Gesundheit ein Menschenrecht

Zu Hürden und Risiken medizinischer Versorgung für „Menschen ohne Papiere“

Es ist sehr kalt am Abend des 20. März 2018. Fast ein Dutzend Einsatzbusse medizinischer Hilfsorganisationen stehen vor dem Brandenburger Tor und bilden einen Halbkreis. Im Halbkreis befinden sich etwa 200 Demonstrierende und hören den Redebeiträgen des Bündnisses „Gesundheit ein Menschenrecht“ zu, an dem auch die IPPNW beteiligt ist. „Das Gesundheit ein Menschenrecht ist, sollte man in Deutschland nicht mehr betonen müssen“, heißt es dort gerade, während ein paar Aktivist*innen Kartons aufeinanderstapeln. Die Kartons bilden eine symbolische Mauer zwischen Gesundheitspersonal in weißen Kitteln und Kasacks auf der einen und den Patient*innen auf der anderen Seite. „Verständigungsprobleme“, „Einschränkungen nach Asylbewerberleistungsgesetz“ oder „Zu hohe Versicherungsbeiträge“ steht auf den Bausteinen. Nach der Kundgebung wollen sich diese nicht länger mit der Mauer abgeben. Von beiden Seiten werden die Barrieren abgerissen. Applaus brandet auf. Doch frenetisch ist dieser nicht. Die Teilnehmenden wissen, dass diese Barrieren in Deutschland nach wie vor viele tausende Menschen ohne ausreichende Gesundheitsversorgung lassen.

Alle in Deutschland lebenden Menschen haben ein Recht auf Gesundheit. Dieses Recht kann auf unterschiedlichste Weise abgeleitet werden. Im deutschen Grundgesetz wird die körperliche Unversehrtheit und ein menschenwürdiges Existenzminimum zugesichert, dazu kann auch eine Versorgung im Krankheitsfall gezählt werden. Des weiteren wurden von der Bundesrepublik Deutschland der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (sog. UN-Sozialpakt), die Kinderrechtskonvention, die UN- Frauenrechtskonvention sowie die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. In diesen Papieren finden sich weitreichende Rechte, wie z.B. das Recht “auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit” oder Gesundheit „ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung“. Doch davon ist die Realität weit entfernt. Betroffen sind häufig Menschen, deren Lebensbedingungen ohnehin ihre Gesundheit beeinträchtigen und die Lebenserwartung senken. Denn Armut macht krank. Dass es darüber keinen Zweifel gibt, haben auch die Veranstaltungen auf dem gut besuchten Kongress „Armut und Gesundheit“ im März in Berlin mal wieder bewiesen.

Besonders prekär ist die Situation bei Menschen, die sich ohne Aufenthaltstitel in Deutschland aufhalten. Denn „Menschen ohne Papiere“ werden in Deutschland in Bezug auf die Gesundheitsversorgung deutschen Staatsbürger*innen nicht gleichgestellt. Für sie, wie auch für Asylbewerber*innen und geduldete Menschen, sind beziehbare Gesundheitsleistungen über das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelt. Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde in den 1993 im Zuge einer restriktiveren Asylpolitik eingeführt. Es steht zusammen mit der Änderung des §16 des Grundgesetztes und der damit einher gehenden Einschränkung des Rechts auf Asyl für eine stärkere Abschottungspolitik gegenüber Geflüchteten. Über das AsylbLG werden medizinische Leistungen eingeschränkt. Gemäß § 4 Absatz 1 wird eine ärztliche und zahnärztliche Behandlung bei akuter Krankheit und akuten Schmerzzuständen gewährt, nicht aber alle Leistungen des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen. In eine Ausarbeitung für den Deutschen Bundestag zum Thema „Gesundheitsversorgung von Menschen ohne Papiere“ heißt es dazu: „Unter „akut“ sind unvermittelt auftretende, schnell und heftig verlaufende, regelwidrige Körper- und Geisteszustände zu verstehen, die aus medizinischen Gründen einer ärztlichen Behandlung bedürfen.“

Das eigentlich garantierte Recht auf Gesundheit wird also schon durch das AsylbLG untergraben. Für Menschen ohne Papiere wird aber auch dieser eingeschränkte Zugang nicht gewährt. Dazu bei trägt auch der sogenannte „Denunziationsparagraph“ bei. Nach § 87 des AufenthG sind alle öffentlichen Stellen in Deutschland verpflichtet die Ausländerbehörden davon in Kenntnis zu setzen, wenn sie von einem gesetzwidrigen Aufenthalt in Deutschland erfahren. Diese Kenntnisnahme führt dann in den meisten Fällen zu einer Abschiebung der Betroffenen.

Wenn Menschen ohne Papiere in Deutschland „geplant“ in einer ärztlichen Praxis medizinische Leistungen in Anspruch nehmen wollen, müssen sie beim zuständigen Sozialbehörde einen Antrag auf die Erstattung der Leistungen stellen und können erst danach mit einem sogenannten „Krankenschein“ eine Arztpraxis aufsuchen. Diese rechnet dann die erbrachten Leistungen mit dem Sozialamt ab. Zumindest in der Theorie, denn zur Ausstellung eines „Krankenscheines“ benötigt die Sozialbehörde Informationen zu Name, Adresse, Aufenthaltsstatus und der Bedürftigkeit der Person. Diese Daten muss sie dann nach §87 AufenthG an die Ausländerbehörde weitergeben. Durch diese „Denunziation“ würde der unerlaubte Aufenthaltsstatus der Person aufgedeckt werden, die Patient*innen laufen Gefahr, abgeschoben zu werden. De facto besteht also hier kein Zugang zur Gesundheitsversorgung. In Notfällen sieht das Gesetz vor, dass „Menschen ohne Papiere“ sich sofort und ohne eine vorherige Zusicherung der Kostenübernahme in einem Krankenhaus behandeln lassen können. Die Leistungen können dann nach der Notfallbehandlung nach §25 SGB XII mit der Sozialbehörde abgerechnet werden. Ebenso wie bei der Abrechnung von Leistungen der Regelversorgung werden dann Daten an die Sozialbehörde gegeben. Diese dürfen jedoch nicht an die Ausländerbehörde weitergegeben werden, da sie nach der Allgemeinen Verfahrensvorschrift 88.2.3 zum Aufenthaltsgesetz hier der verlängerte Geheimnisschutz greift. Ärzt*innen (und die Mitarbeitenden) müssen der „Denunziationspflicht“ also nicht nachkommen. De jure ist hier über einen komplizierten Umweg das Recht auf Gesundheitsversorgung sichergestellt. In der Praxis ergeben sich jedoch große Probleme, die von Bundesland zu Bundesland, ja sogar von Stadt zu Stadt sehr verschieden sind.

Um diese Probleme anzugehen wird es weiterhin die zahlreichen MediNetze und Medibüros brauchen, die mit ihrer ehrenamtlichen Unterstützung versuchen den Menschen wenigstens ein Mindestmaß an Gesundheitsversorgung zukommen zu lassen. Vor allem aber dürfen wir nicht aufhören uns zu empören, darüber dass in Deutschland Menschenrechte nicht verwirklicht werden und staatliche Aufgaben von ehrenamtlichen Strukturen übernommen werden. Es wird noch viele Kundgebungen brauchen, bis wir erreicht haben, dass die Menschenrechte wirklich für alle Menschen gelten.

Maren Janotta (Referentin für Soziale Verantwortung der IPPNW) & Carlotta Conrad (Mitglied des Vorstandes der deutschen IPPNW)

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Ansprechpartnerinnen

 

Anne Jurema
Referentin "Soziale Verantwortung"
Tel. 030/698074 - 17
Email: jurema[at]ippnw.de



Laura Wunder
Referentin für Klimagerechtigkeit und Global Health
Tel. 030 / 698074 - 19
Email: wunder[at]ippnw.de

Materialien

 

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IPPNW-Report: Gesundheitliche Folgen von Abschiebungen
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