IPPNW-Pressemitteilung vom 06. Dezember 2022

Geplantes Gesetz legitimiert Menschenrechtsverletzungen

Offener Brief gegen die Instrumentalisierungsverordnung und das Untergraben rechtsstaatlicher Prinzipien an den EU-Außengrenzen

Am 8. Dezember soll in Brüssel über die so genannte Instrumentalisierungsverordnung abgestimmt werden. Diese untergräbt grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien in Europa und legitimiert Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl und Ärzte*innen für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) fordern zusammen mit über 30 zivilgesellschaftlichen Organisationen die Bundesregierung in einem gemeinsamen Statement auf, gegen den Gesetzesvorschlag zu stimmen.

„Sollte die Regierung der Instrumentalisierungsverordnung zustimmen, würde sie ihre Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag, illegale Zurückweisungen (pushbacks) und das Leid an den Außengrenzen beenden zu wollen, ad absurdum führen. Das Menschenrecht auf Gesundheit und körperliche und seelische Unversehrtheit wird durch diese Verordnung weiter in Gefahr gebracht,“ so IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. Carlotta Conrad.

Im Dezember 2021 legte die EU-Kommission einen Verordnungsvorschlag vor, der besagt, dass die EU-Mitgliedsstaaten in Situationen der "Instrumentalisierung“ von Migrant*innen von ihren Verpflichtungen aus dem EU-Asylrecht und damit von menschenrechtlichen Verpflichtungen nach Belieben abweichen können. So sieht die Verordnung vor, dass Grenzübergänge geschlossen werden können und nicht an jedem Grenzübergang ein Asylantrag gestellt werden kann, was die Möglichkeit an den Außengrenzen Asyl zu beantragen weiter einschränkt. Menschen, die es geschafft haben und einen Asylantrag stellen wollen, können laut Verordnung für bis zu 5 Monate inhaftiert und als „nicht eingereist“ in einem rechtlichen Vakuum an der Grenze festgesetzt werden. Dies gilt auch für Traumatisierte, Menschen mit Behinderung, Familien und allein fliehende Kinder. „Statt schutzsuchende Menschen zu schützen, erhöht die Verordnung sogar noch die Gefahr, illegal – und oft mit Gewalt – abgeschoben zu werden. (…) An den Grenzen werden die Bedingungen, wie auf den griechischen Inseln und anderswo häufig genug gesehen, absehbar menschenunwürdig sein. Notwendige unabhängige rechtliche Beratung oder medizinische und psychologische Unterstützung werden kaum möglich sein.“, heißt es dazu im gemeinsamen Statement.

„Bereits jetzt werden jeden Tag an den Grenzen unserer Europäischen Union Menschenrechte massiv missachtet. Dies führt dazu, dass bereits traumatisierte Menschen weiter seelischen und körperlichen Schaden nehmen, der sich langfristig in ihnen festsetzt, sich auf die nächste Generation überträgt und eine Integration im Ankunftsland enorm erschwert. Der Gesetzentwurf der europäischen Union widerspricht ihren eigenen Grundfesten, indem er Menschen ihr bereits aberkanntes Recht auf Gesundheit weiter abbaut“, erklärt IPPNW-Mitglied Leonie Maier. Sie hat das Projekt ROSA Rolling Safe Place mit aufgebaut, eine mobile Anlaufstelle für gesundheitliche Belange für Frauen und Mädchen auf der Flucht in Griechenland.

Hintergrund der Verordnung ist Fall des belarussischen Regierungschef Lukaschenko, der im Herbst 2021 die visafreie Einreise über den Flughafen in Minsk ankündigte und damit eine neue Fluchtroute in die EU in Aussicht stellte. Doch an der Grenze erwartete die Menschen ein Horrorszenario. Belarussische Sicherheitskräfte trieben die Menschen in Gruppen mit Gewalt auf die Grenze zu, polnische Grenzschützer drängten sie gewalttätig wieder zurück. Die EU warf Lukaschenko vor, einen „hybriden Krieg“ mittels der Migrant*innen zu führen, um die EU unter Druck zu setzen – ein Kalkül, dass allerdings überhaupt nur aufgrund fehlender legaler und sicherer Fluchtwege in die EU möglich war und ist.

"Mit der Verordnung werden rechtsstaatliche Prinzipen endgültig über Bord geworfen. Ob jemand international schutzbedürftig ist, kann erst nach einem individuellen Asylverfahren festgestellt werden. Welche Interessen andere Staaten mit ihrer Politik verfolgen, ob sie Migrant*innen „instrumentalisieren“, spielt dabei keine Rolle“, so Conrad abschließend.

 

 Das gemeinsame Statement können Sie hier nachlesen:
https://www.proasyl.de/wp-content/uploads/Gemeinsamens-Statement-gegen-die-Instrumentalisierungsverordnung_5.12.2022.pdf

 
Kontakt:
Lara-Marie Krauße (IPPNW), Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Tel. 030 698 074 15, E-Mail: krausse[at]ippnw.de

 

 

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Tel. 030/698074 - 17
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