IPPNW-Presseinfo vom 21. Januar 2008

Menschenrechte haben Vorrang

IPPNW-Tagung "achten statt verachten"

Die Übermittlungspflicht an die Ausländerbehörde hindert Migranten, ihre Rechte wahrzunehmen

Die Tagungsteilnehmer waren sich einig: Der "Prüfauftrag Illegalität" der Großen Koalition von 2005 hat bisher zu keiner Verbesserung der Lebenssituation der Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland geführt. Zahlreiche praxisnahe Lösungsvorschläge von Wohlfahrtsverbänden, Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen, Kirchen, Ärzten und Menschen, die mit den Problemen dieser Menschen konfrontiert sind, blieben bisher unberücksichtigt.

Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. Cornelia Goesmann, stärkte allen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen den Rücken, indem sie versicherte, "dass die ärztlichen Institutionen, Organisationen und vor allem die Bundesärztekammer nicht nachlassen werden in ihren Bemühungen, Menschenrechte für Migranten ohne Papiere umzusetzen."

Der Direktor des Instituts für Menschenrechte, Prof. Heiner Bielefeldt, verwies darauf, dass es in einem Rechtsstaat eine Abstufung der Rechtsgüter gebe. Die Menschenrechte hätten dabei unbedingten Vorrang vor ordnungsrechtlichen Interessen. Dieser Vorrang sei für den Rechtsstaat grundlegend und von der Politik anzuerkennen.

VertreterInnen aus Ärzteschaft und anderen Unterstützerorganisationen für Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus haben in diesem Zusammenhang seit Jahren moniert, dass in Deutschland die Durchsetzung des Ordnungsrechtes Vorrang vor der faktischen Gewährung von Menschenrechten (Recht auf medizinische Versorgung und Schulbesuch sowie Schutz vor Ausbeutung) habe.

Zentraler Streitpunkt sei hierbei die Übermittlungspflicht öffentlicher Stellen an die Ausländerbehörde. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern gäbe es so etwas nur in Deutschland. Diese solle im Schulbereich jetzt sogar noch verschärft werden. Im Krankenhaus werde die ärztliche Schweigepflicht durch die Übermittlungspflicht eindeutig verletzt. Denn über den Umweg der Verwaltung würden die Daten, die zur Aufdeckung eines illegalen Aufenthaltes führen, an das Sozialamt und in der Folge an die Ausländerbehörde weitergeleitet. Migranten vermieden deshalb oft die rechtzeitige, ihnen zustehende Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung aus berechtigter Sorge vor der Aufdeckung ihres Aufenthaltsstatus mit der Konsequenz ihrer Abschiebung. Nicht zuletzt müssten die Kinder darunter leiden.

MedizinstudentInnen und junge ÄrztInnen der IPPNW berichteten über die Gründung von Medinetzen, d.h. Anlaufstellen für erkrankte Menschen ohne Papiere in mehreren Universitätsstädten. Dort werden diese MigrantInnen an Kolleginnen und Kollegen sowie an Kliniken, die sich zur unentgeltlichen Behandlung bereit erklären, weitergeleitet. Dr. Eva-Maria Schwienhorst, eine junge IPPNW-Ärztin aus Mainz berichtete: "Es dauerte eine ganze Zeit, bis sich die Existenz einer solchen Anlaufstelle herumgesprochen hat und die betroffenen Menschen Vertrauen gefasst haben, dass dahinter nicht doch eine Behörde steht, von der sie eine Abschiebung zu erwarten haben. Allein in Mainz sind wir jetzt 20 junge Medizinerinnen und Mediziner, die sich diese oft mühsame, aber auch für uns sehr befriedigende Arbeit teilen."

Allerdings sei die medizinische Versorgung auf Dauer schon aus Kostengründen (teure Medikamente und Operationen) nicht von privater Seite zu tragen, war Konsens der Tagungsteilnehmer. Der Staat müsse das Menschenrecht auf bestmögliche gesundheitliche Versorgung auch in der Praxis für die Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus gewähren. Er dürfe den Zugang nicht so erschweren, dass es von den MigrantInnen aus Angst vor Abschiebung nicht in Anspruch genommen würde.

Die in Deutschland lebenden Menschen ohne legalen Aufenthalt sind nur ein verschwindend kleiner Teil des weltweiten Flüchtlingsproblems. Erst wenn die weltweiten ökonomischen und politischen Ungerechtigkeiten geändert werden, für die Deutschland mitverantwortlich ist, werden auch die Fluchtursachen entfallen. Europas Außengrenzen gegenüber den Flüchtlingen abzuriegeln, selbst wenn dabei Tausende im Meer ertrinken, ist nicht die Lösung und widerspricht allen humanitären Wertvorstellungen. Es ist ein Irrglaube der Politik, Migration kontrollieren und steuern zu können. Stattdessen gilt es 70 Jahre nach der gescheiterten Konferenz von Evian, die Zufluchtsmöglichkeiten für deutsche Juden vereinbaren sollte, unsere heutige Verantwortung in Bezug auf Flüchtlinge und deren Schutzbedürfnisse wahrzunehmen.


Kontakt: Dr. Jürgen Hölzinger, Tel. 030 - 802 57 73, Frank Uhe, Tel. 030 – 698 074 10

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Ansprechpartnerinnen

 

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Referentin "Soziale Verantwortung"
Tel. 030/698074 - 17
Email: jurema[at]ippnw.de



Laura Wunder
Referentin für Klimagerechtigkeit und Global Health
Tel. 030 / 698074 - 19
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IPPNW-Report: Gesundheitliche Folgen von Abschiebungen
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