Aus IPPNW-Forum 104/07

Kampagne zur eGK

Ein Beitrag gegen den Krieg?

Kriege haben sicher komplexe Ursachen, aber ein wesentlicher Faktor ist ganz offensichtlich in ökonomischen Zusammenhängen zu suchen. Wenn man z.B. den US-Krieg gegen den Irak seiner propagandistischen Verschleierungen entkleidet, so erweist er sich schlicht als ein Akt des Raubes, der gewaltsamen Aneignung des Besitzes anderer. Es geht um Beherrschung von Ressourcen, um aktuelle Profite und längerfristige wirtschaftliche Dominanzinteressen. Die militärische Gewalt ist allerdings nur ein besonders brutales Mittel, sich ökonomische Ressourcen anzueignen.

Innerhalb unserer Gesellschaften sind es die sogenannten „Sachzwänge“ der vielbeschworenen Wettbewerbsfähigkeit auf den Märkten, die zur Begründung herhalten, wenn Massenentlassungen vorgenommen, wenn soziale Netze und Sicherungssysteme demontiert werden, und damit auch bei uns immer mehr Menschen zumindest an den Rand unmittelbarer Not gebracht werden. („Terror der Ökonomie“ ist der treffende Titel eines Buchs, das sich mit diesen Phänomenen beschäftigt hat.) Die Enteignung von sozialen Rechten und die zunehmende Spaltung in den Lebensbedingungen trägt dazu bei, die Gesellschaften überhaupt erst kriegsfähig zu machen, besonders wenn es gelingt, die sozialen Ängste der Menschen auf interne und externe Feindbilder zu richten, die dann militärische Aktionen legitimieren oder geradezu als unausweichlich erscheinen lassen. Insofern muss kausale Politik gegen den Krieg auch eine gesellschaftspolitische, auf unsere inneren sozialen Verhältnisse gerichtete Dimension einschließen.
Gesundheitspolitik

Was liegt da näher, als dass wir uns verstärkt mit dem für die gesamte Bevölkerung bedeutenden Thema der Gesundheitspolitik befassen, von der wir schließlich selber unmittelbar betroffen sind, die uns ganz persönlich hautnah angeht? Ein befreundeter Oberarzt erzählte mir schon vor Jahren, wie er vom Verwaltungsdirektor seiner Berliner Klinik auf den Paradigmenwechsel hingewiesen wurde: die Klinik habe nun nicht mehr primär einen Versorgungs-Auftrag, sondern einen Profit-Auftrag. - Für die (legitime) standespolitische Interessenvertretung gibt es andere Organisationen, denen wir diese Aufgabe nicht streitig machen wollen - aber am Beispiel der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) können wir exemplarisch demonstrieren, was grundsätzlich schief läuft in der aktuellen Entwicklung: milliardenschwere Konzerninteressen, die sich auf den „Zukunftsmarkt Gesundheitswesen“ stürzen, unzureichende Informations- und Partizipationsmöglichkeiten der Betroffenen, seien es Heilberufler oder Patienten, ein ausuferndes, intransparent-bürokratisches Kontrollwesen, das sich zum obersten Souverän im Gesundheitswesen aufschwingt – zunehmende Enteignung der Möglichkeit, unsere Arbeitsbedingungen selber zu gestalten. Ein Paradebeispiel für die sich erweiternden Demokratie-Lücken in unserer Gesellschaft.
Handlungsmöglichkeiten

Unser allgemeines Ziel in Anbetracht dramatischer globaler Bedrohungen muss es nicht nur sein, mit starken Argumenten zu appellieren, sondern auch, direkt, wirkungsvoll, und möglichst exemplarisch in die sozialen und politischen Prozesse einzugreifen. „Empowerment“, Machtaneignung muss das Ziel aller sozialer Bewegungen sein, die sich selbst ernst nehmen, um der schleichenden Aushöhlung unserer Demokratie entgegenzutreten. Es wird aber nicht möglich sein, Macht gegenüber Aufrüstung und Krieg zu entwickeln, wenn wir gleichzeitig unsere Entmachtung als Handelnde und Gestaltende im eigenen Beruf passiv oder rein reaktiv hinnehmen.
Meine These: wir haben noch kaum hinreichend verstanden, was mit der Umgestaltung des Gesundheitswesens mit den Mitteln der Salamitaktik bereits auf den Weg gebracht wurde, in welche Richtung die Entwicklung vorangetrieben wird. Die Debatte um die elektronische Gesundheitskarte gibt uns eine Chance, ein umschriebenes Thema aus dem Gesamtkomplex gründlich zu durchleuchten, und hier, zusammen mit anderen Akteuren, zu wirkungsvollem politischem Handeln zu kommen.

Dies könnte uns weiterhelfen bei unserer umfassenden Aufgabe: globale Gegenentwürfe und Prinzipien einer friedlicheren, gerechteren und demokratischeren Welt einfließen zu lassen in die ganz alltäglichen und lokalen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Konflikte, und so die für unser Handeln unmittelbar erreichbare Mikro-Ebene mit der Makro-Ebene zu verbinden.

Matthias Jochheim

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