine Einsicht in die gegenseitigen Abhängigkeiten dieser Welt. Diese Einsicht entspringe auch einem Mitgefühl, das die Befindlichkeit der Gegenseite als Ursache von Konflikten ernst nehme. Grundsätzlich erkennt Richter eine Lernfähigkeit, die prinzipiell Bereitschaft zu Selbstkritik voraussetze und aus der heraus sich andere Zielvorstellungen ableiten lassen.

Richter weiter: "Wir alle sind, ob Individuen, Glaubensgemeinschaften, Ethnien oder Nationen, aneinander gebunden. Wir müssen diese Gegenseitigkeit, diese Vernetzung untereinander erkennen, um uns in gemeinsamer Verantwortung kulturell entwickeln zu können. (...) Das war vor dem 11. September so und ist danach nicht anders. Aber dieses Verständnis von unserer Befindlichkeit in der Welt ist einem Großteil der Menschen im Westen und speziell auch in den Vereinigten Staaten fremd geworden."

"Die Führungsnation des Westens, die ihre Prinzipien und ihren Way of Life zum allgemeinen Wohl weltweit verbreiten will, macht sich zum Negativbeispiel für die Verleumdung unserer gegenseitigen Abhängigkeiten und unserer gemeinsamen Umweltverantwortung. Man kann diese Egomanie auch als die Krankheit, nicht leiden zu wollen, bezeichnen. Wenn man nicht leiden will, muss man hassen."

"Keinesfalls durfte der 11. September als Mahnzeichen für die eigene Verletzbarkeit (der USA) gedeutet, vielmehr sollte diese durch Ausrottung des Terrorismus und durch einen weltweiten Überwachungsapparat endgültig eliminiert werden. Schon das Übermaß des kriegerischen Aufwandes und das Pathos einer militanten Heilsrhetorik machten aber eine tiefe Verunsicherung deutlich. Es ging um mehr als um Vergeltung, vielmehr zugleich um überkompensatorische Abwehr unterdrückter Ohnmachtängste. Denn natürlich drängte sich die Ahnung auf, dass die stärksten Waffen (...) nicht ausreichen würden, das Glaubensziel perfekter Unverwundbarkeit zu erreichen. Die egomanische Verblendung sorgt aber dafür, das Unmögliche mit aller Gewalt dennoch erzwingen zu wollen."

"Dass sich dagegen Entrüstung und Protest melden, ist geboten. Aber was bisher in unseren europäischen Ländern zu kurz kommt, ist die Entfaltung massiver Gegenkräfte. Unzweifelhaft hängt das mit der Mentalität zusammen, die kurz erörtert wurde. Stützt sich der Fortschrittsglaube zuallererst auf den Bemächtigungswillen, so werden automatisch dort die Maßstäbe gesetzt, wo der größte Machtvorsprung erobert worden ist. Das Verhalten der USA liegt präzise auf der Linie des egomanischen Freiheitsziels."

In Richters Augen regt sich nunmehr ein solches fundamentales Umdenken, "am spürbarsten unter den vornehmlich jungen Globalisierungskritikern".

"Hier sind neue Hoffnungsträger, die such unter den Druck unserer durchorganisierten Gesellschaft nicht einschüchtern lassen. Die wollen, dass man sie mitzählt, nicht nur bei Meinungsumfragen und Wahlen, sondern in ihren Initiativen als verantwortliche Mitgestalter einer solidarischen Welt. Das ist keine realitätsferne Utopie, sagen sie, vielmehr sei es eine Utopie zu glauben, wir könnten ohne selbstzerstörerische Katastrophen so weitermachen wie bisher."

Das vollständige Manuskript erhalten Sie von Dr. Jens-Peter Steffen,
kontakt@ippnw.de

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Ansprechpartnerin

Angelika Wilmen

Angelika Wilmen
Referentin für Friedenspolitik
Tel. 030 / 698074 - 13
Email: wilmen[at]ippnw.de

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