Gentechnik in Lebensmitteln

Die Kunst der Ernährung

Seit Beginn des Industriezeitalters entwickelte sich die Nahrungsmittelindustrie kontinuierlich. Was zunächst als großer Erfolg an praktischen Errungenschaften z.B. für die Konservierung und dann für die Verfeinerung von Nahrungsmitteln gefeiert wurde, findet heute seinen Höhepunkt in der Entwicklung von neuzeitlichem "designer food". Längst hat die Gentechnikindustrie ihre Domänen in der Landwirtschaft und in der Erzeugung von "maßgeschneiderten" Nahrungsmitteln entdeckt.

  • Enzyme wie z.B. Amylase, Pektinase, Lipase für die Lebensmittelverarbeitung in Backwaren, Süsswaren, Käseherstellung, Aromen, Fett- und Ölverarbeitung von gentechnisch veränderten Mikroorganismen produziert.
  • 1996 in USA und Kanada 1,7 Millionen ha gentechnisch veränderte (gv) Pflanzen, heute sind es bereits 58 Millionen, davon 95% in USA, Kanada, Argentinien und China.
  • An Fischen und Nutztieren wird in großem Ausmaß experimentiert. Die Viehwirtschaft strebt Ertrags- und Produktivitätsteigerung an z.B. Förderung der Milchleistung von Kühen durch Einsatz gentechnisch erzeugten Wachstumshormons rBST (rekombinantes Bovines Somatotropin)
  • Gentechnik soll in der Landwirtschaft Anbautechniken rationalisieren und Erträge steigern. Zur Marktreife gelangten bisher Pflanzen, denen Resistenzgene gegen Herbizide (74%) oder Insektizid produzierende Gene (19%) eingebaut wurden, sowie eine Kombination aus Herbizidresistenz und Insektengift (7%). Hier sind vor allem Soja, Mais, Baumwolle und Raps betroffen. Landwirte können gv Saatgut nur mit den dazu gehörenden Herbiziden erwerben und verarbeiten.
  • In Freisetzungsversuchen werden transgene Pflanzen mit Pilz- und Virusresistenzen, Anpassungen an Umweltbedingungen sowie Veränderungen der Verarbeitungs- und Nahrungsmittelqualität getestet.
  • In diesem Jahr ist in Deutschland der erste Freisetzungsversuch mit pilzresistentem gvWeizen beantragt worden.
  • Die Gentechnikindustrie verspricht, "bessere" und "gesündere" Pflanzen und führt ihre Forschung an nahezu allen Kulturpflanzen vom Getreide über Bäume zu Gemüsen und Blumen durch. Weltweit wurden inzwischen über 100 Sorten von Nutzpflanzen gentechnisch verändert. An allen Brotgetreiden wird geforscht, z.B. in Versuchen, glutenfreies Getreide herzustellen. Angestrebt wird Reduktion des allergenen Potentials, Anreicherung an Vitaminen, Fettsäuren, Aminosäuren und Geschmacksverbesserung.
  • Ein bisher nicht zur Marktreife gelangter gv Reis, der Vit. A liefert, wird alsLösung für Vit.A Mangelkrankheiten der unterernährten Bevölkerung der 3.Welt angepriesen.
  • In transgenen Pflanzen der neuen Generation sollen Arzneimittel und Industrierohstoffe erzeugt werden. In den USA werden bereits auf geheimen Versuchsfeldern Freisetzungsversuche durchgeführt. Auch in Deutschland ist in diesem Jahr ein Freisetzungsversuch mit einer Vitamin produzierenden gv Kartoffel beantragt.


2. Nahrungsmittelsicherheit und gesundheitliche Risiken

Mit der Novel Food-Verordnung wurde bestimmt, dass neuartige Lebensmittel nur auf den Markt gebracht werden dürfen, wenn von ihnen keine Gefahr für die Gesundheit ausgeht, sie den Verbraucher nicht irreführen und sie sich von vergleichbaren konventionellen Erzeugnissen nicht so unterscheiden, dass ihr normaler Verzehr Ernährungsmängel für den Verbraucher mit sich brächte. Der Beurteilung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit liegt das 1990 von der Organisation for Economic Cooperation and Development OECD formulierte Prinzip der substantiellen Äquivalenz zugrunde. Danach wird ein sogenanntes “neuartiges Lebensmittel” als ebenso sicher angesehen wie ein vergleichbares traditionell hergestelltes Erzeugnis, wenn es sich in der Zusammensetzung der Inhaltsstoffe und sonstigen Eigenschaften von diesem nicht wesentlich unterscheidet. Sicherheitsuntersuchungen sind vom Hersteller durchzuführen. Unabhängige Untersuchungen und Studien sind der freien Wissenschaft allein aus Kostengründen nicht in ausreichendem Maße möglich.

3. Ökologische und ökonomische Aspekte
Auch ökologisch hat die Freisetzung von gv Organismen Folgen, die nicht präventiv verhindert werden konnten, weil sie noch unbekannt waren. Beispiele:

  • Die von gvPflanzen erzeugten Bt-Gifte (Bazillus turingiensis Toxin)bleiben im Boden und wirken sich dort negativ auf Bodentiere, z.B. Springschwänze aus
  • Untersuchungen des National Institute of Agricultural Botany (NIAB) Cambridge, zeigen, dass in drei von vier Fällen Genfluss von gentechnisch veränderten zu nicht veränderten Rapspflanzen stattfand.
  • Florfliegenlarven, die mit Bt-Pflanzen gefüttert wurden, wiesen eine Mortalität von 62% im Vergleich zu 37% bei Bt-freier Fütterung auf.
  • Baumwolleule und roter Kapselwurm zeigen Resistenzen auf Bt-Baumwolle
  • Der Anbau gentechnisch veränderter Nutzpflanzen mit Virusresistenz kann zur Ausbildung neuer Viren führen
  • In Kanada ist verwilderter Gentechraps bereits gegen drei Herbizide resistent und hat sich zu einem der schlimmsten Unkräuter entwickelt (Alle Angaben aus FIBL Dossier wie oben, S.7)


Ökonomisch bietet Gentechnik keine nachhaltigen Lösungen.
Die Anpreisung des Vitamin A Reis als Lösung für Vit.A Mangelkrankheiten der unterernährten Bevölkerung der 3. Welt wird häufig als Hammerargument benutzt, um die ernsthaften, vielschichtigen und berechtigten Bedenken gegen die Grüne Gentechnik auszuschalten. Selbstverständlich will niemand, dass Kinder “nur” an einem Vitaminmangel erblinden oder sterben, wenn man ihnen doch so leicht helfen könnte. Allerdings ist diese Lösung bisher nicht praktisch erprobt und wir wissen nicht, was für Überraschungen sie mit sich brächte. Dass es nur Heilung wäre ist ebenso unbewiesen wie das Gegenteil.
Eine wirkliche Lösung kann nur ansetzen an den Ursachen von Mangel und Fehlernährung: Armut, Ausbeutung,fehlende Bildung, Korruption, ungerechte Güterverteilung. Gentechnologie ist nicht individuell und standortbezogen. Sie wird importiert, verdrängt heimische Pflanzen und angepasstes Saatgut und setzt in der Regel auf Entwicklung internationaler Märkte und Großstrukturen. Sie verschlingt enorme Investitionskosten, die anderen Modellen vorenthalten werden und die sich die Ärmsten ohnehin nicht leisten könnten.

4. Von Gesundheit, Freiheit und Globalisierungsinteressen
In den Zeiten des Überflusses ist uns die innere Beziehung zu dem, was uns nährt, weitgehend verloren gegangen. In unserer zivilisierten Gesellschaft machen sich nur noch wenige die Hände schmutzig, um für die Erzeugung der Nahrungsgrundlagen zu sorgen - im Gegenteil gilt die Urproduktion manchen Verfechtern neuzeitlicher Technologien als unappetitlich und unästhetisch. Demgegenüber wird Designerfood dargestellt als gut durchdacht und kompetent steril produziert. Durch geschickte Werbung wird der Eindruck vermittelt, der Mensch und das, was ihn aus der Natur nährt, seien defizitär und bedürften "wissenschaftlicher" Beratung und Nahrungsergänzung. Diese Verunsicherung soll das Kaufverhalten motivieren. Tabellen informieren darüber, welche und wie viele Vitamine, Spurenelemente usw. wir dringend zu uns nehmen müssen, um funktionsfähig zu sein. Das Wissen darum, dass wir die Fähigkeit haben, für unsere Ernährung mit den lebendigen Früchten der Erde selbst zu sorgen, wird abgelöst durch die Vorstellung, unser Organismus wäre eine Art Maschine, die mit diversen Substanzen funktionstüchtig gehalten werden muss. Ernährung darf heute keine Mühe machen, sie muss neben dem anstrengenden Berufs- und Freizeitleben beiläufig und vor allem preiswert zu absolvieren sein. Dass dabei eine ganze Kultur der Lebensmittelerzeugung und Ernährung zu Grunde geht, ist offenbar noch nicht aufgefallen. Die von Prof. Klaus Dörner beschriebene "allmähliche Umwandlung aller Gesunden in Kranke" wirkt hier sprichwörtlich und wird werbestrategisch eingesetzt. Noch geht diese Saat im Bezug auf die Gentechnik nicht vollständig auf. 70% der deutschen und europäischen Bevölkerung und der Landwirte lehnen es ab, gentechnisch veränderte Pflanzen zu essen oder anzubauen. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir den Großkonzernen auch die Antwort auf die Frage überlassen: Was tut mir und meinem Nächsten gut?

6. Was geht das alles uns Ärzte an?
Die Einführung einer Risikotechnologie in die Ernährung und die Urproduktion von Lebensmitteln mit unübersehbaren Folgen für Menschen und Umwelt muss von Ärzten grundsätzlich als unverantwortlich abgelehnt werden. Die Entwicklung globalisierter Systeme, die keinen Platz mehr haben für die Förderung des Individuums und kleiner Gemeinschaften, trägt zur Entwicklung von Krankheiten bei. "Der gute Arzt" (siehe Klaus Dörners) hat die Aufgabe, das Potential der Gesundung im Einzelnen und in der Gemeinschaft zu fördern. Er darf sich nicht zum Handlanger einer zweifelhaften Fortschrittsgläubigkeit machen, die unter dem Deckmäntelchen der Wissenschaft Technologien befördert, die nur dem Geldbeutel von wenigen dienen. Die Industrie will ihre Produkte auf den Markt bringen, obwohl die meisten Menschen sie nicht wollen. Wir sind also aufgerufen, uns wieder selbst um unsere Ernährung zu kümmern und unsere Umwelt vor weiterer Zerstörung zu bewahren.
Die Resolution der IPPNW kann in diesem Sinne auch auf die grüne Gentechnik angewendet werden:

Rüstungswettlauf, risikoreiche Hochtechnologien (Chemieunfälle), Umweltzerstörung und Verelendung der Dritten Welt stehen in einem engen Zusammenhang miteinander. Sie sind Ausdruck eines obsoleten Kults der Stärke und des Expansionismus der Industrieländer. Er unterhält eine gewaltige Rivalität unter den Völkern auf Kosten der Schwächeren und eine rücksichtslose Zerstörung der Natur. Deshalb fordern wir Ärzte die Umkehr zu einem neuen Denken.

Die modernen Weltgefahren sind nur zu bannen, wenn alle Völker Ost, West und Süd begreifen, dass sie durchgängig aufeinander angewiesen sind und ihre egoistischen Machtstrategien zugunsten einer Humanisierung der internationalen Beziehungen und einer gemeinsamen Fürsorge für die bedrohte Natur aufgeben müssen.

Weit verbreitete Ängste, Depressionen, Suchten und psychosomatische Krankheiten bei Jugendlichen und Älteren erweisen sich immer häufiger als Reaktion auf eine realistisch empfundene steigende Bedrohung unserer Lebenswelt. Es sind Symptome einer Gesellschaft, die sich in selbst-zerstörerische Risiken verstrickt hat und damit nicht nur ihre Zukunft bedroht, sondern schon jetzt vielfaches Leiden produziert. Um so mehr fühlen wir Ärzte uns dazu aufgerufen, unser Engagement für den Frieden zwischen den Völkern wie für den Frieden zwischen Mensch und Natur verstärkt fortzusetzen.”

(aus der Resolution der deutschen Sektion des IPPNW Worpswede 1989)


Die Verfasserin des Artikels gründet eine Ärzteinitiative, die der Ärzteschaft ein Forum für Entwicklung von Sachkompetenz und zur Auseinandersetzung mit der Agrargentechnologie sein soll mit dem Ziel, eindeutig Stellung zu den neuen Entwicklungen der Gentechnologie zu beziehen, wobei die Übergänge zur roten Gentechnik fließend sind. Eine Stellungnahme und Empfehlung der Ärzteschaft an die Politik ist in nächster Zeit vorrangige Aufgabe. Die Gestaltung eines Fachkongresses für Ärzte und die Entwicklung kompetenter Patientenratgeber sind weitere Zukunftsvorhaben.

Interessierte Kolleginnen und Kollegen melden sich bitte bei:
Angela von Beesten
Ärztin - Homöopathie - Naturheilverfahren - Psychotherapie
Auf der Worth 34
27389 Vahlde OT Riepe
Tel. 04267- 1770 • Fax 04267-8243
e-mail: angela.vonbeesten@dgn.de

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