Pressemitteilung vom 26. Oktober 2020

Migrations- und Asylpolitik der Bundesregierung und der EU verstößt gegen Recht auf Gesundheit

Menschenrechtstribunal in Berlin

26.10.2020 Die gegenwärtige Migrations- und Asylpolitik der Bundesrepublik Deutschland und der EU verletzt das Recht auf Gesundheit und physische und psychische Integrität von Migrant*innen und Geflüchteten schwerwiegend. Das ist das Ergebnis des Menschenrechtstribunals, das ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen am Wochenende in Berlin veranstaltet hat. „Die Berichte von Geflüchteten und ihren Unterstützer*innen zeichnen ein erschreckendes Bild der deutschen und europäischen Migrationspolitik,“ resümiert die Jurorin Sarah Lincoln. „Viele Geflüchtete sind krank und brauchen besonderen Schutz. Stattdessen werden sie wie Menschen zweiter Klasse behandelt, ohne Privatsphäre, ohne Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung, ohne Verfahrensrechte.“

Anhand von sechs Anklagepunkten beleuchtete das Tribunal die menschenrechtliche Lage von Asylsuchenden, Illegalisierten sowie Arbeitnehmer*innen aus EU- und Nicht-EU-Ländern. Neben der Diskriminierung durch Angehörige der Gesundheitsberufe und Sprachbarrieren, existierten auch gesetzliche Bestimmungen, die den Zugang behindern. Zeug*innen aus den Geflüchtetenlagern auf Lesbos schilderten eindrücklich die katastrophale Situation vor Ort. Laut der Ärztin Dr. Jessica Horst stellen die ungesunden Lebensbedingungen, der eingeschränkte Zugang zu medizinischer Versorgung und die nicht standardisierte medizinische Versorgung eine ernsthafte Bedrohung für die Gesundheit seiner Bewohner*innen dar.

Kritisiert wurde zudem, dass Abschiebungen schwerwiegende Folgen für die Gesundheit haben können. Eine Abschiebung in ein Herkunfts- oder Transitland sei grundsätzlich ein staatlich verordneter, vollzogener und legitimierter Gewaltakt. Im Rahmen der weiteren Verschärfungen des Asyl- und Aufenthaltsrechts würden die Bedürfnisse und Rechte besonders schutzbedürftiger Personen im Asylverfahren eklatant missachtet. Sie zielten darauf, die Abschiebung schwerkranker und traumatisierter Menschen zu erleichtern.

Die Covid-19-Pandemie habe die Rechtsverletzungen der Europäischen Union gegen Migrant*innen und Asylsuchende noch verstärkt – so die Veranstalter. Die deutsche Polizei und Bundeswehr seien an Praktiken beteiligt, die gegen internationales Recht, die Genfer Konvention und geltendes EU-Recht verstoßen. Fast täglich fänden sogenannte „Push-backs“ vor der Küste von Lesbos statt wie zum Beispiel am 15. August 2020. Ein Beiboot mit schätzungsweise 32 Migrant*innen an Bord wurde von verschiedenen Schiffen acht Stunden lang auf See hin und her geschoben – darunter auch das deutsche Marineschiff A1411. Am Nachmittag wurde das Boot von der türkischen Küstenwache in die Türkei zurückgebracht. „Statt Mauern und Grenzen zu errichten, sollten wir ernst gemeinte Solidarität und Respekt an den Menschenrechten zeigen“, fordert Muhammed al-Kashef, Menschenrechtsaktivist von WatchTheMed-Alarm Phone.

Das Tribunal steht in der Tradition einer Reihe von Anklagen vor dem Permanent People Tribunal (PPT) gegen Menschenrechtsverletzungen durch die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten und Institutionen der EU. Sie basieren auf einem Rahmendokument, das bei der Eröffnungsanhörung des PPT zum Thema "Menschenrechte von Migrant*innen- und Flüchtlingsvölkern" im Juli 2017 in Barcelona erarbeitet wurde.

Die Videodokumentation des Menschenrechtstribunals finden Sie unter www.youtube.com/channel/UCqiGmyGQ9vuBVJfSDTVah0w

An der Veranstaltung, welche an dem Wochenende von mehreren hundert Menschen europaweit verfolgt wurde, waren folgende Organisationen beteiligt:

Abschiebebeobachtung NRW • ALSO Oldenburg • Armut und Gesundheit e.V. • Ban Ying e.V. • Ärzte der Welt  •  BAfF – Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer  •  Black Visions and Voices • BNS  –  Berliner  Netzwerk  für  besonders  Schutzbedürftige  • borderline-europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V. • CAAT Project • Comitato Verita e Giustizia per i Nuovi Desaparacidos •  CoraSol • Deutsche Aidshilfe • Flüchtlingsrat Bayern • Flüchtlingsrat Berlin • Flüchtlingsrat Brandenburg  • Handicap  International  •  InEUmanity  •  Institute  of  Race  Relations  • Initiative  Oury Jalloh • IPPNW e.V. – Ärzte in sozialer Verantwortung • KOK – Bundesweiter Ko-ordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. •  LAB Trade Union • La Via Cam-pesina • Legal  Centre  Lesvos  • LesMigraS •  Love146 •  Medibüro  Berlin  • Medico International •  MediNetz  Bielefeld  • MediNetz  Mainz  •  MELISSA  –  Network  of  Migrant and Refugee Women in Greece • PIKPA / Lesvos Solidarity • Pro Asyl • Sans Papiers • SEDOAC – Servicio Doméstico Activo  •  Stand by me Lesvos •  Transnational Institute • Transnational Migrant Platform – Europe • United Action e.V. • vdää • Waling Waling • WatchTheMed-Alarm Phone • Yaar e.V.

Kontakt:
Angelika Wilmen, wilmen@ippnw.de, Mobil 0162 2057943
Nadine Rosenkranz, Borderline Europe, Mobil 01515 7756846

zurück

Ansprechpartnerin

 

Anne Jurema
Referentin "Soziale Verantwortung"
Tel. 030/698074 - 17
Email: jurema[at]ippnw.de

Materialien

Empfehlungen für heilberuflich Tätige in Abschiebesituationen
pdf Datei

IPPNW-Report: Gesundheitliche Folgen von Abschiebungen
Bestellen | PDF

IPPNW-Forum 164: „Mitwirkung bei Abschiebungen: Ärzt*innen zwischen Gesetzen und Ethik“
Download [PDF]

 

Dokumentation: Best Practice for Young Refugees. Ergebnisse und Beiträge einer internationalen Fachkonferenz  
pdf Datei

Menschenrechtstribunal

Navigation